Kann Wirtschaftsrecht soziale Probleme lösen? Natürlich! Und zwar nicht nur Pro Bono. Manche Kanzleien verdienen mit der Beratung von gemeinnützigen Organisationen und Sozialunternehmen sogar echtes Geld.
Auch wer Gutes tun will, muss sich an Recht und Gesetz halten. "Die Rechtsberatung ist für den dritten Sektor absolut entscheidend", sagt Christin Heuer von Ashoka. Ihre Organisation fördert Sozialunternehmer weltweit, also solche, die mit einer unternehmerischen Idee ein gesellschaftliches Problem lösen wollen. Damit sind sie Teil des sogenannten dritten Sektors. Dazu gehören Stiftungen, soziale Verbände, Nichtregierungs-Organisationen und gemeinnützige Unternehmen, die sich für das Wohl von Gesellschaft und Umwelt einsetzen.
"Die Angst, etwas falsch zu machen, ist in diesem Bereich sehr groß. Denn die Folgen können dramatisch sein", sagt Heuer. Etwa dann, wenn einer Organisation oder einer gGmbH die Gemeinnützigkeit abgesprochen wird. Dann geht es um das pure Überleben. "Jedoch können sich unsere Fellows kaum bezahlten Rechtsrat leisten. Es läuft quasi alles Pro Bono ab." Heuer vermittelt zwischen den Sozialunternehmern und Kanzleien, die Zeitkontingente für Pro-Bono-Beratung anbieten. Die Warteliste ist lang. Heuer: "Die Rechtsberatung ist für unsere Fellows die wertvollste - aber auch die teuerste - Hilfe."
Pro-Bono-Engagement als Karrierevorteil
Die hohe Nachfrage nach Pro-Bono-Beratung spüren viele Kanzleien. Manche bieten ihren Anwälten die Möglichkeit, sich für eine gewisse Anzahl von Stunden im Jahr ehrenamtlich zu engagieren. Insbesondere Kanzleien mit amerikanischen Wurzeln sind ganz vorne mit dabei, denn in den USA hat die Pro-Bono-Beratung eine lange Tradition. Ungleich dem deutschen System gibt es dort keine Rechtskostenhilfe.
Auch das Management von Hogan Lovells hat dem Ehrenamt eine gewisse Priorität eingeräumt und stellt die Anwälte für 25 Stunden im Jahr von ihrer Mandatsarbeit frei. Der Anreiz für Pro-Bono-Aktivitäten ist hoch. "Wer in den jährlichen Feedbackgesprächen kein Engagement vorweist, hat zwar keinen Nachteil", sagt Dr. Steffen Steininger, Patentrechtler in München. "Doch diejenigen, die sich für Corporate Social Responsibility(CSR)-Aktivitäten einbringen, profitieren davon. Beispielsweise in Form von Boni." Steininger koordiniert seit Juli 2016 als Pro-Bono-Partner für Kontinentaleuropa die entsprechenden Projekte.
Inhaltlich anspruchsvoll
Pro Bono-Beratung für soziale Organisationen und Unternehmen ist Teil der CSR-Aktivitäten von Hogan Lovells. Der Fokus auf Social Entrepreneurs, also Sozialunternehmer, resultiert maßgeblich aus der Zusammenarbeit mit Ashoka. Die Kooperation besteht seit Jahren und wurde noch vom Ex-Hogan Lovells-Partner Dr. Matthias Koch gestartet, der mittlerweile BGH-Anwalt ist. Für die Ashoka-Fellows ist die Initiative ein Segen.
Doch nicht nur die Sozialunternehmer profitieren, auch die Sozietät hat etwas davon. "Es gibt bei unseren Anwälten durchaus den Wunsch, etwas für die Gesellschaft zu tun", sagt Steininger. "Insbesondere bei den Jüngeren. Und auch Erfahrenere interessieren sich für spannende Unternehmen, die Begeisterung wecken." Die Pro-Bono-Beratung eignet sich also durchaus als Vehikel im Recruitment und bietet jüngeren Anwälten die Chance, freier zu beraten. Denn dort geht es nicht um millionenschwere Transaktionen, sondern um solche mit weit geringerem Volumen. Nichtsdestotrotz gilt derselbe Anspruch an Qualität wie bei zahlenden Mandanten.
Inhaltlich unterscheiden sich die Themen nicht wesentlich von normaler Rechtsberatung. "Die Sozialunternehmen befassen sich mit ähnlichen Problemen wie andere Wirtschaftsunternehmen", erzählt der Hogan-Lovells-Partner. "Auch hier entwerfen unsere Anwälte Satzungen, formulieren Arbeits- oder Mietverträge oder bearbeiten markenrechtliche Fragen."
Der größte Wunsch: Steuerberatung
Christin Heuer hat bereits unzählige Pro-Bono-Anfragen zwischen Kanzleien und Sozialunternehmen weitervermittelt. Den größten Bedarf sieht sie in der Steuerberatung. Denn diese entscheidet über Gemeinnützigkeit oder nicht. "Wenn sich unsere Fellows eines wünschen dürften, dann wäre es wohl die Steuerberatung", sagt Heuer. "Denn insbesondere das deutsche Steuersystem macht es gemeinnützigen Organisationen und Unternehmen nicht einfach, Geld zu verdienen und ein sauberes Geschäft aufzubauen."
