Russland-Sanktionen: Los­lö­sung vom Ver­trag wegen US-Sank­tionen?

Gastbeitrag von Artur Baron

25.04.2018

Deutsche Firmen laufen Gefahr, selbst sanktioniert zu werden, wenn sie Geschäfte mit sanktionierten russischen Unternehmen machen. Sich vertraglich dagegen abzusichern, ist problematisch, weil die Rechtslage unklar ist, meint Artur Baron.

Seit die USA und die EU Sanktionen gegen Russland verhängt haben, tauchen bei M&A-Transaktionen, Joint Ventures oder Lieferverträgen mit russischen Geschäftspartnern vermehrt Sanktionsklauseln auf. Sie können zum Beispiel ein Rücktrittsrecht für den Fall vorsehen, dass einer der Vertragspartner sanktioniert wird, sie können Sanktionen ausdrücklich als Fall höherer Gewalt (force majeure) definieren oder im Fall von territorialen Sanktionen - etwa auf der Krim - den Bestimmungsort der zu liefernden Ware beschränken.

Wegen der exterritorialen Wirkung der US-Sanktionen werden solche Klauseln auch für deutsche Unternehmen immer wichtiger, zumal mittlerweile ein erheblicher Teil der russischen Wirtschaft von US-Sanktionen erfasst ist und weitere drohen. Als geeignetes Schutzinstrument kommt insbesondere ein Rücktrittsrecht für den Fall in Betracht, dass der russische Vertragspartner sanktioniert wird. Ob ein solches Recht per Gesetz besteht, vertraglich wirksam vereinbart werden kann und in der Praxis funktioniert, ist allerdings nicht ganz eindeutig.

Zunächst stellt sich die Frage, welches Recht auf die Vertragsbeziehung anwendbar ist und vor welchem Gericht man im Streitfall prozessieren würde. Im deutsch-russischen Geschäftsverkehr ist es aus Sicht deutscher Unternehmen aufgrund der beschränkten Vollstreckungsmöglichkeiten üblich, sich entweder auf ein staatliches russisches Gericht oder ein Schiedsgericht zu einigen; Urteile deutscher staatlicher Gerichte werden in Russland nicht vollstreckt.

Will man in Russland vor staatlichen Gerichten streiten, ist die Vereinbarung russischen Rechts quasi alternativlos. Sollen mögliche Konflikte vor einem Schiedsgericht geklärt werden, bietet sich hingegen die Vereinbarung deutschen Rechts oder des UN-Kaufrechts an.

Russische Gerichte: Wirtschaftssanktionen sind keine höhere Gewalt

Aus russischer Sicht steht es um die Rücktrittsmöglichkeiten deutscher und auch sonstiger europäischer Vertragspartner wegen US-Sanktionen eher schlecht. Das russische Zivilgesetzbuch sieht zwar insbesondere für den Fall höherer Gewalt ein Rücktrittsrecht vor. Doch russische Gerichte haben die Annahme einer "force majeure" bei Wirtschaftssanktionen bisher überwiegend abgelehnt.

So zähle etwa die Verhängung von Importverboten durch die russische Regierung zum unternehmerischen Risiko und rechtfertige daher nicht ohne weiteres die Annahme höherer Gewalt, entschied das Arbitragegericht für die Region Nord-West (Urt. v. 01.09. 2015, Az. 13АП-12243/2015]. Hinzu kommt, dass US-Sanktionen in einer deutsch-russischen Vertragsbeziehung die Vertragserfüllung nicht ohne weiteres unmöglich machen.

Russische Unternehmen müssen Sanktionen nicht beachten

Was EU-Sanktionen gegen Russland betrifft, so hat erst vor einigen Monaten das durchaus renommierte staatliche Arbitragegericht der Stadt Moskau ausgeführt: Würden Gerichte anerkennen, dass russische Unternehmen verpflichtet sind, EU-Sanktionen zu beachten, dann würde das offensichtlich der öffentlichen Ordnung (ordre public) der Russischen Föderation widersprechen und ihrer Souveränität schaden (Urt. v. 17.01.2018, Az.: А40-171207/17-111-1562, nicht rechtskräftig).

Anders gesagt: Russische Unternehmen brauchen EU-Sanktionen im Rahmen ihrer Vertragsbeziehungen mit westlichen Geschäftspartnern nicht zu beachten. Gleiches gilt für US-Sanktionen. Zudem wird seitens des russischen Gesetzgebers derzeit erwogen, die Beachtung von US-Sanktionen per Gesetz ausdrücklich zu verbieten und unter Strafe zu stellen. Vertragliche Klauseln gleich welcher Art, die im Ergebnis westlichen Sanktionen Geltung verschaffen würden, sind damit aus russischer Sicht extrem problematisch.

