Keine versuchte Nötigung

Ex-Gerichts­prä­si­dentin durfte Richter zu mehr Urteilen ermahnen

von Pia LorenzLesedauer: 3 Minuten
Die Ermahnung eines Richters, seine unterdurchschnittliche Erledigungsquote zu erhöhen, ist keine versuchte Nötigung. Die Entscheidung der StA Freiburg ist eine weitere Niederlage im Kampf für eine absolute richterliche Unabhängigkeit.

Die Staatsanwaltschaft (StA) Freiburg leitet kein Ermittlungsverfahren gegen die ehemalige Präsidentin des Oberlandesgerichts (OLG) Karlsruhe und mehrere ihrer Mitarbeiter ein, weil sie den Richter am OLG Thomas Schulte-Kellinghaus im Jahr 2012 dazu aufgefordert hat, seine Erledigungszahlen zu verbessern. Der Oberstaatsanwalt sieht in den Verfügungen von Prof. Dr. Christine Hügel keine Anhaltspunkte für eine strafbare Handlung. Vor allem liege kein Anfangsverdacht für eine versuchte Nötigung vor. Wegen dieses Vorwurfs – auch in der Variante desbesonders schweren Falls - hatten im Juni dieses Jahres mehrere bekannte Juristen Strafanzeige gegen erstattet. Es ist eine weitere Niederlage im Kampf von Schulte-Kellinghaus, der seit Jahren im Namen der richterlichen Unabhängigkeit die Gerichte beschäftigt. Als Eingriff in ebendiese betrachtet der Richter am OLG die Maßnahmen der Dienstaufsicht, mit denen Hügel ihn dazu bringen wollte, seine mit 68 Prozent des durchschnittlichen Pensums erheblich geringere Erledigungsquote zu verbessern.

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Eine weitere Niederlage

Weil er schon jetzt mehr als 40 Stunden pro Woche arbeite, ginge das aber nur, wenn er weniger Zeugen vernähme, Hinweise erteilte, Vortrag schneller als unsubstantiiert abtäte oder sonstwie seine Rechtsanwendung änderte, begründet Kellinghaus seine Auffassung. Bislang ist er mit der gescheitert: Seine Klage gegen die Sonderprüfung seines Dezernats und die Ermahnung durch die Präsidentin blieb vor dem Richterdienstgericht (RDG, Urt. v. 04.12.2012, Az. RDG 6/12) und dem Dienstgerichtshof für Richter (DGH, Urt. v. 17.04.2015, Az. DGH 2/13) erfolglos; die Revision ist derzeit beim Bundesgerichtshof (BGH) anhängig, gut informierte Kreise rechnen mit einer baldigen Terminierung. Und auch die Freiburger StA folgt der Argumentation von Schulte-Kellinghaus und seinen prominenten Unterstützern nun nicht. Die Anzeigenerstatter dürfte das nicht überraschen. Sie bezweifelten deren Unabhängigkeit bereits bei Stellung der Strafanzeige, weil die Strafverfolgung gegenüber dem Justizministerium in Baden-Württemberg weisungsgebunden sei, welches seinerseits ein Interesse an der Einhaltung der Erledigungsquote in der Justiz habe.    

StA: Weder Zweck noch Mittel oder ihre Verknüpfung verwerflich

Weder der Vorhalt noch die Ermahnung, mittels derer Hügel den OLG-Richter zu "ordnungsgemäßer, unverzögerter Erledigung der Amtsgeschäfte" aufforderte, seien rechtswidrig im Sinne von § 240 Abs. 2 Strafgesetzbuch (StGB), teilte die StA nun mit. Die für den Tatbestand der Nötigung erforderliche Verwerflichkeitsprüfung gehe negativ aus. Weder die eingesetzten Maßnahmen, die dienstrechtlich genauso vorgesehen seien, wie Hügel sie eingesetzt habe, noch der mit ihnen verfolgte Zweck seien rechtswidrig, so der Bescheid, der LTO vorliegt. Vielmehr habe die damalige Präsidentin dem Richter aus Rücksicht auf die richterliche Unabhängigkeit gerade keine konkreten Vorgaben gemacht, wie er seine Ziele zu erfüllen habe. Das Ziel, das die heute 65-Jährige damit verfolgte, sei ebenfalls legitim, schließlich sei es ihre Aufgabe als Gerichtspräsidentin, auf eine ordnungsgemäße Erledigung der Dienstgeschäfte hinzuwirken.  Diese Aufgabe könnte, wenn man jede Beanstandung im Bereich der Erledigungszahlen als versuchte Nötigung auffassen wollte, kein Gerichtspräsident erfüllen – und zwar auch in Extremfällen nicht, so die Argumentation der Freiburger Strafverfolger. Die können auch sonst keine Verwerflichkeit im Verhalten von Hügel entdecken, speziell nicht bei ihrer Abwägung zwischen der richterlichen Unabhängigkeit einerseits und der ebenfalls mit Verfassungsrang ausgestatteten funktionierenden Rechtspflege andererseits. Die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft ist nicht rechtskräftig, die Anzeigenerstatter können binnen zwei Wochen Beschwerde einlegen.

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