Besonderes elektronisches Anwaltspostfach

Was die Bun­des­re­gie­rung nicht weiß

von Pia LorenzLesedauer: 6 Minuten
Auf viele Fragen der Grünen zum Anwaltspostfach hat die Bundesregierung keine Antwort - anwaltliche Selbstverwaltung, heißt es. Auch beim I. Senat des AGH Berlin sieht man das beA locker: Es werde schon niemand einfach so benutzen.

Die Grünen wollten Vieles wissen, als sie am 29. September, an dem das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) eigentlich – zum zweiten Male – hätte starten sollten, eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung stellten. Deren Antworten allerdings ziehen sich im Wesentlichen darauf zurück, dass es sich um eine Angelegenheit der anwaltlichen Selbstverwaltung handele, das Bundesjustizministerium (BMJV) also über die Handlungen der insoweit verantwortlichen Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) nur die Rechtsaufsicht führe. Während sie es sich damit aus Sicht Grünen zu einfach macht, bewertet die BRAK die Antworten der Bundesregierung in ihren wöchentlichen Nachrichten aus Berlin als "knapp, aber präzise".  Überhaupt läuft es gerade besser als seit langem für die BRAK. Die Gründe einer Entscheidung des I. Senats des Anwaltsgerichtshofs (AGH) in Berlin liegen vor, die ihr nicht nur im Ergebnis Recht gibt. Anders als der II. will der I. Senat der BRAK nicht verbieten, das elektronische Postfach für einen Anwalt aus Köln empfangsbereit zu schalten. Die Gründe des Beschlusses sind lesenswert.

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Was ist schon wesentlich?

Die Staatsaufsicht des Justizministeriums in Angelegenheiten der anwaltlichen Selbstverwaltung beschränkt sich nach § 176 Abs. 2 Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) darauf, dass die BRAK Gesetz und Satzung beachtet, insbesondere die ihr übertragenen Aufgaben erfüllt. Aus Sicht der Bundesregierung reicht es dafür offenbar aus, dass sie "über die wesentlichen Inhalte der Ausschreibung der für die Einrichtung des beA erforderlichen IT-Dienstleistungen informiert" worden sei. Die scheint sie, selbst wenn man außer Acht lässt, dass sie eine Ausschreibung impliziert, die es jedenfalls im formalen Sinne nicht gegeben hat,  allerdings recht grob zu rastern. So ist ihr nach eigenen Angaben zwar immerhin bekannt, wer mit der Erstellung des technischen Konzepts und dessen Durchführung beauftragt wurde (die Firma Atos IT Solutions and Services GmbH).
Was geschehen soll, falls Atos verkauft würde, hält sie offenbar hingegen schon nicht mehr für wesentlich. Ebenso wenig, wie das Anwaltsgeheimnis in dem System geschützt werden soll  oder wo die Server stehen, auf denen die immensen Datenmengen gespeichert werden sollen, die es transportieren muss. Auch ist der Bundesregierung nicht bekannt, wie die – von den rund 166.000 Anwälten bundesweit gezahlten – Einnahmen und die Kosten des Systems kontrolliert werden sollen. Während es nach Ansicht der BRAK eben keinen Anlass für ein Einschreiten der Rechtsaufsicht gegeben habe, werfen für die Grünen die Antworten "mehr Fragen auf, als sie beantworten", so Katja Keul, Bundestagsabgeordnete und Fachanwältin für Familienrecht. Mit dem pauschalen Verweis auf die Selbstverwaltungsbefugnis der BRAK mache es sich die Bundesregierung zu einfach, monierte die Initiatorin der Kleinen Anfrage. "Immerhin geht es bei diesen zentralen Fragen um die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege in Deutschland und um den Zugang der Bürgerinnen und Bürger zu anwaltlicher Beratung".

