Todesstrafe für den eigenen Mandanten gefordert: "Unerklärliche Inkompetenz"

Vernichtender kann ein Urteil kaum ausfallen: Wegen "unerklärlicher Inkompetenz" wurde einem Anwalt im US-Bundesstaat Kansas die Zulassung entzogen. Der Mann, der zu seiner eigenen Anhörung im Thomas Jefferson-Kostüm erschien, hatte zuvor in einem Mordverfahren gefordert, die Jury solle den Täter zum Tode verurteilen.

Die meisten Anwälte, die ihre Karriere resümieren, werden sich wohl an den einen oder anderen Fall erinnern, den sie geschickter hätten angehen können. Wer darüber in Selbstzweifel zu versinken droht, der kann sich mit dem Gedanken trösten, dass er vielleicht nicht perfekt ist, aber auch nicht Dennis Hawver.

So heißt der Mann, dem vom Kansas Supreme Court unlängst die Anwaltszulassung entzogen wurde – wegen "unerklärlicher Inkompetenz". Die soll Hawver in seiner vorherigen Vertretung des wegen Mordes angeklagten Phillip Cheatham an den Tag gelegt haben. In dem Verfahren hatte Anwalt Hawver unter anderem argumentiert, sein Mandant wäre niemals so dumm gewesen, zwei Personen zu erschießen, aber eine dritte Frau, die ihn später identifizieren konnte, am Leben zu lassen. Im Übrigen hätte Cheatham, den Hawver als professionellen Drogendealer und geübten Todesschützen bezeichnete, natürlich auch weniger Munition gebraucht.

Das ist zwar nicht gerade geeignet, den Angeklagten in der Gunst der Jury steigen zu lassen, folgt aber immerhin einer gewissen kaltblütigen Logik. Von Hawvers übrigem Vorgehen kann man das kaum behaupten. So erwähnte er ohne Not, dass die der Jury nicht näher bekannte Vorstrafe seines Mandanten ausgerechnet wegen eines Totschlags ergangen war und versuchte nicht, einen Unschuldsbeweis anhand der GPS-Daten von Cheathams Handy zu führen. In seinem Plädoyer forderte er gar vollmundig, die Jury möge den Täter zum Tode verurteilen – wohlgemerkt in einem Verfahrensabschnitt, in dem die Geschworenen sich bereits darauf festgelegt hatten, dass Cheatham der Täter war.

"I am incompetent!"

Tatsächlich wurde im Anschluss die Todesstrafe gegen den Angeklagten verhängt. Der hat allerdings Glück im Unglück: Die Entscheidung aus 2005 ist bis heute nicht vollstreckt. Inzwischen wird die Sache neu verhandelt, selbstredend mit einem neuen Strafverteidiger.

Hawver hingegen musste im September in eigener Sache vor Gericht. Dort erschien er kostümiert als Thomas Jefferson – seinem "Helden" und Urvater der amerikanischen Verfassung, auf die Hawver sich in dem Verfahren um sein Berufsverbot berief. Freilich ohne Erfolg: Das Recht auf freie Rede wird eben nicht schrankenlos gewährt – im Falle der Anwaltschaft findet es seine Grenzen unter anderem im Schutz der Mandanten, die vor unsinnigen oder gar schädlichen Ausführungen ihrer Verteidiger geschützt werden sollen. Das Recht auf anwaltliche Vertretung, das Hawver gleichfalls geltend machte, steht hingegen nicht ihm zu, sondern seinem Mandanten – eine kleines, aber feines Detail, das dem Ex-Anwalt offenbar entgangen war.

Viel mehr an Substanz liefert sein Vortrag nicht; die spärlichen Versuche einer Verteidigung zerlegt der Supreme Court in seinem ausführlichen Urteil mit spürbarem Genuss. Ein Höhepunkt der unfreiwilligen Komik ist allerdings erreicht, als Hawver – offenbar auf ähnliche psychologische Kniffe setzend wie zuvor bei seiner Verteidigung von Cheatham – mit der Faust auf das Rednerpult schlägt und donnernd erklärt: "I am incompetent!".

Immerhin kann man dem Mann nicht vorwerfen, dass er sich bei seinen Mandanten weniger Mühe gäbe als bei sich selbst. Hawver ist allem Anschein nach weder faul noch böswillig, sondern tatsächlich schlicht unfähig. Sein denkwürdiger Auftritt vor dem Supreme Court dürfte wohl zugleich sein letzter bleiben: Im Mai hatte er gegenüber dem Topeka Capital Journal erklärt, dass er sich unabhängig vom Ausgang des Verfahrens aus dem "unproduktiven" Anwaltswesen zurückziehen wolle – um stattdessen Gemüse in einer Hydrokultur anzubauen.

Wer neugierig ist und mit Fremdscham gut umgehen kann, findet Hawvers Auftritt ab 22:37 in diesem Video:

 

Zitiervorschlag

Constantin Baron van Lijnden, Todesstrafe für den eigenen Mandanten gefordert: "Unerklärliche Inkompetenz" . In: Legal Tribune Online, 29.11.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13959/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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