Strafverteidiger im Kreuzverhör

"Mein Mandant muss mir nicht sympathisch sein"

von Patricia StelzerLesedauer: 5 Minuten
Strafverteidiger müssen ihren Beruf immer wieder rechtfertigen, nicht zuletzt vor sich selbst. Wie vereinbaren sie die Verteidigung von Vergewaltigern, Mördern und Pädophilen mit ihrem Gewissen? Wie kommen sie damit zurecht, sich für Menschen einzusetzen, die in vielen Fällen schuldig sind? Drei Vertreter dieser Zunft stehen uns Rede und Antwort.

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LTO: Als Jurist kann man vieles werden – warum ausgerechnet Strafverteidiger? Seyhan OckuSeyhan Ocku: "Nach dem Studium hatte ich noch keine Lust, mit dem Klientel des Strafverteidigers zu tun zu haben. Doch dann war ich Nebenklägervertreter in einer Mordsache. Es war hochinteressant, wie da der Sachverhalt und die Lebensgeschichte der Beteiligten aufgearbeitet wurden. Die Anklage lautete auf Mord, am Ende erging ein Urteil wegen Totschlags. Die Aufarbeitung des Geschehens hat also die Anklage abgeschwächt. Das fand ich faszinierend." Michael Noll: "Ich hatte schon immer einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Und im Zivilrecht versuchen die Anwälte doch nur, durch ellenlange Schreiben den gegnerischen Kollegen kleinzukriegen; der Kern der Sache geht dabei oft verloren. Im Strafrecht geht es um den Menschen, in der Hauptverhandlung wird der Sacherhalt von A bis Z geprüft." LTO: Es ist vielleicht eine abgedroschene Frage, aber doch eine, die viele Menschen sich immer wieder stellen: Bereitet Ihnen Ihr Job nicht manchmal Gewissensbisse? Als Anwälte versuchen Sie schließlich, das Beste für Ihre Mandanten rauszuholen. Das heißt im Idealfall einen Freispruch, auch für Mörder oder Pädophile. Gerhard Meister: "Nun, wir leben in einem Rechtsstaat und wir Strafverteidiger sind Organe der Rechtspflege. Ich verstehe mich dabei als Kontrollinstanz, die bei der Bestimmung einer angemessenen Strafe mitwirkt." Michael Noll: "Wenn man Strafverteidiger wird, kann man sich nicht darauf beschränken, nur 'gute Täter' oder Unschuldige zu vertreten. Jeder hat Anspruch auf eine bestmögliche Verteidigung. Und wir sind doch die einzigen, die die positiven Dinge zusammensuchen und Milderungsgründe herausarbeiten. Der Angeklagte soll die Strafe bekommen, die das Gesetz für ihn vorsieht." Seyhan Ocku: "Ob ich meinen Mandanten mag oder nicht, ist vollkommen irrelevant. Man muss die nötige Distanz wahren und seine Arbeit leisten, das heißt dafür Sorge tragen, dass die Rechte des Mandanten vor Gericht Berücksichtigung finden. Nicht mehr und nicht weniger."

"Wenn die Schuld eines Menschen mit rechtsstaatlichen Mitteln nicht bewiesen werden kann, ist das eben so"

