Ehrenamtliches DAV-Projekt auf Lesbos

Ein Anwalt für tau­send Flücht­linge

von Till MattesLesedauer: 5 Minuten
Um eine asylrechtskundliche Erstberatung zu gewährleisten, reisen deutsche Anwälte ehrenamtlich ins Flüchtlingslager Moria nach Lesbos. Rechtsanwalt Thomas Oberhäuser ist heimgekehrt und schildert seine Erfahrungen. Von Till Mattes.

"Mit dem Lager Moria in der jetzigen Form ist es so wie mit dem Gelben Sack. Man weiß, dass er seinen Zweck nicht erfüllt, aber nun ist er eben einmal da", sagt Thomas Oberhäuser. Der Ulmer Rechtsanwalt ist gerade aus Griechenland zurückgekehrt. Aber nicht aus einem Herbsturlaub, sondern als Teil des ersten Teams von europäischen Rechtsanwälten, die im Rahmen eines Projektes vom Deutschen Anwaltverein (DAV) und dem Rat der Europäischen Anwaltschaften (CCBE) ehrenamtlich nach Griechenland reisen, um Flüchtlingen vor Ort asylkundliche Rechtsberatung anzubieten. Derzeit ist das Projekt nach Angaben des DAV auf ein Jahr begrenzt.  Oberhäuser ist Vorsitzender des Geschäftsführenden Ausschusses der Arbeitsgemeinschaft Ausländer- und Asylrecht im DAV.  Europäische Asylrechtsspezialisten wie er sollen möglichst vielen Flüchtlingen eine erste, individuelle Beratung bieten. Zwei bis vier Wochen ihres Jahresurlaubs widmen sie dem Projekt, das auch die griechischen Anwälte vor Ort entlasten soll. Zwei Projektkoordinatoren sind zudem ständig auf Lesbos, um etwa den Kontakt zu örtlichen Behörden pflegen. Die Kosten, die den Projektanwälten entstehen, werden durch Spenden der europäischen Anwaltsvereinigungen abgedeckt. 200.000 Euro stehen zur Verfügung. "Wer dort ankommt, sieht sich einem Maschendrahtzaun samt Stacheldrahtverhau, Militär und Polizei gegenüber. Insgesamt ist eine hohe Anspannung spürbar", beschreibt Oberhäuser seinen ersten Eindruck vom Lager, der eher an ein Gefängnis denken lasse als an eine Einrichtung, in der Menschen leben‚ die bestimmte Rechte haben. EU-Rechte, die ihnen zustünden, sobald sie Unionsgebiet betreten haben und Asyl erhalten wollen.

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Registrierung ohne Aufklärung

Auf Lesbos läuft es laut Oberhäuser allerdings so ab, dass die Flüchtlinge registriert und ihre Fingerabdrücke genommen werden, ohne in einer ihnen verständlichen Sprache über das Prozedere aufgeklärt zu werden. "Das ist für die Betroffenen eine Katastrophe und eine Verletzung des EU-Rechts", klagt er. Auch würden die Flüchtlinge dort nicht über das Asylverfahren als solches informiert. "Ich habe dort erlebt, dass Flüchtlinge aus französischsprachigen Teilen Afrikas erstmals sechs Monate nach ihrer Ankunft rechtliche Aufklärung erhielten - und zwar von meiner französischen Kollegin, die mit mir dort war", so der Anwalt. Schon allein die Aufenthaltsdauer ist für ihn ein Rechtsbruch: "Die aktuell fast über einen Monat andauernde Internierung von Flüchtlingen ist eine Verletzung von EU-Recht." Hinzu komme, dass viel zu wenige Anwälte für die Flüchtlinge zu erreichen seien. Zwar berieten einige griechische Anwälte und manche von ihnen begännen sich jetzt auch auf das Asylrecht zu spezialisieren, doch kämen die Anwälte nur ab und zu ins Lager. Und Mytilini, die Hauptstadt der Insel und Sitz der Kanzleien, sei für die Flüchtlinge eine Stunde Fußmarsch entfernt. "Die schlimme Situation liegt nicht an diesen Kollegen oder an Griechenland", betont Oberhäuser, "ein geordnetes Asylverfahren kann von Griechenland dort gar nicht geleistet werden." Dies solle aber laut EU eben erfolgen. Griechenland sei - wie Italien - verpflichtet, die Flüchtlinge, die es noch bis in die EU schaffen, auf Inseln zu sammeln und ein Asylverfahren durchzuführen. Abgelehnte Bewerber sollten dann im Rahmen des Deals mit der Türkei gegen dort lebende syrische Flüchtlinge ausgetauscht werden.