Dr. Stefan Winheller ist einer der Anwälte, die diesen Wunsch des sozialen Sektors nach Steuerberatung erfüllen. Anders als Hogan Lovells allerdings gegen Bezahlung, denn das Geschäftsmodell seiner Kanzlei Winheller basiert auf der Beratung gemeinnütziger Unternehmen. "Mich interessiert die Branche genau deshalb, weil ich aus dem Steuerrecht komme. Ich wollte mit Menschen zu tun haben, die Gutes tun, interessante Projekte umsetzen und anderen helfen", begründet Winheller seine Motivation. "Alternativ für vermögende steuerpflichtige Stiftungen in Liechtenstein zu errichten, um Steuern zu 'sparen', hat mich nie angesprochen." Also schlug er einen anderen Weg ein.
2/2 Es muss nicht immer Pro Bono sein
Als Winheller seine Kanzlei vor zehn Jahren gründete, besetzte er mit dem dritten Sektor eine Nische. Der Steuerrechtler kam früh mit Nichtregierungs-Organisationen, Stiftungen und sozialen Verbänden in Kontakt. Er schrieb an einer Doktorarbeit zu diesem Thema und absolvierte ein Aufbaustudium in den USA. Dort hat das Spenden - und somit das Verwalten und Weiterleiten von Spendengeldern - eine lange Tradition. Mit dieser ursprünglichen Idee kehrte Winheller zurück nach Deutschland und gründete seine Kanzlei. Heute sind dort 16 Anwälte beschäftigt.
Der Fokus auf den gemeinnützigen, sogenannten dritten Sektor hat sich bewährt. "Mittlerweile decken wir die gesamte Bandbreite des Wirtschaftsrechts ab", sagt Winheller. "Unsere Mandanten bestehen aus Neugründungen und schon lange am Markt tätigen NGOs, aus Stiftungen, Altersheim- und Kindergartenbetreibern, aus Schulen und religiösen Einrichtungen, aus Sportvereinen, Forschungsinstituten und großen internationalen Hilfsorganisationen."
Insbesondere letztere verfügen über reichlich Fördergelder und Personal, weshalb die Rechtsfragen sich dort denen eines Mittelständers gleichen. Winheller: "Und oben drauf kommt das Gemeinnützigkeitsrecht. Das ist der maßgebliche Unterschied."
Manchmal prallen Welten aufeinander
Selbst die Akquise ähnelt sich: Netzwerke, Vorträge, Veröffentlichungen. Winheller hält es wie seine Kollegen in anderen Wirtschaftskanzleien und hat viel daran gearbeitet, seinen Branchenfokus bekannt zu machen. Auch Hogan Lovells nutzt klassisches Marketing, um ihre Pro-Bono-Beratung bei Sozialunternehmern vorzustellen. Denn wo Kontingente freigehalten werden, sollen die natürlich genutzt werden. Viele kleine gemeinnützige Unternehmen haben allerdings eine Scheu davor, bei einer Großkanzlei anzufragen. Diesem Image möchte Hogan Lovells entgegenwirken, etwa indem sie eine Podiumsdiskussion über Social Entrepreneurship organisiert.
"In gewisser Weise prallen dort tatsächlich Welten aufeinander", sagt Ashoka-Mitarbeiterin Heuer. Die Anwälte und Sozialunternehmer müssten sich oft erst aneinander gewöhnen. "Klassische Wirtschaftsanwälte betreten mit dem gemeinnützigen Sektor eine ganz andere Welt. Sie treffen auf Engagierte, die ohne Gewinnabsicht soziale Probleme lösen möchten. Den meisten ist es zudem eine persönliche Herzensangelegenheit." Emotionale Szenen während der Beratung, kommen jedoch nur sehr selten vor. Die Erfahrung zeigt, dass viele Gründer von sozialen Unternehmen zuvor viele Jahre in der ‚echten‘ Wirtschaft verbracht haben.
Beide Seiten lernen voneinander
Für Heuer profitieren beide Seiten: "Sozialunternehmer lernen, dass nicht immer alles gut läuft und dass es hilfreich sein kann, im Vorfeld verschiedene Szenarien zu durchdenken." Die Anwälte hingegen bekommen einen Einblick in ganz andere Themenfelder. "Die Anwälte schätzen die Persönlichkeiten der Sozialunternehmer und können sich Bereiche aussuchen, die sie persönlich interessieren. Etwa Bildungs- oder Kinderprojekte."
Der bunte Strauß des dritten Sektors biete für jeden Geschmack etwas, findet Steuerrechtler Winheller. "Manche Organisationen und Verbände zahlen Großkanzlei-Stundensätze. Andere wiederum können sich kaum etwas leisten und sind auf das ehrenamtliche Engagement angewiesen." Für ihn muss nicht immer alles Pro Bono laufen. Sonst wäre seine Kanzlei längst nicht mehr am Markt.
Désirée Balthasar, Soziale Unternehmen und Wirtschaftsrecht: "Da prallen Welten aufeinander“ . In: Legal Tribune Online, 22.09.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20642/ (abgerufen am: 20.04.2024 )
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