Dies kann auch gelten, wenn deutsches Recht anwendbar ist und man sich vor einem Schiedsgericht streitet. Selbst wenn nämlich das deutsche Recht eine gesetzliche oder vertragliche Loslösungsmöglichkeit hergäbe, wäre damit nicht viel gewonnen, wenn auf Basis des entsprechenden Schiedsspruchs in Russland vollstreckt werden müsste. Würde das für die Anerkennung von Schiedssprüchen zuständige russische Gericht den Schiedsspruch anerkennen, würde es gegen ordre public verstoßen.

Nur wenn es um die reine Loslösung von den eigenen Vertragspflichten geht, ohne dass anschließend die erbrachten Leistungen aus Russland zurückgeholt oder sonstige Ansprüche geltend gemacht werden müssen, wäre allein das deutsche Recht maßgeblich.

Unklare Situation für deutsche Firmen bei US-Sanktionen

Bei EU-Sanktionen, die jedes deutsche Unternehmen unmittelbar beachten muss, liegt es nahe anzunehmen, dass ein gesetzliches Rücktrittsrecht wegen Unmöglichkeit oder Störung der Geschäftsgrundlage besteht. Bei US-Sanktionen, die über EU-Sanktionen hinausgehen, ist das aber nicht eindeutig.

Eine ganze Reihe von Fragen sind ungeklärt: Handelt es sich um Unmöglichkeit im Sinne des § 275 Abs. 1 BGB oder um einen Fall der Störung der Geschäftsgrundlage im Sinne des § 313 BGB, wenn eine Transaktion zwar nicht nach deutschem Recht, jedoch nach US-Recht verboten ist und dem deutschen Unternehmen bei Durchführung der Transaktion sogenannte sekundäre Sanktionen seitens der USA drohen?

Das OLG Frankfurt hat sowohl Unmöglichkeit als auch Störung der Geschäftsgrundlage in einer Entscheidung aus dem Jahr 2011 verneint (Urt. v. 05.09.2011, Az.: 23 U 30/10) und ist davon ausgegangen, dass das Risiko sekundärer Sanktionen zumutbar ist. Dieses Urteil wird in der juristischen Literatur jedoch mit gewichtigen Argumenten in Frage gestellt. So habe das Gericht bei der Frage der Zumutbarkeit unzutreffend auf die milde Sanktionspraxis der US-Behörden abgestellt, während in Wirklichkeit sekundäre Sanktionen gegen europäische Unternehmen in signifikanter Höhe verhängt wurden (siehe  Mayer/Albrecht in WM 2015, 1226). Damit ist nicht sicher, wie ein anderes Gericht den Fall unter heutigen Umständen entscheiden würde. Im Ergebnis würde es wohl auf die Umstände des konkreten Falls ankommen.

Unklar ist außerdem, inwieweit das in § 7 der deutschen Außenwirtschaftsverordnung (AWV) geregelte Verbot, sich an einem ausländischen Boykott gegen einen anderen Staat zu beteiligen, bei der Frage der Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit berücksichtigt werden muss.

Vertragliches Rücktrittsrecht vs. § 7 AWV

Da ein gesetzliches Rücktrittsrecht also auch aus deutscher Sicht problematisch erscheint, fragt sich, ob ein vertragliches Rücktrittsrecht wirksam vereinbart werden könnte. Auch insoweit wird § 7 AWV relevant. Denn eine Erklärung, die gegen das dort geregelte Boykottverbot verstößt, ist gemäß § 134 BGB nichtig. Die Vertragsklausel müsste also jedenfalls so konstruiert werden, dass sie nicht in den Anwendungsbereich des § 7 AWV fällt.

Außerdem muss die Klausel auch der Billigkeitskontrolle nach §§ 307, 242 BGB Stand halten. Dabei wird es zwar entscheidend auf die Umstände des konkreten Falls ankommen. Die berechtigten Interessen des russischen Vertragspartners im Fall der Sanktionierung durch die USA sollten im Vertrag jedenfalls nicht unberücksichtigt bleiben.

Die rechtlichen Möglichkeiten, sich wegen US-Sanktionen von den Pflichten gegenüber russischen Vertragspartnern wegen loszusagen, sind mindestens nicht eindeutig, teilweise sogar sehr begrenzt. Mangels Alternativen ist trotzdem anzuraten, dass bei wichtigen Transaktionen eine Sanktionsklausel in den Vertrag aufgenommen wird. Ob, wie und gegen wen man mit einer solchen Klausel anschließend arbeitet, hängt davon ab, welche Ziele man verfolgt und in welcher Konstellation man sich befindet.

Der Autor Artur Baron ist Rechtsanwalt für Gesellschaftsrecht bei CMS in Deutschland, er begleitet daneben grenzüberschreitende Transaktionen mit dem Länderschwerpunkt Russland.

Zitiervorschlag

Artur Baron , Russland-Sanktionen: Lossung vom Vertrag wegen US-Sanktionen? . In: Legal Tribune Online, 25.04.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/28263/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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