Vom Associate zur Schlittenhundeführerin

"Mir fehlten Tiefe, Sinnhaftigkeit und Bindung"

Interview von Constantin Baron van LijndenLesedauer: 5 Minuten
Den Job in der Großkanzlei hinschmeißen, nach Marokko ziehen und Surflehrer werden? Solche romantischen Ideen geistern vielen Anwälten im Kopf herum – meist bleiben sie dort. Anders bei Yvonne Hofschneider: Nach dreieinhalb Jahren als Associate hat sie gekündigt, um mit Schlittenhunden zu arbeiten. Nun lebt sie im ländlichen Lappland – und kriegt oft mehr Huskys als Menschen zu Gesicht.

LTO: Guten Tag, Frau Hofschneider. Kalt bei Ihnen? Hofschneider: Momentan nicht besonders, wir haben um die null Grad. Die Temperaturen schwanken aber stark, minus 15 stehen auf der Tagesordnung, aber auch minus 30 sind keine Seltenheit. LTO: Das macht Ihnen nichts aus? Hofschneider: Nein, ich war immer mehr der nordische Typ, wollte schon als Kind lieber nach Skandinavien als ans Mittelmeer. Dass ich einmal im nördlichen Finnland leben würde, war mir so früh allerdings nicht klar. LTO: Wann ist es Ihnen denn klar geworden? Hofschneider: Das hat sich Stück für Stück entwickelt. Den Wunsch, mit Tieren zu arbeiten, hatte ich schon seit langem. Ich bin auch in einer ländlichen Gegend groß geworden und hatte in Jugendjahren immer einen Hund. Zum Studium bin ich nach Berlin und später für die Arbeit nach München gezogen, da war das nicht mehr möglich. In den letzten drei Jahren habe ich dann angefangen, meine Urlaube auf der Husky-Farm zu verbringen, auf der ich nun auch arbeite. Die Rückreise fiel mir dann jedes Mal ein bisschen schwerer. LTO: Klar, wenn einen zu Hause ein Schreibtisch voller Akten und eine 60-Stunden-Woche erwarten… Hofschneider: Das war gar nicht der Punkt, ich war mit meinem Job als Anwältin bei Noerr eigentlich sehr zufrieden. Klar: Es gab Momente, in denen man abgespannt und entnervt war, dann hat sich das Fernweh besonders lautstark gemeldet. Entscheidend war für mich aber nie der Wunsch, mit meinem alten Job aufzuhören – sondern der, mit meinem neuen anzufangen.

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"Die Arbeit hier ist auf ihre eigene Art geistig fordernd"

LTO: Der könnte gegensätzlicher kaum sein, oder? Hofschneider: Naja, wir machen hier mit den Hunden teilweise zwei Trainingseinheiten zu jeweils fünf bis sechs Stunden – ich habe also immer noch lange Arbeitstage. Da hören die Gemeinsamkeiten aber auch auf. In München habe ich hauptsächlich am Schreibtisch gesessen, hier leiste ich körperlich anstrengende Arbeit. Auch die Lebensbedingungen sind ganz anders: München hat 1,4 Millionen Einwohner, das Husky-Camp, in dem ich arbeite und zeitweise lebe hat 20. Mit dem Auto kann man zum Einkaufen in den nächsten Ort fahren, aber Highlife sollte man da auch nicht gerade erwarten. LTO: Fehlt Ihnen das nicht? Hofschneider: Der Trubel? Kaum, da komme ich ziemlich gut ohne aus. Die intellektuelle Herausforderung? Bisher auch nicht, aber ich bin ja erst seit zweieinhalb Monaten hier. Zugegeben: In der Zeitung lese ich schon gerne noch über das eine oder andere Verfahren. Und ich diskutiere mit meinem Chef über alle möglichen Rechtsfrage

n. Der ist Österreicher – und ebenfalls Jurist, was allerdings ein Zufall ist. Davon abgesehen ist die Arbeit mit den Hunden aber auf ihre eigene Art geistig anspruchsvoll: Man muss eine gute Beobachtungsgabe haben und ständig wach sein, um zu erspüren, ob es zum Beispiel Rivalitäten im Rudel gibt und manche Hunde besser von anderen getrennt werden sollten. Unsere Huskys sind zwar keine wilden Tiere, aber sie sind natürlich auch nicht mit dem Familienhund zu vergleichen, der zu Hause vor dem Sofa liegt. LTO: Bisher haben Sie also noch keine Zweifel an der eigenen Entscheidung? Hofschneider: Nein, überhaupt nicht. Die Arbeit mit den Hunden macht mir sehr viel Spaß. Und wenn ich Sehnsucht nach Jura bekommen sollte, hält mich doch nichts davon ab, neue Entscheidungen zu treffen.

