Legal Design Thinking steckt in Deutschland noch in den Kinderschuhen. Doch die Methode könnte helfen, auf zukünftige Herausforderungen im Rechtsmarkt besser zu reagieren. Micha-Manuel Bues erklärt, was sich hinter dem Schlagwort verbirgt.
Die Rechtsbranche ist nicht gerade bekannt dafür, ein besonderer Innovationstreiber zu sein. Juristen sind meist traditionell eingestellt und blicken von ihrer Arbeitsmethodik her zunächst in die Vergangenheit, um aus "alten" Urteilen und vergangenen Rechtsstreitigkeiten eine Lösung für ein aktuelles rechtliches Problem zu finden. Juristen schätzen Altbekanntes und Altbewährtes
Juristen registrieren aber auch mit wachem Blick, dass sich viele Branchen durch Digitalisierung neu erfinden, und dass innovative Startups in allen möglichen Industriezweigen wie Pilze aus dem Boden schießen, um den Platzhirschen Konkurrenz zu machen. Viele haben erkannt, dass auch die Rechtsbranche durch Technologie - Legal Tech - umgekrempelt werden könnte. Und sie wollen mit innovativen Produkten auf diese Herausforderung reagieren.
Legal Tech: Allheilmittel oder Kuriosität?
Innovativ sein ist aber gar nicht so einfach, kreative Prozesse können schnell in die falsche Richtung laufen. Häufig werden gute Ideen auch einfach nicht umgesetzt. Besonders frustrierend kann es sein, nach langen und mühsamen Planungsprozessen zu merken, dass Kunden ganz andere Bedürfnisse haben oder das Produkt schlicht nicht verstehen und daher nicht nutzen.
Hinzu kommt: Juristen wissen in der Regel nicht, wie sie Technologie für innovative Produkte einsetzen können. Entweder wird der Einsatz von Legal Tech und künstlicher Intelligenz als eine Art magisches Allheilmittel angesehen - oder ins Kuriositätenkabinett verbannt.
Legal Design Thinking will kreative Prozesse fördern
Hier kommt Legal Design Thinking ins Spiel. Design Thinking ist ein an der Universität Stanford entwickelter Innovationsansatz für Produkte und Services, der sich besonders gut für Innovationen im Rechtsbereich eignet. Design Thinking verbindet Methoden, Gestaltungskriterien, Tools und Denkprozesse des klassischen Designs mit einem ganzheitlichen Innovationsansatz, um Probleme zu lösen und neue Ideen zu entwickeln. Ziel von Design Thinking ist es kreative, nicht-lineare, iterative und interaktive Denkprozesse anzustoßen, die in eine spezielle Vorgehensmethodik und Grundannahmen eingebettet sind.
Der Design Thinking Ansatz stellt den künftigen Nutzer und dessen Wünsche, Bedürfnisse und Hoffnungen in den Mittelpunkt. Eine weitere Grundannahme von Design Thinking ist, dass Innovation nur mit einer richtigen Balance zwischen den drei gleichberechtigten Faktoren Mensch, Wirtschaft und Technologie entsteht. Nur wenn Attraktivität (Will der Kunde das Produkt?), Wirtschaftlichkeit (Lohnt es sich?) und Umsetzbarkeit (Ist es möglich?) bei einem bestimmten Produkt oder Dienstleistung gewährleistet sind, entsteht Innovatives.
Auf das richtige Team kommt es an
Weitere Voraussetzung für erfolgreiches Design Thinking ist die richtige Teamzusammensetzung. Teams sollten sich idealerweise aus Menschen mit verschiedenen Fachrichtungen, Hintergründen und Hierarchieebenen zusammensetzen, um möglichst unterschiedliche Blickwinkel und ein breites Fachwissen mit unterschiedlichen methodischen Kompetenzen zu vereinen. Menschen, die in einem Fachgebiet eine besondere Spezialisierung haben und zugleich ein hohes Maß an Offenheit, Interesse und Neugier gegenüber anderen Menschen und anderen Disziplinen mitbringen, sind für Design Thinking-Teams bestens geeignet.
Damit im Team eine gelungene Kommunikation gelingen kann, legt Design Thinking großen Wert auf die Räumlichkeiten, in denen sich das Team trifft und austauscht. Die Annahme ist, dass sich Ideen in einer freien und flexiblen Arbeitsumgebung besonders gut entfalten. Im Design Thinking kommen daher variable Räume, mobile Tische und Stellwände zum Einsatz. Oberflächen werden genutzt, um Gedanken zu visualisieren und Arbeitsergebnisse zu teilen. Rückzugsmöglichkeiten bieten die Möglichkeit, ungestört zu arbeiten.
2/2 Schnelle Umsetzung statt langwieriger Planung
Es gibt verschiedene Modellierungen des Design-Thinking-Prozesses. Meistens wird der Innovationsprozess in fünf oder sechs Phasen abgebildet, um den kreativen Prozess zu strukturieren. Der kreative Prozess vollzieht sich in iterativen Schleifen. Ziel ist es dabei Ideen möglichst frühzeitig als Prototyp umzusetzen und zu evaluieren. Der Fokus liegt dabei weniger auf der detailgenauen Ausarbeitung von Ideen, sondern auf dem Experimentieren und dem Sammeln von konkreten Einsichten.
