OLG Düsseldorf zu D&O-Versicherungen: Gefähr­liche Deckungs­lücke bei ver­spä­tetem Insol­venz­an­trag

Gastbeitrag von Dr. Thomas Rieger und Dr. Michael Flitsch

22.08.2018

Werden Geschäftsführer vom Insolvenzverwalter in Anspruch genommen, haften sie eventuell trotz D&O-Versicherung persönlich, entschied das OLG Düsseldorf. Thomas Rieger und Michael Flitsch mit den Hintergründen des Grundsatzurteils.

Das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf hat ein Grundsatzurteil zum Umfang des Versicherungsschutzes von sogenannten D&O-Versicherungen gefällt, das für viel Aufsehen bei Führungskräften in Unternehmen, Insolvenzverwaltern und Industrieversicherern gesorgt haben dürfte (Urt. v. 20.07.2018; Az.: 4 U 93/16). Denn der vierte Zivilsenat des OLG hat entschieden, dass Vermögensschaden-Haftpflichtversicherungen für Vorstände, Geschäftsführer und leitende Angestellte – sogenannte D&O-Versicherungen –, nicht eintreten müssen, wenn ein Geschäftsführer für Zahlungen haftbar gemacht wird, die nach der materiellen Insolvenzreife geleistet wurden.

Hintergrund ist, dass Geschäftsführer gemäß § 64 GmbH-Gesetz (GmbHG) der insolventen Gesellschaft zum Ersatz von Zahlungen verpflichtet sind, die geleistet werden, nachdem die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft eingetreten ist oder nachdem ihre Überschuldung festgestellt wurde. Die parallele Haftung von Vorständen und Aufsichtsräten ist in §§ 92, 93, 116 AktG geregelt.

Stellt ein Geschäftsführer verspätet Insolvenzantrag, haftet er dem Unternehmen gegenüber grundsätzlich für sämtliche Zahlungen, die die Gesellschaft im Zeitraum zwischen der materiellen Insolvenzreife und der tatsächlichen Insolvenzantragstellung geleistet hat. Nicht selten liegen die Haftungsansprüche des Insolvenzverwalters deutlich über den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des haftenden Geschäftsführers. Solche Haftungsrisiken versuchen diese über die D&O-Versicherungen zu minimieren.

Insolvenzverwalter forderte mehr als 200.000 Euro zurück

Im vom OLG Düsseldorf entschiedenen Fall war die Geschäftsführerin einer GmbH nach § 64 GmbHG erfolgreich von dem Insolvenzverwalter der Gesellschaft in Anspruch genommen worden, da die GmbH nach Eintritt der Insolvenzreife noch Überweisungen von über 200.000 Euro ausgeführt hatte. Der Insolvenzverwalter hatte ein rechtskräftiges Zahlungsurteil gegen die Geschäftsführerin erwirkt. Diese meldete die Forderung bei ihrem Versicherer an und verlangte Freistellung. Nach ihrer Auffassung muss ihre D&O-Versicherung auch für derartige Haftungsansprüche, die gegen sie gerichtet sind, aufkommen. Der Versicherer wollte nicht bezahlen, und die Geschäftsführerin klagte. Da ihre Klage erster Instanz erfolglos blieb, ging sie vor dem OLG Düsseldorf in Berufung.

Spätestens seit einer unveröffentlichten Entscheidung des OLG Celle aus dem Jahr 2016 (Beschl. v. 01.04.2016; Az.: 8 W 20/16) wird diskutiert, ob Ansprüche gegen Organe wegen Zahlungen nach Insolvenzreife überhaupt unter den Versicherungsschutz von D&O-Versicherungen fallen. Das OLG Celle hat dies damals ohne Begründung verneint. Das OLG Düsseldorf verneint dies ebenfalls, liefert im Gegensatz zum OLG Celle aber eine Begründung.