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2/2: "Es fehlte mir vorher an Tiefe, Sinnhaftigkeit und Bindung"

LTO: Hält Ihr Freundeskreis Sie für wahnsinnig? Hofschneider: Vor allem zu Anfang haben das natürlich ein paar Leute gesagt, klar. Aber je mehr ich darüber gesprochen und erklärt habe, warum das die richtige Entscheidung für mich ist, desto mehr Verständnis und Anerkennung bekam ich dafür, dass ich es dann auch durchziehe. LTO: Und warum ist diese Entscheidung die richtige für Sie? Hofschneider: Zwei wichtige Punkte habe ich ja schon genannt: meine Liebe zu dem Land und zu den Tieren. Außerdem habe ich das Gefühl, dass man in diesem Beruf einfach mehr zurück kriegt. Meine Mandanten waren mir zwar auch dankbar, wenn ich ihnen aus der Patsche geholfen habe. Und wenn man einen guten Vorgesetzten hat, dann bekommt man auch von dem entsprechendes Feedback. Trotzdem geht es in den meisten Verfahren natürlich in erster Linie ums Geld. Mir hat es da an echter Tiefe, Sinnhaftigkeit und Bindung gefehlt. LTO: In Ihrem jetzigen Job dürfte Geld kaum eine Rolle spielen - auch für Sie persönlich. Stört es Sie nicht, weit hinter Ihren Verdienstmöglichkeiten zurück zu bleiben? Hofschneider: Natürlich ist der Verdienst hier nicht der Rede wert, aber das stört mich nicht besonders. Wenn man die Entscheidung insgesamt betrachtet, gibt man weniger auf als man bekommt.

"Wenn man es wirklich will, sollte man es tun – besser heute als morgen."

LTO: Und was, wenn Sie es sich anders überlegen, und doch wieder einen Bürojob machen möchten? Dann hätten Sie eine ziemliche Lücke in Ihrem Lebenslauf. Hofschneider: Die würde ich dann schon erklären. Und wenn das für den Arbeitgeber ein Grund sein sollte, mich nicht einzustellen, hätten wir vermutlich ohnehin nicht zusammen gepasst. Ich glaube aber gar nicht, dass das so schlecht ankommen würde. Die meisten Unternehmen wollen doch vor allem sehen, dass man überhaupt Ziele hat, die man mit Einsatz und Energie verfolgt – auch, wenn es vielleicht ungewöhnliche Ziele sind. LTO: Es gibt sicherlich einige Anwälte, die manchmal darüber nachdenken, so einen radikalen Schnitt zu machen. Was würden Sie denen empfehlen? Hofschneider: Man muss es sich schon überlegen. Kommt das nur aus einer Laune heraus, weil man gerade ein besonders stressiges Mandat hat? Dann würde ich es lassen. Aber meldet sich der Gedanke immer und immer wieder, vielleicht schon seit Jahren? Hat man jeden Tag das Gefühl, etwas im Leben zu verpassen? Dann sollte man sich trauen. Und zwar besser heute als morgen. Denn solche Entscheidungen werden mit dem Alter sicher nicht einfacher. Yvonne Hofschneider (geb. 1984) hat zwischen 2010 und 2014 bei Noerr in München Mandate aus dem Wirtschaftsstrafrecht betreut. Seit Oktober 2014 lebt und arbeitet sie auf einer Husky-Farm im nördlichen Finnland. Sie bloggt über ihre Erfahrungen unter http://schneegestoeber.com Das Interview führte Constantin Baron van Lijnden.

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