Verhandlungstechnik: Wie sich Ent­schei­dungen beein­flussen lassen

Gastbeitrag von Ass. jur. Carmen Schön

07.01.2019

Wer möchte seinem Gegenüber in zähen Verhandlungen nicht gerne einen sanften Schubs geben, damit eine Entscheidung zu seinen Gunsten fällt? Juristencoach Carmen Schön gibt Tipps, wie das gelingen kann.

Viele Menschen sind zutiefst davon überzeugt, dass sie ihre Entscheidungen meist völlig unabhängig und unbeeinflusst treffen. Das stimmt aber nicht. Es gibt viele Faktoren, nach denen entschieden wird, und diese Faktoren zu kennen, kann auch bei beruflichen Verhandlungen – etwa bei der Mandatsakquise - helfen. Zu den wichtigsten Kniffen, die man einsetzen kann, um eine Entscheidung zu seinen Gunsten zu lenken, zählen Reziprozität, Autorität, Verknappung und Konsistenz.

Reziprozität bedeutet im Grunde, das Gegenüber in die Schuld zu setzen, so dass es einen Ausgleich schaffen will. Diesen Trick kennt man aus Alltagssituationen. Beim Einkauf im Supermarkt werden uns Käsehäppchen angeboten, in der Parfümerie gibt es Probepackungen und im Fitness-Studio Schnupperstunden – wir dürfen alles kostenlos ausprobieren. Wenn dann eine gewiefte Verkäuferin auf uns zukommt, während wir den Käse kauen, und sagt: "Nicht wahr, der schmeckt doch ganz wunderbar?!" – dann nicken wir fast automatisch und kaufen das Produkt. Das liegt daran, dass die meisten Menschen ein schlechtes Gewissen haben, wenn sie etwas geschenkt bekommen. Sie wollen dann gerne einen Ausgleich schaffen.

Wie Du mir, so ich Dir

Übertragen auf den Anwaltsberuf könnte das etwa bedeuten, dass Sie einem Kollegen oder Mandanten vielleicht ein kleines Büchlein schenken, ihn zum Mittagessen oder ins Fußballstadion einladen, womöglich auch nur einen Netzwerk-Kontakt weitergeben. Dann steht der andere in Ihrer Schuld und wird versuchen, Ihnen im Gegenzug auch etwas Gutes zu tun.

Mit Reziprozität ist nicht Bestechung gemeint, jedoch ist sie mit ein Grund dafür, warum Mitarbeitende vieler Unternehmen und Behörden aus Compliance-Gründen keine Einladungen akzeptieren und keine Geschenke annehmen dürfen. Sie möchten nicht in eine wechselseitige Abhängigkeit geraten. Denn wenn wir ehrlich sind: Man kann sich nur schwer frei machen von dem Impuls, demjenigen, der einem einen Gefallen getan hat, bei Gelegenheit auch zu helfen.

Wer publiziert, gewinnt

Menschen kaufen gerne von Autoritäten, also von Menschen, die im Markt als Autorität gelten. Das ist der Grund, warum viele Juristen so eifrig Artikel und Bücher schreiben. Durch das Publizieren werden sie bekannt und zu einer Autorität in seinem Rechtsgebiet. Das zieht fast automatisch Mandanten an. Auch wenn natürlich derjenige, der am meisten publiziert, nicht zwingend der Beste in seinem Rechtsgebiet ist. Aber er ist zumindest derjenige mit dem besten Marketing.

Neben dieser erworbenen gibt es auch eine natürliche Autorität. Sie drückt sich durch das Alter, die Seniorität und Titel aus. Nicht zuletzt deshalb sind viele Anwälte so scharf auf die Partnerschaft. Auch wenn es gar keine Equity-Partnerschaft ist – entscheidend ist, dass auf der Visitenkarte "Partner" steht. Denn dann ist klar, dass der Anwalt in seiner Kanzlei auch etwas zu sagen hat.

"Ich bin gerade sehr gut ausgelastet, aber…"

Das Mittel der Verknappung kennt man von einer bekannten US-Modemarke: Die Geschäfte sind schwer zu finden, und wenn man sie einmal gefunden hat, muss man Schlange stehen, um hinein zu kommen. Für viele Menschen steigert es die Begehrlichkeit, wenn sie auf etwas warten müssen.

Natürlich wollen Sie als Anwalt ihre Mandanten nicht vor der Kanzlei stehen lassen. Aber Sie könnten sich ein wenig bitten lassen, beispielsweise indem Sie eine Terminanfrage nicht sofort bestätigen. Lassen Sie im Gespräch mit dem (potenziellen) Mandanten durchblicken, dass Sie ganz gut ausgelastet sind  - sofern es stimmt. Machen Sie ihm deutlich, dass Sie vor den Terminen einige Wochen Vorlauf haben und bitten Sie darum, dass er einen Termin, den er nicht wahrnehmen kann, frühzeitig absagt,. Denn Sie haben eine Reihe anderer Mandanten, die auf Termine warten.

Versprochen ist versprochen

Stellen Sie sich folgendes Beispiel vor: Vertreter einer Umweltorganisationen klingeln an Ihrer Wohnungstüre, man sammele Unterschriften für die Rettung der Wale. Sie geben Ihre Unterschrift, denn das kostet ja nichts und hilft dennoch. Einige Wochen später klingeln dieselben Vertreter wieder an der Tür: "Wir wissen, dass Ihnen Wale sehr am Herzen liegen, denn Sie haben sich an einer Unterschriftensammlung beteiligt. Möchten Sie nun Geld für die Walrettung spenden?"

Menschen handeln gerne konsistent, deshalb fällt es Ihnen nun sehr viel schwerer, nein zu sagen und nichts zu spenden. Zumal Ihr Gegenüber ein starkes Argument in der Hand hat: Sie haben mit Ihrer Unterschrift gezeigt, dass Ihnen die Rettung der Wale ein Anliegen ist.

Als Anwalt können Sie versuchen, eine ähnliche Situation zu schaffen. Lassen Sie sich von demjenigen, den Sie als Mandanten gewinnen wollen, etwas versprechen und erinnern Sie ihn beizeiten daran. Wenn ein Unternehmensjurist Ihnen beispielsweise sagt, dass die Rechtsabteilung einmal pro Jahr neue Kanzleien zum Kennenlernen einlädt, dann pochen Sie darauf, dass auch Sie eingeladen werden.

Ob Reziprozität, Autorität, Verknappung oder Konsistenz – Menschen sind ständig Beeinflussungen ausgesetzt, sei es bei alltäglichen Kaufentscheidungen, Verhandlungen im Job oder in Akquise-Situationen. Sich mit den psychologischen Mechanismen vertraut zu machen, kann dabei helfen, nicht selbst manipuliert zu werden und Verhandlungen so zu beeinflussen, dass am Ende ein für beide Seiten gutes Geschäft steht.

Die Volljuristin und ehemalige Rechtsabteilungsleiterin Carmen Schön berät und coacht Juristen, Führungskräfte und Anwaltskanzleien zu Themen wie Geschäftsaufbau, Führung, Auftritt und Wirkung.

Zitiervorschlag

Verhandlungstechnik: Wie sich Entscheidungen beeinflussen lassen . In: Legal Tribune Online, 07.01.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/32977/ (abgerufen am: 20.04.2024 )

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