D&O-Versicherungen dienen nicht dem Gläubigerinteresse

Demnach ist der Haftungsanspruch gemäß § 64 GmbHG mit dem versicherten Anspruch auf Schadensersatz wegen eines Vermögensschadens nicht vergleichbar. Es handele sich vielmehr um einen "Ersatzanspruch eigener Art", so das OLG Düsseldorf. Dieser diene nicht dem Interesse des insolventen Unternehmens selbst, sondern allein dem Interesse der Gläubigergesamtheit des insolventen Unternehmens. Auf den Schutz der Gläubigerinteressen seien D&O-Versicherungen jedoch nicht ausgelegt.

Darüber hinaus muss nach Auffassung des Gerichts berücksichtigt werden, dass verschiedene Einwendungen, die im Schadensersatzrecht erhoben werden können, bei § 64 GmbHG nicht vorgesehen seien. Diese vergleichsweise sehr eingeschränkten Verteidigungsmöglichkeiten seien für D&O-Versicherer nicht hinnehmbar.

Hohes persönliches Haftungsrisiko für den Geschäftsführer

Das OLG Düsseldorf hat die Revision gegen seine Entscheidung nicht zugelassen. Der Geschäftsführerin und dem als Streithelfer beteiligten Insolvenzverwalter des Unternehmens bleiben damit nur die Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesgerichtshof (BGH). Dieses Rechtsmittel hat allerdings im vergangenen Jahr nur in etwa fünf Prozent der Fälle zur nachträglichen Zulassung der Revision geführt.

Die Entscheidung des OLG Düsseldorf kann für den Geschäftsführer eines insolventen Unternehmens ein enormes persönliches Haftungsrisiko bedeuten – selbst wenn das Unternehmen eine D&O-Versicherung abgeschlossen hat. Dies gilt umso mehr, als der BGH Anfang 2017 die Haftung für Zahlungen, die nach Insolvenzreife geleistet werden, nochmals deutlich verschärft hat (Urt. v. 04.07.2017*; Az.: II ZR 319/15).

Grundsätzlich gilt, dass Geschäftsführer in der Krise ihres Unternehmens die Pflicht zur Prüfung der Insolvenzantragsreife gemäß § 15a InsO genau im Auge behalten sollten. Denn laut ständiger Rechtsprechung geht der BGH davon aus, dass ein Geschäftsführer verpflichtet ist, die wirtschaftliche Lage seines Unternehmens stets vor Augen zu haben und eine Krise rechtzeitig zu erkennen.

"Echte" Schadensersatzansprüche sind versichert

Ist die Inanspruchnahme durch den Insolvenzverwalter gerechtfertigt, kann ein Geschäftsführer prüfen lassen, ob der Sachverhalt neben dem Haftungsanspruch gemäß § 64 GmbHG auch die Tatbestandsmerkmale eines weiteren Haftungsanspruchs der Gesellschaft gegen den Geschäftsführer erfüllt. Denn lässt sich der gleiche Sachverhalt auch unter einen "echten" Schadensersatzanspruch subsumieren, liegt ggf. doch ein versicherter Anspruch vor. Denkbar sind insbesondere der allgemeine Haftungsanspruch gemäß § 43 GmbHG oder eventuelle Haftungsansprüche aus dem Geschäftsführervertrag.

Unterm Strich besteht aufgrund der Entscheidung des OLG Düsseldorf somit noch kein Grund zur Panik. Diese kann man sich getrost für den Zeitpunkt aufheben, wenn der BGH Entsprechendes entscheiden sollte.

Die Autoren Dr. Thomas Rieger und Dr. Michael Flitsch sind Rechtsanwälte und Partner der Kanzlei anchor Rechtsanwälte. Sie sind auf die Bereiche Insolvenz und Sanierung spezialisiert und begleiten in diesem Zusammenhang u.a. Geschäftsführer in der Krise ihres Unternehmens und bei Inanspruchnahmen durch Insolvenzverwalter.

*Korrektur am 28.08.2018: In einer früheren Version des Artikels war als Urteilsdatum der 04.07.2018 angegeben, tatsächlich stammt das Urteil aus 2017.

Zitiervorschlag

OLG Düsseldorf zu D&O-Versicherungen: Gefährliche Deckungslücke bei verspätetem Insolvenzantrag . In: Legal Tribune Online, 22.08.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/30497/ (abgerufen am: 18.04.2024 )

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