OLG Koblenz zur Arzthaftung: Sachkundiger Patient darf nicht nachlässiger behandelt werden

13.04.2012

Auch wenn ein sachkundiger Patient eine laienhafte Eigendiagnose stellt, muss ein Arzt diese kritisch betrachten und den Patienten sorgfältig und medizinisch umfassend befragen. Wird aufgrund einer unzureichenden Anamnese die sonst zweifelsfrei erforderliche Hinzuziehung eines anderen Facharztes unterlassen, haftet der erstbehandelnde Arzt den Hinterbliebenen auf Schadensersatz. Dies hat der 5. Zivilsenat des OLG Koblenz mit am Freitag bekannt gewordenem Beschluss entschieden.

Das Oberlandesgericht (OLG) gab damit - wie schon die Vorinstanz - der Klage der Ehefrau und der beiden Kinder des Patienten auf Schadensersatz dem Grunde nach statt. Ein Arzt sei unabhängig von seinem Fachgebiet gegenüber dem Patienten verpflichtet, alles zur Erforschung und Behebung einer Erkrankung Erforderliche zu unternehmen. Jeder Arzt müsse laienhafte "Diagnosen" mit kritischer Distanz aufnehmen, um dann eigenverantwortlich sämtliche objektive Befunde zu erheben (Beschl. v. 30.01.2012, Az. 5 U 857/11).

Im Mai 2007 war der Vater und Ehemann der Kläger, selbst Rettungssanitäter von Beruf, von zwei Kollegen mit dem Krankenwagen zum beklagten Arzt, einem Orthopäden, gebracht. Dort berichtete der Patient von außergewöhnlich starken Schmerzen in der linken Körperseite und äußerte den Verdacht, Ursache der Schmerzen sei eine Einklemmung eines Nervs im Bereich der Halswirbelsäule. Der sehr selbstbewusst und sachkundig auftretende Patient erwähnte zudem, das Ganze sei bereits internistisch abgeklärt worden. Damit meinte er allerdings eine im Vorjahr erfolgte internistische Befunderhebung, während der Beklagte davon ausging, die internistische Untersuchung sei am selben Tage erfolgt.

Der Orthopäde diagnostizierte eine Querwirbelblockade und eine Muskelverspannung und entließ den Patienten nach Hause. Wenig später fand ihn seine Ehefrau im Bad bewusstlos auf dem Boden liegend. Der herbeigerufene Notarzt stellte nach vergeblichen Wiederbelebungsversuchen den Tod fest. Todesursächlich war ein akuter vollständiger Verschluss der rechten Herzkranzarterie.

Das Landgericht (LG) Mainz stellte eine Haftung des beklagten Orthopäden für sämtliche materiellen und immateriellen Schäden der Hinterbliebenen fest. Die unterbliebene internistische Abklärung trotz vorhandener Leitsymptome eines Herzinfarktes sei ein grober Behandlungsfehler. Mit seiner Berufung erstrebte der verurteilte Arzt die Abweisung der Klage. Aufgrund der irreführenden Angaben des Patienten sei er lediglich verpflichtet gewesen, eine Untersuchung auf seinem orthopädischen Fachgebiet vorzunehmen.

Über Höhe des Unterhaltsschadens hat das LG zu entscheiden

Das OLG bestätigte die Entscheidung der Mainzer Richter nun. Der Arzt hätte genauer erfragen müssen, wann die geschilderten Schmerzen erstmalig aufgetreten sind und wie sie sich entwickelt haben. Wäre er dieser Verpflichtung nachgekommen, hätte sich zweifelsfrei ergeben, dass die Schmerzen erst vor einer Stunde aufgetreten waren und eine vorherige internistische Abklärung am selben Tage nicht erfolgt sein konnte. Es wäre klar gewesen, dass die Symptome ergänzend durch einen Internisten hätten abgeklärt werden müssen. Diese Untersuchung hätte einen infarktbedingten Untergang der Herzbeutelmuskulatur zu Tage gefördert und die daran anknüpfende unverzügliche kardiologische und internistische Krisenintervention hätte das Leben des Patienten mit hoher Wahrscheinlichkeit gerettet.

Wegen der Besonderheiten des Falles sah der 5. Zivilsenat hierin zwar keinen groben Behandlungsfehler, dem Arzt sei doch ein ebenfalls zur Beweislastumkehr führender Befunderhebungsmangel anzulasten. In der Folge seien das Zahlungsverlangen der Klägerinnen sowie der Anspruch auf Ersatz des künftigen Unterhaltsschadens dem Grunde nach gerechtfertigt. Über die Höhe ist im weiteren Verlauf des Verfahrens vor dem LG Mainz zu befinden.

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig.

tko/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

OLG Koblenz zur Arzthaftung: Sachkundiger Patient darf nicht nachlässiger behandelt werden . In: Legal Tribune Online, 13.04.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5996/ (abgerufen am: 26.03.2024 )

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