Special Anwaltstag: Rechtsanwaltsvergütung

Das RVG auf dem Weg zum Exportschlager?

von Herbert P. SchonsLesedauer: 6 Minuten
Wie viel Anwälte für ihre Leistung erhalten, können sie mittlerweile in vielen Ländern Europas frei vereinbaren. Das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz ist vor diesem Hintergrund regelmäßig Zielscheibe auch internationaler Kritik. Dabei bietet das deutsche System nicht nur Transparenz und Kalkulierbarkeit, sondern ist auch zutiefst sozial, meint Herbert P. Schons.

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Der Titel dieses Beitrages ist sicherlich provokant. Derzeit sieht es nicht gerade so aus, als rissen sich andere europäische Länder darum, das deutsche gesetzliche Vergütungssystem für Anwälte zu übernehmen. Ganz im Gegenteil: Immer wieder heißt es aus Brüssel, jegliche Art von Reglementierung durch feste Gebühren sei mit dem Gemeinschaftsrecht eigentlich nicht vereinbar. Einige Länder mussten hier schon böse Erfahrungen machen und die Namen Monti und Clementi haben so manchen deutschen Juristen fürchten lassen, dass aus Brüssel auch für das deutsche anwaltliche Vergütungssystem Ungemach droht. Das ist kaum nachvollziehbar. Weder können die Interessen der Rechtsanwälte – richtig verstanden – darauf gerichtet sein, das gesetzlich reglementierte Preisgefüge des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) durch freie Preisverhandlungen ersetzen zu lassen, noch ist irgendeine Verbesserung für das rechtssuchende Publikum zu erwarten. Die meisten Nachbarländer haben sich, sofern sie denn überhaupt eine solche jemals hatten, bereits seit langem zu Gunsten der freien Preisvereinbarung von der gesetzlichen Vergütung verabschiedet. Beinahe ausnahmslos aber haben sie die Erfahrung gemacht, dass die anwaltliche Dienstleistung wesentlich teurer ist als in Deutschland. Franzosen und Griechen reagieren geradezu erstaunt, wenn sie erfahren, zu welchen Kursen deutsche Rechtsanwälte – in der Regel – ihre Leistungen erbringen.

Viele Möglichkeiten, vom RVG abzuweichen

Auch von der von Gegnern der gesetzlichen Vergütung ins Feld geführten unangemessenen Reglementierung kann nicht die Rede sein. Zwar wird vom Rechtsanwalt grundsätzlich erwartet, dass er seine Leistungen nach dem RVG abrechnet. Und in der Regel machen die Kolleginnen und Kollegen von dieser Möglichkeit auch Gebrauch. Das Gesetz sieht aber im Zusammenwirken mit der anwaltlichen Berufsordnung eine Vielzahl von Möglichkeiten vor, abweichend von der gesetzlichen Vergütung abzurechnen. Soweit es um den außergerichtlichen Beratungsbereich geht, ist der deutsche Rechtsanwalt seit dem 1. Juli 2006 sogar gezwungen, eine Gebührenvereinbarung mit seinem Mandanten zu treffen. Anderenfalls muss er nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts abrechnen. Mit letzterem begibt er sich gewissermaßen in ein Nirwana der eigenen Hilflosigkeit. Erst in letzter Instanz wird er erfahren, ob er bei seiner Abrechnung die so genannte ortsübliche Vergütung zutreffend zugrunde gelegt hat oder nicht. Aber auch im außergerichtlichen Vertretungsbereich ist es dem deutschen Rechtsanwalt freigestellt, ob er die gesetzliche Vergütung unter- oder überschreitet. Lediglich vor Gericht dürfen die gesetzlichen Gebühren nicht unterschritten werden - was allerdings auch nicht mehr ausnahmslos gilt, nachdem in Deutschland mit dem 1. Juli 2008 unter höchst engen und unsicheren Voraussetzungen die Vereinbarung von Erfolgshonoraren auch im gerichtlichen Bereich erlaubt wurde.

Erfolgshonorar für weniger als die Hälfte der deutschen Anwälte interessant

Übrigens hat mittlerweile auch der erste Anwalt in Deutschland die Erfahrung gemacht, die Gebührenexperten schon voraus gesagt hatten, und zwar vor dem Landgericht (LG) Berlin: Der Mandant zahlte nicht nur trotz Eintritts des verabredeten Erfolgs das vereinbarte Erfolghonorar nicht, sondern das LG gab ihm auch noch Recht: Die Voraussetzungen für die Ver-einbarung eines Erfolgshonorars im Sinne von § 4 RVG hätten nicht vorgelegen, so die Richter. Der Rechtsanwalt könne daher trotz des herbeigeführten Erfolges lediglich die gesetzliche Vergütung verlangen. Vor diesem Hintergrund ist es kein Wunder, dass knapp 42 Prozent der deutschen Anwälte sich die Vereinbarung eines Erfolgshonorars zwar theoretisch vorstellen können, in der Praxis aber klugerweise darauf verzichten. Ansonsten lässt sich bei der Vergütung – vorausgesetzt, die im Gesetz nachzulesenden Formalien werden eingehalten – problemlos praktisch alles und jedes vereinbaren. Das umfasst Pauschalen ebenso wie die Möglichkeit, nach Zeitaufwand zu festen Stundensätzen abzurechnen. Auch lässt sich durch Vereinbarung der einzelne gesetzliche Vergütungstatbestand mit einem Faktor multiplizieren, und im Einzelfall ist es im Wege einer entsprechenden Abrede sogar möglich, den alten Gesetzestext der früheren Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung der Abrechnung zugrunde zu legen.

