Innovationsbremse Tagesgeschäft: Ein amou­röses Ver­hältnis zur Pro­kras­ti­na­tion

Ein Anwalt kennt seine Zielgruppe, entwickelt neue Beratungsprodukte und ist innovativ. Theoretisch. In der Praxis kommt er leider zu selten dazu. Liane Allmann über den kurzen Lebenszyklus von Kanzlei-Strategien.

Mangelnde Fortbewegung in sinnvolle Richtungen, Investitionsstau und Denkverweigerung sind in Kanzleien jeder Couleur an der Tagesordnung. Angesprochen auf die Blockade rechtfertigen viele Vertreter von Kanzleien den Stillstand mit dem Tagesgeschäft. Was aber ist das, dieses Tagesgeschäft? Und warum pflegt der Anwalt ein amouröses Verhältnis zur Prokrastination, zur Aufschieberitis? Ein leicht satirischer Blick auf den Lebenszyklus von strategischen Kanzlei-Überlegungen.

Schritt 1: Das Strategiemeeting…

Strategiemeetings lösen Unbehagen aus. Jeder weiß, dass es wichtig wäre, strategisch zu handeln. Stringent und konsequent, eigentlich wie in der Kindererziehung. Sein Ziel soll man kennen und definieren, seine Zielgruppe bestimmen und dann auch noch Produkte entwickeln, die dazu passen. Der dann festgelegte Weg der Zielerreichung – das ist die Strategie. 

Leider befinden sich viele deutsche Kanzleien jedoch im Irrgarten: Erstmal rein in die Mandate und die Strategie fällt dann schon beim Laufen ein. Das stimmt nicht, und jeder Anwalt und jede Anwältin weiß das auch. Nichts fällt ein, weil das Tagegeschäft da ist, weil die Mandanten stören oder die Sekretärin Fragen hat. 

Echte Strategiemeetings sind harte Arbeit und hier gilt: Nach dem Meeting ist vor dem Meeting. Wer Erfolg haben will, muss danach auf Umsetzung beharren, Termine festlegen, Teilziele definieren, Projektmanagement betreiben. Hier wird es haarig, denn, zwingt man einen Anwalt zur Verbindlichkeit, verursacht das regelmäßig Unbehagen – fast schon Ekel. 

…oder jährlich güßt das Murmeltier?

Unter uns: Wie viele Strategiepapiere haben Sie in Ihrem Berufsleben schon auf dem Tisch gehabt? Wie oft haben Sie das Spiel mitgespielt und dabei gedacht: "Ok, das machen wir jetzt mit", wussten aber am Ende kommt eh nichts dabei raus – im besten Fall, steht der Punkt im nächsten Jahr wieder auf der Jahresagenda. Wie viele Ideen sind in Ihrer Kanzlei schon verpufft, und wie viele innovative Gedanken werden überhaupt nicht mehr ausgesprochen, weil man sich die Frustration der Stagnation ersparen will? 

Der betriebswirtschaftliche Schaden muss enorm sein, denn die Meetings kosten Geld, binden Zeit, personelle Ressourcen und das, was zur Bewegung motivieren sollte, nämlich der Routenplaner für die Kanzlei, verkommt sogar zu einem ablehnenswerten Innovationshemmer. 

Schritt 2: Ruckreden

Wenn es gelungen ist, doch dem einen oder anderen im Strategiemeeting das Gefühl zu geben, er könnte etwas verändern, führt das häufig zu Ruckreden. "Sehr geehrte Damen und Herren, verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir kennen jetzt unser Ziel, wir wissen wohin wir gehen, wir stehen gemeinsam und ziehen an einem Strang. Ein Ruck wird durch die Anwaltschaft gehen, wenn wir uns – als Ergebnis konsequenter Strategieumsetzung – dort am Markt platzieren, wo wir hingehören. Ganz oben! Juve wird darum betteln, uns für einen ihrer Awards zu nominieren, das Handelsblatt wird unsere Deals anfragen und Mandanten werden sich Autogramme erkämpfen…" 

Zugegeben, am Ende etwas sehr dick aufgetragen, aber nicht selten wird diese Hybris ausgestrahlt. Ist man dabei, wenn eine solche Rede gehalten wird, können sich nur die ganz alten Hasen und zähen Burschen der Faszination entziehen, die vom Glauben ausgeht, man dürfe die Metamorphose gestaltend begleiten. Gerade junge Berufsträger haben, wenn sie noch nicht abgegriffen sind durch die Resignation des Phänomens Tagesgeschäft, Tränen im Augenwinkel vor Rührung und Dankbarkeit dafür, Teil von etwas ganz Großem zu sein. 

Wenn ich persönlich teilhaben darf an solchen Verbalergüssen meist ohne Substanz und ehrlichen Durchsetzungswillen, möchte ich gerade den jungen Damen und Herren am liebsten die Ohren zuhalten und sie vor dieser Welt bewahren, die sie bremsen und demotivieren wird und in der sie häufig so unglücklich sind, weil sie eben nicht gestalten, sondern immer auf das Tagesgeschäft reagieren und damit gelenkt werden, anstatt zu lenken.

Zitiervorschlag

Liane Allmann, Innovationsbremse Tagesgeschäft: Ein amouröses Verhältnis zur Prokrastination . In: Legal Tribune Online, 27.09.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20692/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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