Dieselgate: Aktio­närs­klagen gegen VW nun auch in Deut­sch­land

von Dr. Anja Hall

02.10.2015

Im Skandal um manipulierte Abgaswerte droht der Volkswagen AG weiteres Ungemach. Nachdem beim LG Braunschweig die erste deutsche Anlegerklage eingereicht wurde, prüft nun auch der Prozessfinanzierer Bentham eine große Aktionärsklage.

Die auf Anlegerschutz spezialisierte Kanzlei Tilp hat für einen von ihr vertretenen Kläger nach eigenen Angaben die erste deutsche Anlegerklage gegen den Wolfsburger Automobilkonzern eingereicht. Gleichzeitig hat sie einen Musterverfahrensantrag nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) mit mehreren Feststellungszielen gestellt.

Der Kläger macht vor dem Landgericht (LG) Braunschweig  einen wirtschaftlichen Schaden aus dem Erwerb von VW-Vorzugsaktien in Höhe von rund 20.000 Euro geltend, welche er im April und Juli 2015 gekauft hatte. Konkret begehrt er mit der Klage die Rückabwicklung seiner Aktienkäufe, hilfsweise hat er einen sog. Kursdifferenzschaden von rund 60 Euro pro Aktie geltend gemacht.

"Der Volkswagen-Konzern hat unsere gesetzte Frist zur außergerichtlichen Einigung reaktionslos verstreichen lassen. Daher ist die Erhebung der Klage geboten, um VW aufzuzeigen, dass es unserem Mandanten ernst ist", begründete  Rechtsanwalt Andreas W. Tilp. "Unsere Kanzlei vertritt bereits jetzt genügend private wie institutionelle Investoren, um die Durchführung des KapMuG-Musterverfahrens vor dem Oberlandesgericht Braunschweig zwingend zu erreichen", sagt er.

Nach der Rechtsauffassung von Tilp hat sich VW wegen einer Reihe von unterlassenen sowie unvollständigen Kapitalmarktinformationen gegenüber seinen Aktionären schadensersatzpflichtig gemacht. Betroffen seien vor allem Aktienkäufe im Zeitraum vom 6. Juni 2008 bis 17. September 2015.
Schadensersatzberechtigt sind nach Einschätzung der Kanzlei sowohl Anleger, die die Aktien bis zum 17. September 2015 gehalten haben, als auch solche, die sie bereits zuvor veräußert hatten. Auch Schäden in Aktien auf Porsche sowie Derivate auf VW-Aktien wie Optionsscheine oder Zertifikate fallen nach Ansicht von Tilp unter die Schadenersatzpflicht.

Prozessfinanzierer zielt auf Anleger mit großen Aktienpaketen

Auch das Verfahren, das Bentham Europe koordinieren will, zielt auf Verstöße gegen die Publizitätspflicht nach dem deutschen Wertpapierhandelsgesetz über einen Zeitraum von vermutlich etwa acht Jahren von 2007 bis zum 18. September 2015.

Man wolle "schnellstmöglich" Rechtsanwälte damit beauftragen, entsprechende Schritte einzuleiten, teilt der Prozessfinanzierer mit. Voraussetzung für das Einreichen der Klage sei jedoch, dass eine ausreichende Zahl von Aktionären der Unterstützung durch Bentham zustimme. Derzeit stimmt sich der Prozessfinanzierer nach eigenen Angaben mit institutionellen Investoren weltweit ab. Aktionäre, die mindestens 10.000 Volkswagen-Aktien gekauft hatten, können sich der Klage anschließen.
Hintergrund ist, dass im Zuge der Bekanntgabe der Volkswagen AG, Abgaswerte mittels einer Software manipuliert zu haben, der Börsenwert des Unternehmens um etwa 25 Milliarden Euro abgestürzt ist. Der Aktienpreis brach von 160 auf rund 100 Euro ein.

"Aktionäre, die zusehen mussten, wie der Wert ihrer Volkswagen-Aktien innerhalb von zwei Tagen um einen zweistelligen Milliardenbetrag abgestürzt ist, verdienen mehr als nur eine Entschuldigung für einen dem Anschein nach gezielten Betrug", sagt Jeremy Marshall, Chief Investment Officer von Bentham Europe. "Wir gehen davon aus, dass im Rahmen des Klageverfahrens das Ausmaß des durch Kursverluste entstandenen Schadens der Aktionäre festgestellt wird."

Renommierte Prozesskanzlei soll tätig werden

Die Klage soll von einer "renommierten internationalen, auf Prozessführung spezialisierten Kanzlei" eingereicht werden, schreibt Bentham in einer Pressemitteilung vom 2. Oktober. Wie am 7. Oktober bekannt wurde, handelt es sich bei dieser Kanzlei um Quinn Emanuel Urquhart & Sullivan. Dr. Nadine Herrmann, Managing Partnerin des Hamburger Büros, wird die Verfahren in Deutschland führen.*

Die Schadensersatzansprüche werden damit begründet, dass Volkswagen nach dem Wertpapierhandelsgesetz verpflichtet gewesen wäre, die Aktionäre über die Manipulationen der Schadstoffemissionen in einer großen Anzahl von Kraftfahrzeugen des Konzerns sowie über die US-behördlichen Untersuchungen zu informieren.

Bentham Europe ist ein Joint-Venture zwischen IMF Bentham Limited, einem in Australien börsennotierten Unternehmen, das weltweit Prozesse und Schiedsverfahren finanziert, und verschiedenen Fondsgesellschaften, die durch die Elliott Management Corporation, eine Beratungsgesellschaft mit Sitz in den USA, verwaltet werden.

Das mutmaßliche Vorgehen von Volkswagen hat bereits zu weltweiten Untersuchungen, einschließlich strafrechtlichen Ermittlungen, in Deutschland und in den Vereinigten Staaten geführt. In den USA werden bereits Sammelklagen vorbereitet. Hinzu kommen der Rücktritt des Vorstandsvorsitzenden Martin Winterkorn sowie Beurlaubungen von Führungskräften des Konzerns und vermutlich eine weltweite Rückrufaktion für die betroffenen Fahrzeuge .

*Dieser Absatz wurde am Mittwoch, 7. Oktober, 13:45 Uhr, ergänzt. Basis waren Informationen aus einer Pressemitteilung von Quinn Emanuel vom gleichen Tag. (ah/LTO-Redaktion)

Zitiervorschlag

Anja Hall, Dieselgate: Aktionärsklagen gegen VW nun auch in Deutschland . In: Legal Tribune Online, 02.10.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17092/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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