Fehlerkultur in Kanzleien

Fatale Folgen von Feh­lern

von Sabine OlschnerLesedauer: 4 Minuten
Dürfen Anwälte auch mal Fehler machen? Die meisten Kanzleien meinen: Nein. Sie kommen aber vor, daher sollte man sich mit dem Thema Fehlerkultur durchaus befassen.

"Irren ist menschlich." "Wo gehobelt wird, fallen Späne." "Aus Fehlern lernt man." Es gibt immer mehr Unternehmen, die ihren Mitarbeitern signalisieren: Fehler dürfen gemacht werden und man darf darüber reden, denn das sorgt dafür, dass das Missgeschick beim nächsten Mal nicht wieder passiert. Manchmal entstehen aus Fehlern sogar bahnbrechende Erfindungen – wie etwa das Post-it, das es nur gibt, weil jemand ein zu schwaches Klebemittel entwickelt hat. Das Thema Fehlerkultur wird daher bei vielen Unternehmen mittlerweile groß geschrieben. Nicht so bei Kanzleien. Spricht man sie auf das Thema Fehlerkultur an, erhält man Antworten wie: "Das ist für uns kein Thema." oder "Bei uns werden keine Fehler gemacht!" Schon im Studium werden angehende Juristen darauf getrimmt, auf 100 Prozent Fehlerfreiheit zu achten und damit jedes Risiko zu vermeiden. Wer sich Tippfehler erlaubt, wird schief angeschaut, bei größeren Vergehen kann es richtig Ärger geben, zum Beispiel, wenn Sachverhalte falsch gewürdigt oder Argumentationen falsch aufgebaut werden. Dabei ist keiner vor Fehlern gefeit: Missverständnisse zwischen Mandanten und Anwälten können zum Beispiel in Fehler resultieren, wenn beide nicht "die gleiche Sprache" sprechen, was vor allem bei rechtlich unerfahrenen Privatmandanten vorkommen kann.

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Hinterfragen fördert die Weiterentwicklung

"Fehlerintoleranz ist bei der juristischen Arbeit gut und wichtig", sagt Christoph H. Vaagt, Managing Partner der Law Firm Change Consultants, die Kanzleien und Rechtsabteilungen bei Veränderungsprozessen beraten. Ein falsch gesetztes Komma oder die Verwechslung von "ein" mit "kein" in einem Schriftstück kann schließlich fatale Folgen haben. "Aber sich und seine Arbeit immer mal wieder zu hinterfragen, kann hilfreich sein, die Kanzlei weiterzuentwickeln." Wie in einer Anwaltskanzlei mit Fehlern umgegangen wird, hänge meist von den führenden Partnern ab. "Gelobt wird selten", so Vaagts Erfahrung. "Stattdessen wird jeder Fehler dick rot angestrichen." Dabei gebe es oft viel mehr Spielraum, wenn es um das Thema "fehlerfrei" geht, ist der Berater überzeugt. Ist es nicht schon ein Fehler der Kanzlei, wenn der Mandant nach eigener Einschätzung zu lange warten muss?

