BVerfG zur Pflichtverteidiger-Vergütung

Bei auf­wän­digen Ver­fahren muss der Staat einen Vor­schuss zahlen

von Martin W. HuffLesedauer: 4 Minuten
Rechtsanwälte müssen als Pflichtverteidiger tätig werden, wenn das Gericht sie bestellt. Das gehört zu den Pflichten der Advokaten. Doch dann muss der Staat auch dafür sorgen, dass der Anwalt bei einer solchen Pflichtverteidigung nicht in finanzielle Schwierigkeiten gerät. Martin W. Huff über eine deutliche Entscheidung aus Karlsruhe. 

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Pflichtverteidigungen in Strafsachen werden von Rechtsanwälten sehr unterschiedlich wahrgenommen. Manche empfinden sie als lästige Pflicht. Andere, gerade jüngere Anwälte sehen sie durchaus als gute Möglichkeit, in das Geschäft als Strafverteidiger einzusteigen. Doch nicht jede Pflichtverteidigung macht Freude, wie sich sehr anschaulich aus einer aktuellen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ergibt (BVerfG, Beschl. v. 01.06.2011, Az. 1 BvR 3171/10). Der Beschwerdeführer in Karlsruhe war als Pflichtverteidiger in zwei sehr umfangreichen Wirtschaftsstrafverfahren im April 2009 und im Mai 2010 als Pflichtverteidiger beigeordnet worden. Die Arbeit an den Akten, die mehrere 10.000 Seiten umfassten, nahm den Anwalt mit unbestrittenen 410 Arbeitsstunden in Anspruch. Bis Anfang Juni 2011, dem Zeitpunkt der Beschlussfassung der Karlsruher Richter, waren Hauptverhandlungen nicht einmal terminiert. Nun sind die Pflichtverteidigergebühren sehr niedrig und decken, darüber besteht Einigkeit, solche umfangreichen Tätigkeiten auf keinen Fall ab. Daher kann der Anwalt nach § 51 Abs.1 S. 1 RVG eine Pauschalvergütung verlangen. Und weil die Verfahren lange laufen, kann er auch einen Vorschuss verlangen.

Indienstnahme Privater für öffentliche Zwecke

All das aber ignorierte die sächsische Justiz. Zuletzt verweigerte das OLG Dresden in der vor dem Verfassungsgericht angefochtenen Entscheidung die Festsetzung einer Pauschalvergütung von 16.000 Euro. Es billigte dem Verteidiger 396 Euro als Vorschuss zu (OLG Dresden, Beschl. v. 28.10.2010, Az. 1 Ars 40/10). Auch wenn der Akteninhalt rund 24.000 Blatt betrage, sei dies noch kein Grund für eine besondere Schwierigkeit der Sache, so die Dresdner Richter. Zudem sei es einem Pflichtverteidiger zuzumuten, die Festsetzung einer Pauschalgebühr nach Ende des Verfahrens abzuwarten. Beim BVerfG war mit solchen und ähnlichen Begründungen Schluss. Das wegen der Verletzung der Berufsfreiheit (Art. 12 Grundgesetz, GG) angerufene höchste deutsche Gericht hat den Beschluss der Dresdner Richter aufgehoben und das Verfahren zurück verwiesen. Das OLG Dresden habe gegen anerkannte Grundsätze der Berufsfreiheit verstoßen, weil es sich weigerte, einen Vorschuss auf eine anzusetzende Pauschalgebühr zu bezahlen. "Die Bestellung eines Rechtsanwalts als Pflichtverteidiger ist eine besondere Form der Indienstnahme Privater für öffentliche Zwecke", begründen die Richter ihre Entscheidung. Und weiter: "In Strafsachen besonderen Umfangs, die die Arbeitskraft des Pflichtverteidigers für längere Zeit ausschließlich oder fast ausschließlich in Anspruch nehmen, gewinnt die Höhe des Entgelts für den betroffenen Rechtsanwalt existenzielle Bedeutung". Daher gebiete es das Grundrecht aus Art. 12 GG, dem Verteidiger eine angemessene Vergütung zu bezahlen.

"Nicht sehenden Auges in eine existenzgefährdende Situation bringen"

So sei es auch unzumutbar, bei langen Verfahren auf die Festsetzung der Pauschalgebühr am Ende des Verfahrens zu warten, schrieben die Richter mit dem für das Berufsrecht zuständigen Berichterstatter Prof. Dr. Reinhard Gaier. Der Staat sei verpflichtet, dafür zu sorgen, dass ein Anwalt, den er in Anspruch nimmt und der dafür in der Regel deutlich niedrigere Gebühren erhält als bei einem Mandat als Wahlverteidiger, wenigstens seinen Geschäftsbetrieb aufrechterhalten, also etwa Löhne zahlen kann. Der Verteidiger hatte vorgetragen, dass er aufgrund der vielen Stunden für die Mandatsbearbeitung erhebliche Umsatzeinbußen hatte – was er auch unter Beweis gestellt hatte. "Nach alledem erscheint die Verweigerung eines Vorschusses auf eine zu erwartende Pauschalgebühr für das Verfahren ... im Lichte des Art. 12 Abs. 1 GG nicht mehr vertretbar. ... Der Staat darf den hoheitlich in Anspruch genommenen Pflichtverteidiger nicht sehenden Auges in eine existenzgefährdende Situation bringen, indem er ihm den Vorschuss auf die mit Sicherheit zu erwartende Pauschvergütung vorenthält", schloss der Senat. Deutliche Worte der Verfassungsrichter an ihre Richterkollegen, die oftmals die Vergütungen von Anwälten reduzieren, nicht nur bei der Pflichtverteidigervergütung, sondern auch bei der Beratungshilfe. Es ist gut, dass im Lichte des Art. 12 GG das Recht der Anwälte auf eine angemessene Vergütung klar gestellt worden ist. Sehr zu begrüßen ist auch, dass die Verfassungsrichter ihren Beschluss so schnell gefasst haben. Entschieden hatte das OLG Dresden am 28. Oktober 2010 – aufgehoben wurde der Beschluss am 1. Juni 2011. Der Autor Rechtsanwalt Martin W. Huff ist Geschäftsführer der Rechtsanwaltskammer Köln. Mehr auf LTO.de: AG München: Keine Ausnahmeregelung für niedrigere Anwaltsgebühr Heinrich Hannover: "Die Bezeichnung 'Terroristenanwalt' war übel diffamierend"
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