Frauen an Jura-Lehrstühlen

Frau Pro­fessor, das unbe­kannte Wesen

von Constantin KörnerLesedauer: 3 Minuten
Justitia ist weiblich. Das weiß jeder. Warum dagegen nur etwa 16% der juristischen Lehrstühle in Deutschland von Frauen besetzt sind, blieb bislang wissenschaftlich unbeantwortet. Erstmals geht dieser Frage jetzt eine bundesweite Studie nach. Wir informierten uns beim Forschungsteam der FernUniversität Hagen.

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Mit Sabine Leutheusser-Schnarrenberger steht dem Bundesjustizministerium eine Frau vor. Erst kürzlich trat Generalbundesanwältin Monika Harms ihren Ruhestand an. Es steht um den Frauenanteil in der Justiz doch gar nicht schlecht, könnte man meinen. "Auf den ersten Blick erscheint die Integration von Frauen in juristische Berufe in der Tat erfolgreich und weitgehend abgeschlossen", räumt Ulrike Schultz ein. Aber sogleich gibt die "Expertin für Geschlechterfragen in der Rechtswissenschaft" (FernUni Hagen) zu bedenken: "Die Statistiken sprechen eine andere Sprache. Gemessen am Frauenanteil gibt es noch immer unverhältnismäßig wenig weibliche Führungskräfte in juristischen Tätigkeitsfeldern. Das liegt sicherlich in gesamtgesellschaftlichen Strukturen begründet, die Frauen, auch in anderen Bereichen, noch immer benachteiligen. Diese Unterrepräsentanz hat aber auch etwas mit dem spezifischen Selbstbild, der Kultur und dem Image der Justiz zu tun. Die Justiz ist traditionell männlich und durch eine streng hierarchische Ordnung geprägt. Eine Besetzung der Schlüssel- und Entscheidungspositionen mit männlichen Kandidaten, das weiß man auch aus Untersuchungen des französischen Justizsystems, soll einer Feminisierung und dem damit möglicherweise verbundenen Prestigeverlust der Institution vorbeugen". Schultz arbeitet mit einem Forschungsteam vom Lehrstuhl für Deutsches und Europäisches Verfassungs- und Verwaltungsrecht sowie Völkerrecht der FernUniversität in Hagen während der nächsten drei Jahre an der Studie. Unter dem Titel "De jure und de facto: Professorinnen in der Rechtswissenschaft. Eine Untersuchung der Bedingungen von Professorinnenkarrieren zur Verbesserung der Organisationsstruktur und -kultur in der Rechtswissenschaft", wird das Projekt durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung sowie den Europäische Sozialfonds, gefördert. Dabei sei man ein "eingespieltes Team". Schließlich habe man bereits bei dem Forschungsprojekt "Frauen in Führungspositionen der Justiz" des NRW-Justizministeriums zusammengearbeitet.

Bislang wenige Erkenntnisse trotz sehr langer Tradition

Obwohl in Deutschland der Frauenanteil unter den Jurastudierenden seit Jahren erheblich über 50% liegt, ist der Professorinnenanteil weiterhin besonders niedrig: "Er liegt bei ca. 16%, bei voll ausgestatteten Lehrstühlen noch erheblich niedriger. Es gibt immer noch drei Fakultäten ohne Professorin und einige mit nur einer". Zwar liegen mittlerweile etliche Untersuchungen über Wissenschaftlerinnen aus den Natur- oder auch Sozialwissenschaften vor. Dagegen fehlt es mit Ausnahme lediglich einer Studie aus Großbritannien bislang an Befunden über die Situation in der Rechtswissenschaft: Das sei deshalb so überraschend, da diese als klassische Leitdisziplin über eine sehr lange Tradition an den Universitäten verfüge und sie neben der Wirtschaftswissenschaft das meist gewählte Studienfach ist, das in zentrale gesellschaftliche Positionen und Ämter führt, so Schultz. Genau bei diesem Wissensdefizit setzt die Forscherin und ihr Team jetzt systematisch an: "In der Untersuchung soll ein Einblick in die spezifischen Arbeits- und Lebensbedingungen von Jura-Professorinnen gewonnen werden. Es soll ermittelt werden, was die genauen Ursachen für die Unterrepräsentanz von Frauen in der juristischen Lehre sind, wo die Karrierehindernisse liegen. Dabei ist auch den Faktoren nachzugehen, die die juristische Fachkultur ausmachen. Außerdem wollen wir uns mit der Gleichstellungsgesetzgebung und der Gleichstellungspraxis an den Universitäten auseinandersetzen, um fördernde Maßnahmen und Möglichkeiten zu ermitteln".

Traditionelle Geschlechterrollen werden weitergegeben

Methodisch wird man "sowohl quantitativ als auch qualitativ" vorgehen. Neben der Auswertung der  vorhandenen Bundes-, Länder- und Hochschulstatistiken setzt man vor allem auf Interviews. Es soll einerseits Experteninterviews zur Ermittlung der Abläufe in den Fakultäten, andererseits biografische Interviews mit Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen auf den verschiedenen Qualifikationsstufen der Rechtswissenschaft geben, so Schultz und ergänzt: "Um auch fachkulturspezifische Aspekte wie etwa die Lehrkultur zu erfassen, werden wir zudem juristische Lehrwerke auf Geschlechterbilder hin untersuchen". Ohne die Studienergebnisse bereits vorwegnehmen zu können, hat Schultz sehr wohl bereits eine Vermutung: "Die Unterrepräsentanz von Frauen in der juristischen Professorenschaft hat etwas mit der sozialen Konstruktion des Idealjuristen zu tun: Der ist professionsbedingt geschlechtslos - oder aber männlich und nicht weiblich. Wir denken, dass in der akademischen Rechtswissenschaft noch sehr traditionelle Geschlechterrollen zum Tragen kommen, die durch die Fachkultur weitergegeben und tradiert werden". Schließlich sei, so konstatiert Schultz abschließend, "die Rechtswissenschaft aufgrund ihrer Fachkultur und ihrem Selbstverständnis wenig selbstreflexiv".

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