Der Prozess vollzieht sich für gewöhnlich wie folgt: Zunächst geht es darum, die Aufgabenstellung, das Problemfeld, den Markt, die Klienten, die Technologie sowie die Rahmenbedingungen genau zu verstehen. In einem zweiten Schritt wird das Verhalten von Menschen in der Zielgruppe in realen Situationen in Bezug auf die konkrete Aufgabenstellung beobachtet und analysiert. Hierbei wird in Lebensalltag und -welt der relevanten Interessengruppe eingetaucht.
Im dritten Schritt erfolgt die konkrete Ideengenerierung anhand von Simulation, Prototypen, Graphiken oder Zeichnungen. Es sollen so viele Ideen wie möglich kreiert werden, die dann anhand der Entscheidungsmatrix der Attraktivität, Wirtschaftlichkeit und Umsetzbarkeit gewichtet und bewertet werden. In einem weiteren Schritt werden die Ideen bzw. Prototypen in rasch aufeinander folgenden kontinuierlichen Wiederholungen (intern) ausprobiert. In einem letzten Schritt werden Ideen bzw. Prototypen mit der Zielgruppe getestet und das Feedback für Verbesserungen und Alternativen genutzt.
Design Thinking im Anwaltsberuf…
Die Design-Thinking-Methodik wird Anwälten für gewöhnlich fremd sein, und vielleicht auch ein wenig befremdlich. Das Arbeiten in interdisziplinären Teams und "kreativen" Räumen gehört eher nicht zu den Erfahrungen, die man in Kanzleien oder Rechtsabteilungen macht. Einige werden womöglich kritisch anmerken, dass die beschriebenen Methoden trivial bzw. selbstverständlich sind. Legal Design Thinking steckt in Deutschland allerdings noch in den Kinderschuhen.
Erste Anbieter wie Xenion Legal oder die Hamburg School of Legal Design bieten aber bereits Schulungen im Legal Design Thinking an. Im Gespräch mit LTO zeigt sich Carsten Reimann, Gründer von Xenion Legal, überzeugt, dass "Legal Design Thinking eine zentrale Disziplin für die Juristen von morgen sein wird."
…erfordert einen Mentalitätswandel
Zunächst bedeutet die Anwendung von Design Thinking - insbesondere für Juristen - einen gewissen Mentalitätswandel. Design Thinking erfordert, die Angst vor Fehlern abzulegen und früh mit Ideen zu experimentieren, auch wenn sie noch nicht vollständig ausgreift sind. Das widerstrebt vielen Juristen. Ein verinnerlichtes "Design Thinking Mindset" hilft daher, nicht zu lange auf der theoretischen Ideenstufe zu verharren. Auch geht es darum zu verstehen, dass eine inhaltlich richtige Lösung, die textlich fixiert wurde, nicht alles ist. Es kommt auch darauf an, ob sie so präsentiert wird, dass der Kunde sie liest und versteht.
Gelungene Beispiele für Design Thinking sind z.B. Unternehmen wie Flightright oder Compensation2Go, die Webseiten anbieten, auf denen Rechtssuchende im Fall einer Flugverspätung durch klare Benutzerführung und Verminderung der Komplexität zu ihrem Recht kommen. Durch gelungenes Design Thinking wird ein für Kunden vormals unerfreulicher und aufwendiger Prozess mit wenigen Klicks erledigbar. Viele weitere Geschäftsmodelle in diese Richtung wären denkbar.
Kein Allheilmittel, aber ein Innovationsbeschleuniger
In kleinerem Rahmen kann Design Thinking auch in die täglichen Arbeitsprozesse integriert werden und diese verbessern. Bereits vorhandene Produkte, z.B. Verträge oder Schriftsätze, können mit dem Design Thinking Ansatz dahingehend untersucht werden, ob sie wirklich den Kundenbedürfnissen dienen. Dies kann zu einer ganz neuen Strukturierung und Präsentation von Vertragstexten führen. Verträge müssen nicht notwendigerweise lang, dicht beschrieben und langweilig sein, um ihren Zweck zu erfüllen.
Design Thinking ist sicher kein Allheilmittel. Es kann und will gründliches juristisches Denken und Argumentieren nicht ersetzen. Design Thinking kann aber als "Innovationsbeschleuniger" genutzt werden, um in Zeiten veränderter Marktbedingungen juristische Arbeite neu zu visualisieren, vom Kunden her zu denken und in neue Geschäfts- und Arbeitsmodelle zu überführen. In diesem Sinne kann Design Thinking helfen, die Rechtsbranche innovativer zu machen.
Der Autor Dr. Micha-Manuel Bues, MJur. (Oxford), Anwalt und Legal Tech Experte, betreibt den Blog www.legal-tech-blog.de
Dr. Micha-Manuel Bues, MJur. (Oxford), Legal Design Thinking: Innovativ sein in einer behäbigen Branche . In: Legal Tribune Online, 22.03.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18859/ (abgerufen am: 28.03.2024 )
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