Rechtsmarkt Russland: "Es gilt, was ge­schrie­ben steht"

von Henning Zander

18.06.2015

Trotz aller politischen Kontroversen – Russland gehört für deutsche Unternehmen immer noch zu den wichtigsten Märkten. Doch es lauern juristische Fallstricke, vor allem die Rechtsauslegung ist viel formeller.

Wer geschäftlich in Russland tätig ist, stößt schon bald auf ein Paradoxon. Es ist wichtig, mit russischen Geschäftspartnern eine persönliche Basis aufzubauen. Auf dieser Basis werden dann Verträge geschlossen. Geht es dann aber doch einmal vor Gericht, zählt die Auslegung nach Sinn und Zweck bestimmter Klauseln wenig. In Russland geht die Rechtsprechung sehr viel formeller vor: "Es gilt, was geschrieben steht", sagt Andreas Dippe. Er ist Rechtsanwalt bei Derra Meyer & Partner. Zusammen mit zwei weiteren Rechtsanwälten ist er in der Kanzlei für Mandate mit Russland-Bezug zuständig.

Zwar haben sich die wirtschaftlichen Beziehungen mit Russland aufgrund der Ukraine-Krise, EU-Sanktionen und der derzeitigen wirtschaftlichen Schwäche des Landes etwas abgekühlt. Dennoch ist Russland für Deutschland immer noch ein wichtiger Handelspartner. Im Jahr 2014 exportierten deutsche Unternehmen Waren im Wert von rund 29,3 Milliarden Euro dorthin. Eine ganze Reihe von Kanzleien aus Deutschland hat sich darauf spezialisiert, deutsche Unternehmen bei deren Russlandgeschäften zu beraten, aber auch russische Mandanten, die in Deutschland investieren wollen.

Niedrige Gerichtskosten befördern Streitlust

Während das deutsche Recht große Freiheiten bei der Vertragsgestaltung kennt, ist es in Russland hingegen sinnvoll, sich eng an das Gesetz anzulehnen. Dabei kommt es manchmal zu kuriosen Umständen, etwa beim Grundstückserwerb. "Grundsätzlich gilt in Russland, dass ausländische Unternehmen keinen Grund und Boden für landwirtschaftliche Zwecke erwerben können", erzählt Dippe.

"Das gilt auch für deren russische Tochtergesellschaften. Die Töchter dieser Töchter allerdings könnten entsprechende Grundstücke erwerben." In Deutschland würde man darunter wohl eine Umgehung des gesetzlichen Zweckes sehen. "In Russland hingegen heißt es: Das ist die Anwendung des Gesetzes."
Im Vergleich mit Deutschland gibt es in Russland eine höhere Bereitschaft, Konflikte auf dem Klageweg auszutragen. "Die Gerichtskosten sind relativ niedrig", erklärt Andreas Dippe. Bei den Kosten für die Rechtsberatung hingegen kann es Überraschungen geben. "In welchen Maße Anwaltskosten bei einer erfolgreichen Klage von der Gegenseite übernommen werden, hängt ganz vom zuständigen Gericht und dem urteilenden Richter ab."

Es wirkt sich bei Gerichtsprozessen in Russland grundsätzlich positiv aus, dass es für russische Richter Fristen gibt, innerhalb derer sie Entscheidungen fällen müssen. Damit wird der zeitliche Rahmen für Prozesse absehbar. Einen Haken hat dies allerdings: Um Fristen einzuhalten, urteilen die Richter schnell – dadurch können sich aber auch Fehler einschleichen.

Große Unterschiede zu Deutschland gibt es im Strafrecht. Hier ist das Vertrauen der Richter in die ermittelnden Organe sehr groß. Verteidiger werden eher als Störfaktor angesehen. Die Freispruchrate ist dementsprechend gering. Drastischer als in Deutschland sind dann auch die Strafen. Nicht umsonst beantragen viele Deutsche, die Haftstrafen in Russland verbüßen müssen, in ein deutsches Gefängnis überführt zu werden. Seit 2007 gibt es ein entsprechendes Überstellungsverfahren.

