EuGH zur Anerkennung als Flüchtling: Die tatsächliche Gefahr der Verfolgung wegen religiöser Handlungen reicht aus

05.09.2012

Bestimmte Formen schwerer Eingriffe in das Recht auf Religionsfreiheit stellen Verfolgungshandlungen dar, welche die zuständigen Behörden verpflichten, die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Das hat der EuGH mit Urteil vom Mittwoch festgestellt.

Zu den Handlungen, die eine schwerwiegende Verletzung darstellen können, gehören auch solche in die Freiheit, seinen Glauben öffentlich zu leben. Ob eine Verletzung des Rechts auf Glaubensfreiheit als Verfolgung anzusehen ist, richtet sich danach, wie gravierend die Maßnahmen und Sanktionen sind, die gegenüber dem Betroffenen ergriffen werden oder ergriffen werden können, so der Europäische Gerichtshof (EuGH) in seinem Urteil vom 5. September 2012 (Az. C 71/11 und C 99/11; verbundene Rechtssache).

In diesem Zusammenhang stellt der Gerichtshof fest, dass es sich bei einer Verletzung des Rechts auf Religionsfreiheit um eine Verfolgung handeln kann, wenn der Asylbewerber aufgrund der Ausübung dieser Freiheit in seinem Herkunftsland tatsächlich Gefahr läuft, verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Bei der Prüfung der Gefahr habe die zuständige Behörde auf der subjektiven Seite zu berücksichtigen, dass für den Betroffenen die Befolgung einer bestimmten religiösen Praxis in der Öffentlichkeit zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist.

Schließlich hebt der Gerichtshof hervor, dass dem Betroffenen, sobald feststeht, dass er nach Rückkehr in sein Herkunftsland religiöse Betätigungen vornehmen wird, die ihn der tatsächlichen Gefahr einer Verfolgung aussetzen, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt werden müsse.

Deutsche Behörden lehnten Asylanträge ab

Hintergrund des Verfahrens waren die Asylanträge zweier Pakistani, die derzeit in Deutschland leben. Sie gehören der Ahmadiyya-Gemeinschaft an und gaben an, dass sie wegen ihrer Zugehörigkeit zu dieser Gemeinschaft gezwungen gewesen seien, Pakistan zu verlassen. Einer der beiden trug vor, er sei in seinem Heimatdorf von einer Gruppe von Leuten mehrmals auf dem Gebetsplatz geschlagen und mit Steinen beworfen worden. Sie hätten ihn mit dem Tode bedroht und bei der Polizei wegen Beleidigung des Propheten Mohammed angezeigt. Der andere führte aus, er sei wegen seiner religiösen Überzeugung misshandelt und inhaftiert worden.

Die deutschen Behörden lehnten die Asylanträge ab, da ihrer Auffassung nach keine asylrechtlich relevante Verfolgung gegeben sei. Das mit den Rechtsstreitigkeiten befasste Bundesverwaltungsgericht ersuchte den Gerichtshof um Klarstellung, welche Beschränkungen der Glaubensbetätigung eine Verfolgung darstellen, die die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft rechtfertigt.

Nach der Richtlinie über die Flüchtlingseigenschaft  müssen die Mitgliedstaaten Angehörigen von Staaten, die nicht Mitglieder der Union sind, grundsätzlich diese Eigenschaft zuerkennen, wenn diese befürchten, wegen ihrer Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe in ihrem Herkunftsland verfolgt zu werden. Eine Handlung gilt als Verfolgung, wenn sie aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend ist, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellt.

 plö/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

EuGH zur Anerkennung als Flüchtling: Die tatsächliche Gefahr der Verfolgung wegen religiöser Handlungen reicht aus . In: Legal Tribune Online, 05.09.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7007/ (abgerufen am: 23.04.2024 )

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