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2/2: Eine Handvoll Anwälte für 5.000 Flüchtlinge

Oberhäusers Arbeit bestand zum einen darin, "die Flüchtlinge, so gut es ging, auf ihre Anhörung" vorzubereiten. Aber sein Aufenthalt von zwei Wochen sei zu wenig, um einen Asylsuchenden wirklich zu betreuen. "Wichtiger waren meine Bemühungen, Flüchtlinge zu unterstützen, ihren Nachzugsanspruch geltend zu machen. Er liegt vor, wenn ein Verwandter des Flüchtlings bereits rechtmäßig in einem EU-Staat lebt. Dieser Teil meiner Arbeit war eine wirkliche Hilfe für die Betroffenen." Gleichwohl ist die pro-bono-Arbeit der europäischen Anwälte bei weitem nicht genug. Eine Handvoll Anwälte treffen in Moria auf rund 5000 Geflüchtete  - alle mit individuellen Rechten. Dass ihr Engagement keine Lösung bringen kann, war den Verantwortlichen vom DAV von Anfang an bewusst. "Wir wollen die europäischen Regierungen in die Pflicht nehmen", sagte DAV-Präsident Ulrich Schellenberg bereits anlässlich der Präsentation der Initiative im Sommer in Berlin. Zu diesen Pflichten gehört  auch die Entlastung Griechenlands: Über 60.000 Flüchtlinge sollten von Griechenland weiter in andere EU-Länder reisen, um die Lage vor Ort zu entlasten. Bis Ende September waren es nach den Zahlen der EU-Kommission noch nicht einmal 5.000. Jüngst ist die griechische Regierung daher dazu übergegangen, einige Flüchtlinge - entgegen der EU-Vereinbarung - von den überfüllten Lagern auf den Inseln wie Lesbos auf das Festland zu verlegen. Für Oberhäuser ist die Verantwortlichkeit für die Lagerproblematik klar. Er meint: "Die Zustände im Lager hat Europa sich selbst zuzuschreiben. Insbesondere verantwortlich sind Mitgliedstaaten wie Ungarn, Tschechien oder Polen, die eine solidarische Aufnahme von Flüchtlingen ablehnen."

Ein Gefängnis im Gefängnis

Dass so etwas wie die Brandstiftung kürzlich in Moria geschieht, ist für den Anwalt nicht verwunderlich: "Dort befinden sich 5000 Menschen in einem Lager, das nur für 3500 ausgelegt ist. Diese Menschen haben zudem keinerlei Perspektive, leben außerdem im völlig Ungewissen, was schon zu Stress führt. Hinzu kommt noch, dass es teils auch Spannungen zwischen den verschiedenen Flüchtlingsgruppierungen gibt. Das alles erzeugt Aggression." Besonders berührt hat Oberhäuser das Schicksal der Kinder in Moria. "Das Schlimmste, was ich gesehen habe, ist, dass es innerhalb des umzäunten Lagers noch einmal ein ebenso gesichertes kleines Lager gibt. In diesem sind Familien mit Kindern und alleinerziehende Mütter untergebracht, damit sie geschützt sind. Es ist ein Gefängnis im Gefängnis." Die Kinder seien teils über ein halbes Jahr dort und völlig ohne kindgerechte Entwicklungsmöglichkeiten. Dazu komme noch, dass diese Kinder die Flucht und andere schlimme Erlebnisse hinter sich hätten.
Auch das geht nicht konform mit dem EU-Recht, das einen Anspruch der Kinder auf Schulbildung und kindgerechte Unterbringung vorsieht. Derweil dürfen EU-Staaten trotz des Dublin-Abkommens Flüchtlinge nicht in ihr Ersteinreiseland Griechenland zurückschicken. Die Richter des Europäischen Gerichtshofs bescheinigten Griechenland "systemische Mängel" in Sachen Asylverfahren. Und damals gab es das Lager Moria noch nicht einmal.

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