LTO: Aber wir leben doch nicht in  einem Unrechtsstaat, in dem es laufend zu überzogenen Strafurteilen kommt. Seyhan Okçu: "Ja, hier wird keinem Dieb die Hand abgehakt. Dennoch müssen Tat und Strafe zueinander passen. Die Staatsanwaltschaft beantragt Strafen im oberen Bereich des Strafrahmens, der Verteidiger im unteren. Und in diesem Rahmen hat der Angeklagte das Recht auf eine ordentliche Verteidigung. Vergessen wir auch nicht, dass die Öffentlichkeit, getrieben von den Medien, den Angeklagten häufig vorverurteilt." Gerd Meister: "Nehmen wir zwei Skimming-Fälle, mit denen ich zu tun hatte. Angeklagt war einmal ein Deutscher, er war Haupttäter, es ging um eine Million Euro. Er bekam zwei Jahre auf Bewährung. Einen Bulgaren aber, bei dem es um viel weniger Geld ging und der lediglich Beihelfer war, verurteilte das Gericht zu zwei Jahren und vier Monaten. Bedarf ist also da." Michael NollMichael Noll: "Ich finde es wichtig, dass derjenige, der den gesamten Staatsapparat gegen sich hat, die Chance erhält, auch entlastende Dinge vorzutragen. Es ist meine Aufgabe, das Gericht auf die Fakten hinzuweisen, die es möglicherweise noch nicht gesehen hat." LTO: Um das Thema Gewissenskonflikt mal auf die Spitze zu treiben: Angenommen, das Gericht geht von der Unschuld des Täters aus, dieser hat Ihnen gegenüber aber die Tat zugegeben. Was würden Sie tun? Michael Noll: "Ich würde meine Verschwiegenheitspflicht nicht brechen. Dann ist eine solche Situation eben Ausfluss unseres Rechtssystems. Allerdings ist das schon ein Extremfall, das müsste dann jeder mit sich selbst ausmachen. Häufiger stößt man auf den umgekehrten Fall: Gericht, Staatsanwalt und Verteidiger wissen um die Schuld des Angeklagten, können ihm aber nichts nachweisen. Auch das ist eine Konsequenz unseres Rechtssystems, die hinzunehmen ist." Gerd Meister: "Wir unterliegen mit gutem Grund der Verschwiegenheitspflicht. Wenn die Schuld eines Menschen mit rechtsstaatlichen Mitteln nicht bewiesen werden kann, ist das eben so. Der Verteidiger hat in seiner Funktion im Kampf um die Gerechtigkeit nicht die Aufgabe, an der Verurteilung eines vielleicht schuldigen Mandanten mitzuwirken. Wie ich mich allerdings bei einem psychisch gestörten Mandanten verhalten würde, von dem zum Beispiel nach einem Freispruch ein weiterer Kindermord zu erwarten wäre, weiß ich nicht. Das wäre ein Extremfall, mit dem ich so glücklicherweise noch nicht konfrontiert war."

"Konfliktverteidiger sind unter Kollegen verpönt"

LTO: Haben Sie schon einmal ein Mandat abgelehnt? Seyhan Okçu: "Am Anfang meiner beruflichen Tätigkeit habe ich tatsächlich ein Mandat abgelehnt, bei dem es um Kindesmissbrauch ging. Da war ich noch nicht so weit, hatte noch nicht die nötige Distanz. Jetzt wäre das kein Thema mehr. Es ist einfach wichtig, Distanz zu wahren und sich selber noch im Spiegel anschauen zu können." Gerd MeisterGerd Meister: "Natürlich kommt es vor, dass ich Mandate ablehne, aber nicht wegen der angeklagten Tat. Manchmal stimmt eben die Chemie nicht und ich lasse mir weder sagen, wie ich vorzugehen habe, noch lasse ich mir den Arm abrupfen." LTO: Strafverteidigern wird oft nachgesagt, dass sie formale Fehler mit der Lupe suchen und reihenweise Befangenheitsanträge stellen, um Verfahren in die Länge zu ziehen und Anklagen zu Fall zu bringen. Was hat es damit auf sich? Michael Noll: "Das sind sogenannte 'Konfliktverteidiger', die jedes Mittel ausschöpfen. Solche Typen sind unter den Kollegen verpönt. Legitim ist es aber, die Antragsmöglichkeiten der Strafprozessordnung (StPO) auch auszuschöpfen, so lang die Anträge nicht dem alleinigen Ziel dienen, das Verfahren zu verschleppen." Gerd Meister: "Ich versuche, konstruktiv mit Staatsanwaltschaft und Gericht zusammenzuarbeiten. Beweisanträge sind ok, solange sie persönlich und sachlich geboten sind. Konfliktverteidigung um der Konfliktverteidigung willen lehne ich ab. Im Laufe meiner Karriere habe ich drei Befangenheitsanträge gestellt, die auch alle erfolgreich waren. Wenn es also Streit gibt, muss dieser ausgefochten werden, aber auf einer sachlichen Ebene. In den meisten Fällen gelingt mir das auch. Ein guter Richter hört auf Argumente, auch auf solche der Verteidigung." Seyhan Okçu: "Natürlich will man das Beste für den Mandanten herausholen, aber dann bitte ohne Tricks und doppelten Boden. Er muss die Verteidigung bekommen, die ihm vom Gesetz her zusteht. Das ist das Wesen unseres Rechtssystems." Die Fragen stellte Patricia Stelzer. Seyhan Okçu ist seit 2007 Rechtsanwalt und absolviert derzeit die Ausbildung zum Fachanwalt für Strafrecht. Er arbeitet  in der Kanzlei Kötter, Stelzer, Okçu in Essen. Michael Noll ist seit 1998 Rechtsanwalt und seit 2007 Fachanwalt für Strafrecht. Er arbeitet in Düsseldorf in der Kanzlei Hartnigk, Stelzer & Erwin. Gerd Meister ist seit 1992 Rechtsanwalt und seit 10 Jahren Fachanwalt für Strafrecht. Er ist in der Kanzlei Pohlen + Meister in Mönchengladbach tätig.

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