Misstrauen gegenüber Gericht und Anwalt

"Es gibt zwischen Deutschen und Russen unterschiedliche Einstellungen gegenüber der Justiz und ihren Einrichtungen", sagt Josef Nachmann, Geschäftsführer der Nachmann Rechtsanwalts GmbH. Deutsche vertrauen ihren Gerichten und deren Rechtsprechung weitgehend. "In Russland ist das nicht so. Da werden Gerichtsakten lieber gerne noch einmal auf Vollständigkeit überprüft." Dieses Vorsichtsdenken setzt sich auch in der Beziehung zum Anwalt fort. Schriftliche Vereinbarungen mit russischen Mandanten fallen in der Regel sehr umfangreich aus. "Doch wenn erst einmal alles geklärt ist, ist die Zusammenarbeit unproblematisch", sagt Nachmann.

Die Kanzlei berät insbesondere russische Mandanten bei deutschen Rechtsfragen. Als Rechtsanwalt sei man nicht nur Berater, sondern insbesondere auch Moderator zwischen den Rechtssystemen, sagt Nachmann. Diese ähnelten sich im Kern. Dennoch gebe es starke Unterschiede, insbesondere in formeller Hinsicht. Während zum Beispiel in Deutschland selbst Gesellschaftsverträge mündlich geschlossen werden können, braucht es in Russland für diese und viele weitere Vereinbarungen die Schriftform.

Auch Mark Mandelbaum von der Kanzlei Tandler & Partner berät russische Mandanten, die in Deutschland investieren wollen. Die Geldanlage in Deutschland gelte als Absicherung. Nicht erst seit dem Konflikt in der Ukraine, sondern schon mit dem Beginn der ersten Wirtschaftsstrafprozesse, etwa gegen Michail Chodorkowski, dem russischen Unternehmer und früheren Vorstandsvorsitzenden des Ölkonzerns Yukos. Investiert wird in Immobilien, aber auch in Unternehmensanteile.

Umgekehrt berät der Rechtsanwalt auch Deutsche bei Sachverhalten mit russischem Bezug. Welcher Gerichtsstand etwa ist zu empfehlen, wenn man ein deutsch-russisches Joint-Venture gründen will? "Das muss nicht unbedingt Deutschland sein", sagt Mark Mandelbaum. "Vielleicht ist es hier leichter, ein Urteil zu bekommen. Aber einen deutschen Titel in Russland zu vollstrecken, das ist nahezu unmöglich."

Deutsches Rechtssystem als sicherer Hafen

Grundsätzlich sei etwa das russische Gesellschaftsrecht in vielen Punkten mit dem deutschen vergleichbar. Bis vor einiger Zeit gab es auch ein eigenes Oberstes Wirtschaftsgericht. Nun wurde es allerdings mit dem höchsten Organ der ordentlichen Gerichtsbarkeit, dem Obersten Gericht, zusammengelegt. Welche Folgen dies für die Rechtsprechung habe, sei für ihn noch nicht absehbar, sagt Mandelbaum.

Und wie wirken sich der Konflikt Russlands mit der Ukraine und die daraus resultierenden Spannungen mit der EU aus? "Deutsche Unternehmen haben viele Projekte auf Eis gelegt, weil sie die politische Lage in Russland nicht richtig einschätzen können", sagt Andreas Dippe von Derra Meyer & Partner.

Russen hingegen, die in Deutschland investieren wollen, gebe es immer noch. Allenfalls die Rubelschwäche beeinträchtige das Geschäft ein wenig, meint Dippe. Die russischen Investoren würden die Sicherheit des deutschen Rechts schätzen. Und auch den Schutz, den ihnen das deutsche Recht etwa vor Übergriffen eventuell vor Staatsorganen in Russland bietet. Einen weiteren Vorteil hat es für die Russen, hier in Deutschland zu investieren: Nach drei Jahren erfolgreicher unternehmerischer Tätigkeit in Deutschland gibt es für die Unternehmer und ihre Familienmitglieder eine unbefristete Niederlassungserlaubnis.

Zitiervorschlag

Henning Zander, Rechtsmarkt Russland: "Es gilt, was geschrieben steht" . In: Legal Tribune Online, 18.06.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15883/ (abgerufen am: 23.04.2024 )

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