Beschwerden sind Chefsache

Die Kanzlei Römermann Rechtsanwälte hat zum Beispiel erkannt, dass man die dankbarsten Mandaten erhält, wenn man sich ernsthaft mit Beschwerden auseinandersetzt. "Der Mandant merkt dann, dass wir ihn ernst nehmen. Oft ist nach einem Gespräch der größte Ärger schon verraucht", berichtet Kanzleigründer Prof. Volker Römermann, der sich schon seit über 20 Jahren mit dem Thema Fehler- und Beschwerdekultur beschäftigt. Ist etwas schiefgelaufen, ruft er meist persönlich den Betroffenen an – Beschwerden sind für ihn Chefsache. "Oft kann man so aus Fehlern noch etwas Positives machen: nämlich eine langfristige Kundenbeziehung aufbauen." Wer Beschwerden ignoriert, verschenkt Potenzial, ist Römermann überzeugt. "Unsere Leistungen beruhen auf Vertrauen, daher müssen wir alles immer aus Mandantenperspektive sehen." Leider werde so etwas an den Hochschulen nicht gelehrt. Viele Kanzleien konzentrieren sich allein auf den Inhalt und unterschätzen die dienstleistungsorientierten Elemente ihrer Arbeit. Der Mandant hingegen kann die juristischen Inhalte selten nach ihrer Qualität beurteilen und schaut deswegen eher auf Äußerlichkeiten: War es im Besprechungsraum der Kanzlei zu laut? Wurde versäumt, dem Mandanten eine Abschrift des Sachverhalts zu schicken? Enthält das Anschreiben Tippfehler? Genau solche Kleinigkeiten machen in den Augen der Mandanten die Unterschiede von Kanzleien aus. Wer hier Fehler vermeidet, kann oft bei Mandanten punkten.

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2/2: Verantwortung übernehmen

"Selbst Fehler, die nur subjektiv empfunden werden, sind Anlass genug, etwas zu verändern", meint Rechtsanwalt Frank E. R. Diem, der bis Ende 2016 eine Kanzlei mit 17 Anwälten geführt hat und jetzt noch als Dreierkanzlei ohne angestellte Rechtsanwälte tätig ist. Für die Bundesrechtsanwaltskammer hat er sich 20 Jahre lang mit dem Thema Qualitätsmanagement beschäftigt und dabei erkannt: "Das Qualitätssystem der Bundesrechtsanwaltsordnung kennen und verstehen die Mandanten nicht. Daher muss eine offene Fehlerkultur Bestandteil der Kanzleikultur werden." In seiner Kanzlei ist nur einmal ein gravierender Fristenfehler passiert, "der sich aber auch nach eingehender Prüfung kaum hätte vermeiden lassen", so Diem. Als das Kind in den Brunnen gefallen war, hat er alles daran gesetzt, dem Mandanten zu beweisen, dass der Kanzlei das Thema Fehlerkultur wichtig ist: "Wir haben sofort die Verantwortung für unseren Fehler übernommen, Transparenz geschaffen und überlegt, wie wir die Sache reparieren können." In Vorstellungsgesprächen hat Diem diese Geschichte gern erzählt und dabei geschaut, wie die Kandidaten reagieren. "Wenn ich bemerkt habe, dass jemand anderer Ansicht ist, habe ich von einer Anstellung Abstand genommen."

Investition in Unternehmskultur

Warum setzen sich so wenige Kanzleien mit dem Thema Fehlerkultur auseinander? Diem glaubt, dass es an mangelndem unternehmerischen Denken liegt. "Die meisten Partner investieren nicht in das Thema Unternehmenskultur. Ihnen ist es egal, dass sie einen hohen Mandantenverschleiß und nur wenige Stammkunden haben", vermutet der Anwalt. Und: "Ein guter Umgang mit Fehlern muss von oben vorgelebt werden, damit die Mitarbeiter das Eingestehen von Fehlern nicht als Druck empfinden, dem nur sie als Angestellte ausgesetzt werden." "Keiner darf bei uns Angst haben, einen Fehler zuzugeben", beschreibt Volker Römermann seine Kanzleikultur, betont aber: "Natürlich können wir Fehler nicht erlauben, unser Qualitätsmanagement ist auf null Fehler ausgerichtet. Aber de facto kommen Fehler in Kanzleien jeder Größenordnung nun mal vor." Sanktionen würden dann ganz unterschiedlich gehandhabt: Auszubildende oder Junganwälte erhielten schon mal einen "Narrenbonus", aber auch sie müssten lernen, dass sie Fehler innerhalb der Kanzlei nie verheimlichen dürfen. "Schließlich geht es bei unserer Arbeit in erster Linie nicht um unser eigenes Kapital, sondern um fremde Werte und Angelegenheiten. Diese haben es verdient, dass wir sorgfältig mit ihnen umgehen."

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