Mandanten können vergleichen, Anwälte für Kostentransparenz sorgen

All diese Freiheiten belegen, dass es dem deutschen Rechtsanwalt durchaus möglich ist, genauso "kreativ" abzurechnen wie seine europäischen Kollegen. Wozu dann überhaupt noch eine gesetzliche Vergütung? Die Vorteile sind vielfältig, springen einem aber nicht sofort ins Auge. So hat die vom Gesetzgeber - nicht etwa von einem Anwaltskartell – festgelegte gesetzliche Vergütung den Vorteil, dass sie dem Verbraucher die Möglichkeit des Vergleichs erlaubt. Anhand der gesetzlichen Vergütung kann er stets ablesen, ob die ihm von seinem Rechtsanwalt angebotene Vergütungsvereinbarung für ihn günstig, ungünstig oder völlig inakzeptabel erscheinen muss. Umgekehrt kann der Rechtsanwalt dem Mandanten mit Verweis auf die gesetzliche Vergütung die Wirtschaftlichkeit einer Vergütungsvereinbarung etwa nach Zeitaufwand vor Augen führen - insbesondere dann, wenn extrem hohe Gegenstandswerte betroffen sind. Des Weiteren erübrigt es sich für weniger verhandlungsfreudige oder verhandlungssichere Parteien eines Anwaltsvertrages, um das Honorar zu feilschen. Sicher und bequem kann der Rechtsanwalt nach Ermittlung des Gegenstandswertes dem Mandanten vorrechnen, mit welchen Kosten er für welche Tätigkeit kalkulieren muss.

Kein Preisdumping und Sicherheit in punkto Prozessrisiko

Aber auch das berühmt-berüchtigte Preisdumping wird durch die gesetzliche Vergütung beziehungsweise das RVG weitgehend verhindert. Bei Licht betrachtet bringen Dumping-Preise auch dem Rechtssuchenden keine Vorteile, da es in der Regel für kleine Preise eben auch keine große Leistung gibt. Im gerichtlichen Bereich ist ein Unterschreiten der gesetzlichen Vergütung vollständig ausgeschlossen und im außergerichtlichen Vertretungsbereich verhindern die im Gesetz nachzule-senden durchaus großzügigen Regelungen, dass Preisdumping betrieben wird, soweit sich die Parteien an diese Regelungen halten. Nicht zu unterschätzen ist auch der Vorteil für den Mandanten, dass er grundsätzlich davon ausgehen kann, dass auch sein Gegner die gleiche Vergütung an seinen Rechtsanwalt zu entrichten hat, so dass das Kostenrisiko eines Prozesses sicher zu prognostizieren ist. Ungeachtet dessen, was der Gegner mit seinem Rechtsanwalt vereinbart haben mag, beschränkt sich der Kostenerstattungsanspruch in aller Regel auf die gesetzliche Vergütung. Er ist damit gleichzeitig auch ein Garant für ein faires Verfahren: Jede Partei trifft es gleich teuer, wenn eine rechtliche Auseinandersetzung unvermeidlich ist und der Zugang zum Recht bleibt auf diese Weise für jeden gewährleistet.

Rechtsbeistand hierzulande keine Frage des Geldes

Wer sich einen Anwalt überhaupt nicht leisten kann und nicht rechtsschutzversichert ist, kann die so genannte Prozesskostenhilfe oder die Verfahrenskostenhilfe in Anspruch nehmen. Hier arbeiten die Rechtsanwälte ebenfalls auf der Basis einer gesetzlichen Vergütung, die sich allerdings deutlich unterhalb der so genannten Wahlanwaltsgebühren bewegt. Auch in diesem Punkt zeigt sich der Vorteil der gesetzlichen Vergütung, weil zumindest eine Ankoppelung der Prozesskostenhilfevergütung an die Wahlanwaltsvergütung erhalten bleibt. Was an der gesetzlichen Vergütung aber am meisten beeindruckt, ist ein anderer Aspekt: Sie allein erlaubt ein hundertprozentiges Kostenerstattungs- und Kostenausgleichssystem, das weltweit fast einzigartig ist. Wer den Prozess oder den Fall gewinnt, wird von allen Kosten freigestellt. Der Gegner muss nicht nur die eigenen Anwaltskosten, sondern auch die der Gegenseite und die Gerichtskosten erstatten. Bei einem teilweisen Obsiegen und Unterliegen entspricht die dann zu ermittelnde Kostenquote exakt diesem Verhältnis. Auch dieses System, um das Deutschland vielerorts beneidet wird, ist zutiefst sozial und ermöglicht manchem Bürger erst, auch und gerade bei "sicheren Fällen" anwaltliche und gerichtliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Er weiß, dass er die von ihm verauslagten Anwalts- und Gerichtsgebühren erstattet bekommt, wenn das Gericht ihm seine Ansprüche zugesprochen hat. Im Ergebnis lässt sich die provokante Eingangsfrage also wie folgt beantworten: Das RVG mag noch kein Exportschlager sein. Es sollte aber zu einem werden. Der Autor Herbert P. Schons ist Rechtsanwalt in Duisburg und Vorsitzender der Gebührenreferententagung der Bundesrechtsanwaltskammer sowie Mitglied der Ausschüsse RVG-Gerichtskosten sowohl bei der Bundesrechtsanwaltskammer als auch beim DAV. Er ist Verfasser zahlreicher Veröffentlichungen und gibt auch Seminare im Gebührenrecht. Mehr auf LTO.de: Anwälte: DAV fordert Änderungen bei der Anwaltshaftung Fünf Fragen zur Bezahlung von Insolvenzverwaltern: Vom richtigen Lohn fürs Management einer Pleite Anwaltliches Berufsrecht: Kein sittenwidrig niedriger Lohn für junge Anwälte

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