Sexuelle Belästigung

Nein heißt nein - auch in Kanz­leien

von Sabine OlschnerLesedauer: 4 Minuten
Ein Fünftel der Frauen in Deutschland erleben sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz, Kanzleien sind keine Ausnahme. Was Betroffene tun können, um Kollegen und Vorgesetzte, aber auch Mandaten in die Schranken zu weisen.

Der Kunde klopft in Anwesenheit der jungen Mitarbeiterin sexistische Sprüche, der Chef legt der Sekretärin bei Besprechungen stets die Hand aufs Bein, der homosexuelle Mitarbeiter muss sich in der Kaffeeküche schwulenfeindliche Bemerkungen anhören - Alltag in deutschen Betrieben. "Aber doch nicht unter Juristen!", mag manch einer nun denken. Anita Eckhardt, Referentin beim Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe – Frauen gegen Gewalt e.V., widerspricht: "Der Bildungsgrad spielt keine Rolle. Umfragen zeigen, dass sexuelle Belästigung an Hochschulen genauso vorkommt wie in allen anderen Arbeitsbereichen. Daher kann man auch Anwaltskanzleien nicht davon ausnehmen." 
Noch haben lange nicht alle Arbeitgeber das Thema auf dem Schirm – aber es tut sich etwas. Im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) wird der Arbeitgeber schließlich seit 2006 verpflichtet, erforderliche Maßnahmen zum Schutz vor Benachteiligungen zu treffen. Er muss unter anderem das Gleichbehandlungsgesetz im Betrieb bekannt machen und angeben, bei welcher betrieblichen Stelle sich Betroffene beschweren können. In Kanzleien ist dies in der Regel die Personalabteilung. 
"Wenn ein solcher Fall vorkommt, muss zunächst der Sachverhalt aufgeklärt und der beschuldigte Mitarbeiter angehört werden", sagt Alexander Greth, Counsel im Arbeitsrecht bei der Kanzlei Simmons & Simmons. "Die meisten, die zu Recht mit der Anschuldigung konfrontiert werden, sehen ein, dass sie sich falsch verhalten haben. Eine Entschuldigung bei der oder dem Betroffenen ist für die weitere Zusammenarbeit sinnvoll und kann helfen, harte Sanktionen durch den Arbeitgeber zu vermeiden."

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Am besten sofort reagieren

Sascha Kuhn, Partner im Bereich Konfliktlösung und Compliance bei Simmons & Simmons, sieht auch die Kollegen in der – wenn auch nicht rechtlichen – Verantwortung, den Verursacher zur Rede zu stellen, wenn sie einen solchen Vorfall bemerken. Damit jeder für die Problematik sensibilisiert wird, bietet die internationale Kanzlei regelmäßig Diversity-Veranstaltungen für Mitarbeiter und Mandanten an, in denen auch Aspekte wie ethnische Diversität oder Schwule, Lesben und Transgender am Arbeitsplatz thematisiert werden. "Wenn Kanzleien ein Bewusstsein für solche Diversity-Themen schaffen, kommt es von Vornherein zu weniger Vorfällen", ist Kuhn überzeugt.
Oft ist sexuelle Belästigung auch eine Frage der Perspektive. "Wichtig ist, dass die betroffene Person entscheiden darf, ob sie sich belästigt fühlt oder nicht. Das ist eine ganz subjektive Empfindung, daher wurde der Begriff der Belästigung im AGG bewusst sehr weit gefasst und berücksichtigt deshalb auch die Wirkung auf die Betroffenen", sagt Anita Eckhardt. "Wer sich unwohl fühlt, darf sich also beschweren – niemand muss irgendetwas tolerieren." Auch wie die Leidtragenden auf eine Belästigung reagieren, ist völlig unterschiedlich. Patentrezepte gibt es nicht. 
"Am wirksamsten ist es sicherlich, wenn man sofort zum Zeitpunkt der Belästigung den Verursacher darauf anspricht und ihm klarmacht, dass eine Grenze überschritten wurde", so Eckhardt. "Es ist nicht leicht, in solch einem Moment spontan zu reagieren, aber es nimmt dem Ganzen die Heimlichkeit, wenn es offen ausgesprochen wird." Auch einige Zeit später könne man die Person noch auf ihr Fehlverhalten ansprechen. Die Androhung von Konsequenzen kann auch eine Möglichkeit sein, der Belästigung entgegenzuwirken – "allerdings nur, wenn die belästigte Person auch bereit wäre, diese Schritte zu gehen", betont die Referentin.

Kanzleien müssen Mut beweisen

Andere Strategien können sein, sich einer Kollegin oder einem Kollegen anzuvertrauen und gemeinsam nach Lösungen suchen, einen Brief an den Verursacher schreiben oder ihn persönlich mit einer Begleitperson zur Rede zu stellen. Jeder muss selbst entscheiden, was er imstande ist, in solch einer Situation zu leisten. Grundsätzlich ist es ratsam, sich Unterstützung zu suchen – entweder intern oder außerhalb des Unternehmens. "Vor einer offiziellen Beschwerde oder gar einer strafrechtlichen Anzeige empfehle ich, sich mit einer Beratungsstelle in Verbindung zu setzen", sagt Eckhardt. "Diese kann Betroffene konkret unterstützen und sie unter Umständen auch bei Gesprächen begleiten." Eine Datenbank für entsprechende Kontaktstellen findet sich zum Beispiel auf den Seiten des Bundesverbands oder bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes.
Besonders heikel wird die Sache, wenn die Belästigung nicht unter Kollegen stattfindet, sondern ein Mandant der Verursacher ist. "Hier sollte auf jeden Fall der Arbeitgeber mit ins Boot geholt werden", rät Eckhardt. Greth sind zudem Fälle bekannt, in denen die betroffene Person mit ihrem Einverständnis aus dem Mandat genommen wurde. "In schwierigen Situationen muss eine Kanzlei auch den Mut haben, sich von einem Mandanten zu trennen", so der Arbeitsrechtler. In der Branche sind auch Fälle bekannt, in denen sich Kanzleien von Partnern, die übergriffig geworden sind, getrennt haben. 
Zu Recht, denn: "Alle Berufstätigen haben das Recht auf ein sicheres Arbeitsumfeld", schreibt Christine Lüders, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, im Vorwort des Leitfadens für Beschäftigte, Arbeitgeber und Berufstätige. Der Flyer soll Betroffene dabei unterstützen, sexuelle Belästigung nicht als unvermeidbares Übel hinzunehmen. "Sprechen Sie darüber", so Lüders' Apell.

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