BGH zu Grenzen der Anwaltswerbung

Wer Spe­zia­list ist, darf sich auch so nennen

von Christian DeckenbrockLesedauer: 5 Minuten
"Fachanwalt für Familienrecht" oder "Spezialist für Familienrecht" – der juristische Laie wird da kaum einen Unterschied erkennen. Um Verwechslungen vorzubeugen, durften Anwälte, die keinen Fachanwaltstitel erworben hatten, bisher auch keine ähnlich klingenden Bezeichnungen verwenden. Dieser Praxis setzt der BGH in einer überraschenden Entscheidung ein plötzliches Ende. Von Christian Deckenbrock.

Der Allgemeinanwalt oder Generalist wird immer mehr zum Auslaufmodell. Die Zahl der Anwälte, die nach einer der begehrten 21 Fachanwaltsbezeichnungen streben, steigt stetig. Mit gutem Grund: Nach einer Studie des Soldan Instituts für Anwaltmanagement verdienen Fachanwälte im Durchschnitt deutlich besser als Nicht-Fachanwälte. Der Weg zur Fachanwaltschaft ist jedoch steinig: Die Verleihung des Titels setzt in der Regel voraus, dass der Antragsteller an einem vorbereitenden Lehrgang mit einer Gesamtdauer von mindestens 120 Zeitstunden teilnimmt, § 4 Fachanwaltsordnung (FAO). Zudem muss er mindestens drei schriftliche Leistungskontrollen erfolgreich absolvieren (§ 4a FAO) und besondere praktische Erfahrungen in Form von umfangreichen Falllisten (für das Familienrecht etwa 120 Fälle) nachweisen (§ 5 FAO). Vor diesem Hintergrund erlangt eine unlängst veröffentlichte Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 24. Juli 2014 (Az. I ZR 53/13) besondere Bedeutung. Beklagter war ein Anwalt, der sich auf seinem Briefbogen als "Spezialist für Familienrecht" bezeichnet hatte. Die Freiburger Rechtsanwaltskammer sah bei dieser Bezeichnung eine Verwechslungsgefahr mit dem Fachanwaltstitel für Familienrecht und nahm den Anwalt wegen irreführender Werbung auf Unterlassung in Anspruch. Dem schlossen sich auch die beiden Vorinstanzen an – nicht aber der BGH.

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Verwechslung schadet nicht, wenn Qualifikation vorhanden ist

Zwar würden Rechtsuchende die Begriffe "Spezialist für Familienrecht" und "Fachanwalt für Familienrecht" tatsächlich als Synonyme verstehen und könnten nicht erkennen, dass der eine eine formelle Qualifikation darstellt, der andere nur auf einer Selbsteinschätzung beruht. Ein berufsrechtliches Werbeverbot sei dennoch nicht haltbar, sofern die Angaben über die spezielle Qualifikation des Anwalts zutreffend sind. Mit anderen Worten: Wer tatsächlich Experte ist, der darf sich auch so nennen. Mit dieser Entscheidung setzt der Wettbewerbssenat die Regelung des § 7 Absatz 2 der anwaltlichen Berufsordnung (BORA) außer Kraft. Diese verbietet es einem Anwalt eigentlich, qualifizierende Zusätze (wie Spezialist oder Experte) zu verwenden, soweit sie die Gefahr einer Verwechslung mit Fachanwaltschaften begründen. Die Satzungsversammlung der Bundesrechtsanwaltskammer hatte diese Regelung getroffen, damit die Verbraucher "verlässlich zwischen den auf eigener Einschätzung des Anwalts beruhenden Angaben … und der von den Kammern … geprüften Fachanwaltsbezeichnungen unterscheiden können" (BRAK-Mitt. 2006, 212, 213). Das überzeugt die Karlsruher Richter nicht: Vielmehr müsse es darauf ankommen, ob die Fähigkeiten eines Rechtsanwalts auf einem bestimmten Gebiet jenen entsprechen, die an einen Fachanwalt zu stellen wären. Tun sie das, so gebe es keinen Grund, ihm die Führung einer entsprechenden Bezeichnung zu untersagen, selbst wenn bei potenziellen Mandanten die Gefahr einer Verwechslung mit der Bezeichnung "Fachanwalt für Familienrecht" bestehe.

