Die Zeugungsunfähigkeit des Partners ist keine Krankheit, Fehlzeiten durch künstliche Befruchtung begründen daher keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung. Die Arbeitnehmerin habe ihren Ausfall schließlich selbst herbeigeführt, so das BAG.
Ein Kinderwunsch ist eine persönliche Lebensentscheidung. Dabei bleibt es auch, wenn sich eine Arbeitnehmerin bei eingeschränkter Zeugungsfähigkeit ihres Partners für eine künstliche Befruchtung entscheidet. Die Fehlzeiten bei der Arbeit sind dann selbst verantwortet und begründen keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Das hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) in einem jetzt veröffentlichten Urteil entschieden (Urt. v. 26.10.2016, Az. 5 AZR 167/16).
Die im April 1972 geborene Frau ist beim beklagten Träger als Erzieherin in einer Kindertagesstätte beschäftigt. Ihr Partner ist nur eingeschränkt zeugungsfähig, sodass sie sich einer In-Vitro-Fertilisation unterzog, um eine Schwangerschaft herbeizuführen. Ihr Arbeitgeber hatte hiervon keine Kenntnis.
Die Frau legte ihrem Arbeitgeber mehrfach Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor, dieser zahlte den Lohn weiter. Als er erfuhr, dass die Fehlzeiten offenbar auf die künstliche Befruchtung zurückzuführen waren, verlangte er diese seiner Ansicht nach zu viel gezahlten Beträge zurück, da er nicht zur Entgeltfortzahlung verpflichtet gewesen sei.
BAG zu Krankheit und Arbeitsunfähigkeit
Zu Recht, wie das BAG entschied. Arbeitnehmer seien verpflichtet, ihre Gesundheit zu erhalten und zur Arbeitsunfähigkeit führende Erkrankungen zu vermeiden. Ansonsten könne ein anspruchsausschließendes Verschulden des Arbeitnehmers im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) vorliegen.
Der Arbeitgeber trage zwar im Rahmen seiner gesetzlichen Fürsorgepflicht zeitlich begrenzt das allgemeine Krankheitsrisiko des Arbeitnehmers. Doch eine Krankheit im Sinne des § 3 EFZG setze einen regelwidrigen körperlichen oder geistigen Zustand voraus. Regelwidrig sei dieser dann, wenn er nach allgemeiner Erfahrung unter Berücksichtigung eines natürlichen Verlaufs des Lebensgangs nicht bei jedem anderen Menschen gleichen Alters und Geschlechts zu erwarten sei.
Arbeitsunfähigkeit wiederum bestehe, wenn der Arbeitnehmer infolge dieser Krankheit seine vertraglich geschuldete Tätigkeit objektiv nicht ausüben könne oder objektiv nicht ausüben sollte, weil die Heilung nach ärztlicher Prognose hierdurch verhindert oder verzögert würde. Von Arbeitsunfähigkeit sei auch dann auszugehen, wenn erst eine zur Behebung einer Krankheit erforderliche Heilbehandlung dazu führe, dass der Arbeitnehmer die geschuldete Arbeitsleistung nicht erbringen könne.
2/2: Krankheit des Partners reicht nicht
Bei Unfruchtbarkeit des Partners könne die Arbeitnehmerin selbst allerdings nicht als krank im Sinne des Gesetzes angesehen werden. Empfängnis- und Zeugungsunfähigkeit seien zwar bei erwachsenen Menschen im fortpflanzungsfähigen Alter negative physische Abweichungen vom regelgerechten Körperzustand. Dieser habe jedoch beim Partner der Arbeitnehmerin vorgelegen, nicht bei ihr selbst.
Erst die In-vitro-Fertilisation und damit in Zusammenhang stehende Eingriffe und Maßnahmen hätten bei ihr möglicherweise zu einem regelwidrigen Körperzustand und damit einer Erkrankung geführt. Auch habe sie keine körperlichen oder seelischen Beeinträchtigungen mit Krankheitswert durch den unerfüllten Kinderwunsch vorgetragen, so das BAG.
Die Richter entschieden, dass auch die im Zusammenhang mit der In-vitro-Fertilisation vorgenommenen Eingriffe und Maßnahmen darüber hinaus auch keine Heilbehandlung dargestellt hätten. Denn solche müssten an eine Krankheit anknüpfen, die jedoch nur bei dem Partner vor der künstlichen Befruchtung, nicht aber bei der Arbeitnehmerin vorgelegen hätten.
Werde erst durch In-vitro-Fertilisation willentlich und vorhersehbar eine Arbeitsunfähigkeit bedingende Erkrankung herbeigeführt, sei von einem vorsätzlichen Verstoß gegen das Eigeninteresse eines verständigen Menschen, Gesundheit zu erhalten und zur Arbeitsunfähigkeit führende Erkrankungen zu vermeiden, auszugehen und ein Entgeltfortzahlungsanspruch wegen Verschuldens iSv. § 3 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 EFZG ausgeschlossen.
Kind ist individuelle Lebensgestaltung
Allerdings kann nach Auffassung des Gerichts nach der In-Vitro-Fertilisation ein Entgeltfortzahlungsanspruch bestehen. Das sei dann der Fall, wenn die künstliche Befruchtung nach allgemein anerkannten medizinischen Standards vom Arzt oder auf ärztliche Anordnung vorgenommen und anschließend eine Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit aufgetreten sei, mit deren Eintritt nicht gerechnet werden musste.
"Das BAG musste abwägen, inwieweit eine Arbeitnehmerin bei Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit im Zusammenhang mit einer künstlichen Befruchtung finanziell nach dem EFZG abgesichert werden soll“, sagt Dr. Silvia Lang, Fachanwältin für Arbeitsrecht bei Hogan Lovells. "Zugleich müssen Kostenrisiken zwischen Arbeitgeber und Krankenversicherung verteilt werden: Der Wunsch, ein Kind zu bekommen, betrifft erst einmal die individuelle Lebensgestaltung, gilt aber nicht zwangsläufig als allgemeines Krankheitsrisiko im Sinne von § 3 EZFG."
Ein anspruchsausschließendes Verschulden komme für das BAG nach diesen neuen Grundsätzen dann in Frage, wenn die Arbeitsunfähigkeit als vorhersehbare, willentlich herbeigeführte Folge einer komplikationslosen In-vitro-Fertilisation eintritt, so Lang. Zudem stelle das BAG nochmals klar, dass als Beginn der Schwangerschaft bei einer In-vitro-Fertilisation die Einsetzung der befruchteten Eizelle in die Gebärmutter (sogenannter Embryonentransfer) anzusehen ist. Ab diesem Zeitpunkt finde das Mutterschutzrecht Anwendung: Die Arbeitnehmerin hat dann Anspruch auf Mutterschutzlohn, wenn ein ärztliches Beschäftigungsverbot ausgesprochen wird (§ 11 MuSchG).
Tanja Podolski, BAG zu Entgeltfortzahlung bei künstlicher Befruchtung: Kinderwunsch ist keine Krankheit . In: Legal Tribune Online, 11.01.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21715/ (abgerufen am: 19.04.2024 )
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