BVerfG hat 2004 ähnlich entschieden – aber unter anderen Umständen

Der Senat verweist in seinem Urteil mehrfach auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2004. Dort war es einem Rechtsanwalt, der anerkanntermaßen ein Spezialist für Verkehrsrecht ist, gestattet worden, auf seinem Briefbogen die Bezeichnung "Spezialist für Verkehrsrecht” zu verwenden (Beschl. v. 28.07.2004, Az. 1 BvR 159/04). Allerdings gab es zum damaligen Zeitpunkt weder einen Fachanwaltstitel für Verkehrsrecht noch den zuvor erwähnten § 7 Abs. 2 BORA – letzterer wurde vielmehr gerade als Reaktion auf die Entscheidung des BVerfG geschaffen. Auf diesen zeitlichen Horizont weist zwar auch der BGH hin, zieht hieraus jedoch keinerlei Konsequenzen. Letztlich fehlt in den Entscheidungsgründen eine klare Aussage, warum die Regelung des § 7 Abs. 2 BORA für den vorliegenden Fall ohne Bedeutung sein soll. Insoweit hat der Senat auch übersehen, dass das BVerfG in einer anderen Entscheidung, die aus der Zeit nach dem Inkrafttreten des § 7 Abs. 2 BORA stammt, keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegenüber dieser Norm geäußert hat (Beschl. v. 22.03.2006, Az. 1 BvR 97/06).

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2/2: Die Beweislast trägt der "Spezialist"

Mit der Heranziehung der für die Fachanwaltschaft normierten Voraussetzungen stellt der Senat zudem die Begriffe "Fachanwalt" und "Spezialist" quasi auf eine Stufe. Nichts anderes dürfte für den "Experten" gelten. Das BVerfG hatte dagegen 2004 in der bereits angesprochenen Entscheidung noch ausgeführt: "Fachanwälte sind aber nicht notwendig Spezialisten. […] Angesichts der Weite der Tätigkeitsfelder, für die Fachanwaltschaften eingerichtet sind, wird insoweit keine Spezialisierung vorausgesetzt." Es ist daher zumindest zweifelhaft, beide Bezeichnungen identisch zu behandeln. Eine wichtige Einschränkung macht der BGH allerdings, indem er die Beweislast für die Richtigkeit der Selbsteinschätzung als Spezialist jenem aufbürdet, der sich so bezeichnet. Er muss daher im Streitfall seine besonderen theoretischen Kenntnisse und praktischen Erfahrungen nachweisen. Da hierfür nach Auffassung des BGH auf die jeweiligen Anforderungen der Fachanwaltsordnung zurückzugreifen ist, führt das im Ergebnis zu einer vergleichbaren Prüfung wie bei einem regulären Erwerb des Fachanwaltstitels. Konsequenterweise wird man auch verlangen müssen, dass sich der Spezialist entsprechend einem Fachanwalt (§ 15 FAO) im Umfang von 15 Zeitstunden jährlich fortbildet. Für die Kammern bedeutet dies, dass sie nicht nur die bei ihnen registrierten Fachanwälte, sondern auch die selbsternannten Spezialisten und Experten laufend im Auge behalten müssen.

In Zukunft auch "Fachanwalt" für Nicht-Fachanwälte?

Die Entscheidung des I. Senats wirft einige Folgefragen auf. Nicht entschieden hat der BGH insbesondere, ob der betroffene Rechtsanwalt sich auch gleich als "Fachanwalt für Familienrecht" statt als "Spezialist" hätte bezeichnen können. Geht man mit dem Senat davon aus, dass beide Begriffe synonym verwendet werden und insoweit auch identische Anforderungen bestehen, wird man einem Anwalt eine solche Werbung kaum verwehren können. Diese Folge wäre indes fatal und würde das förmliche Verfahren zur Erlangung einer Fachanwaltsbezeichnung ad absurdum führen. Weniger problematisch ist die umgekehrte Konstellation. Ein geprüfter Fachanwalt wird sich nunmehr ohne weiteres alternativ auch als Spezialist oder Experte bezeichnen dürfen. Die Kammer hat keine Handhabe, über die Fortbildungspflicht hinausgehende Anforderungen an diese Anwälte zu stellen.
Schließlich dürfte es einem Fachanwalt, der ein bestimmtes Teilgebiet besonders intensiv bearbeitet, offenstehen, diesen Bereich werbend herauszustellen. Bezeichnungen wie "Spezialist für Unterhaltsrecht" sollten also grundsätzlich unproblematisch sein. Solange der Anwalt besondere theoretische Erkenntnisse und praktische Erfahrungen auf diesem Gebiet nachweisen kann, fehlt es an einer Irreführung des Rechtsverkehrs. Die Verwechslungsgefahr mit einer Fachanwaltschaft ist jedenfalls nach der Entscheidung des BGH kein relevantes Kriterium mehr. Für die Satzungsversammlung, die in diesem Jahr neu gewählt wird, begründet das Urteil Handlungsbedarf. Wieder einmal hat ein Gericht eine Regelung der BORA in einem anderen Sinn interpretiert, als ihr das "Parlament der Anwaltschaft" zugedacht hat. Der Autor Dr. Christian Deckenbrock ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Arbeits- und Wirtschaftsrecht der Universität zu Köln. Einer seiner Forschungsschwerpunkte ist das Recht der freien Berufe und hier vor allem das anwaltliche Berufsrecht.

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