Bundesregierung: Nicht-Nutzungspflicht per Verordnung ok

Keuls Ansicht nach stellt die Bundesregierung mit ihren Ausführungen darüber hinaus sogar die Nutzungspflicht ab dem 1. Januar 2018 in Frage, wenn sie auf die ohnehin geltende Rechtslage verweise, wonach eine Zustellung nur erfolgen kann, wenn der Postfachinhaber die Empfangseinrichtung zum Empfang von Willenserklärungen bestimmt hat. Das aber ist unwahrscheinlich. Die Nutzungspflicht ab 2018 gilt bislang als einer der wenigen unstreitigen Punkte rund um das Anwaltspostfach, weil ab diesem Zeitpunkt die Rechtsanwälte ohnehin einen sicheren Übermittlungsweg für die Zustellung elektronischer Dokumente eröffnen müssen. Zwar schreibt § 174 Abs. 3 S. 4 Zivilprozessordnung in der ab dem 1. Januar 2018 geltenden Fassung nicht vor, dass das zwingend durch das beA geschehen muss. Das soll aber künftig in § 31 BRAO geregelt werden, so ein Gesetzentwurf, der das anwaltliche Berufsrecht an diversen Stellen modifizieren und zum Jahresende beschlossen werden soll. Die umstrittene Frage, ob die Anwälte bis dahin ihnen per beA zugestellte Schriftstücke gegen sich gelten lassen müssen, wollte die Bundesregierung eigentlich durch die am 28. September in Kraft getretene Rechtsanwaltsverzeichnis- und Postfach-Verordnung (RAVPV) aus der Welt schaffen. Diese Regelung in § 31 S. 1 RAVPV, die klarstellt, dass eine solche passive Nutzungspflicht nicht besteht und die einen Start von beA zum 29. September 2016 ermöglichen sollte, verteidigt die Bundesregierung auch auf Nachfrage der Grünen weiter: Zu deren Erlass durch Verordnung sei sie ermächtigt gewesen auf Grundlage von § 31c Nr. 3d der Bundesrechtsanwaltsordnung. Die Vorschrift ermächtigt das BMJV, per Verordnung die Einzelheiten "der Führung" der Anwaltspostfächer zu regeln.  Dass das reicht, bezweifeln nicht nur die Anwälte,  die weiterhin vor dem AGH Berlin gegen die Freischaltung ihrer Postfächer vorgehen.

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2/2: Klagende Anwälte: RAVPV verfassungswidrig

Der dortige II. Senat hatte ihnen im Juni im Eilverfahren Recht gegeben, weil es für die von der BRAK angenommene passive Nutzungspflicht der automatisch mit ihrem Start empfangsbereiten Postfächer keine gesetzliche Grundlage gebe (was die BRAK bis zum Sommer entgegen allen anders lautenden Stimmen anders bewertet und ihren Mitgliedern nahe gelegt hatte). Weil die Sicherheitsarchitektur des Systems es nicht ermöglicht, nur einzelne Postfächer auf "nicht empfangsbereit" zu schalten, kann dieses für alle Anwälte nicht starten, bis die einstweiligen Anordnungen aus der Welt sind. Die Stellungnahmefrist für die Kölner Anwälte zum Aufhebungsantrag, den die BRAK nach Inkrafttreten der RAVPV stellte, ist zwischenzeitlich zweimal verlängert worden. Sie endet nun nach LTO-Informationen am Montag, den 31. Oktober. Die bislang siegreichen Anwälte aber halten auch nach Inkrafttreten der Verordnung an den ergangenen Beschlüssen fest, weil sie unter anderem die Regelung zur Nutzungspflicht vor dem Jahr 2018 in § 31 RAVPV für verfassungswidrig halten. Und zwar vor allem, weil das BMJV solche Regelungen, durch die in Grundrechte von Anwälten eingegriffen werde, nicht durch Verordnung erlassen dürfe. Zudem könne keine untergesetzliche Norm wie § 31 S. 1 RAVPV regeln, dass Rechtsanwälte ihnen zugestellte Mitteilungen nicht gegen sich gelten lassen müssen. Das würde, so die Kölner Anwälte, die Wirkung der Zustellung von Schriftsätzen oder des Zugangs von Willenserklärungen ändern und damit von der Zivilprozessordnung (ZPO) als formellem Gesetz abweichen, so die Kölner Rechtsanwälte und Informatiker aus der Kanzlei Werner RI.

I. Senat: Es wird schon niemand schreiben

Vor dem I. Senat des AGH Berlin allerdings, wo ein Parallelverfahren (eines anderen Anwalts der Kanzlei) anhängig ist, sind sie damit gescheitert. Zwar begründet der I. Senat in seinem Beschluss (v. 28.09.2016, Az. I AGH 17/15), der LTO vorliegt, seine Entscheidung damit, dass die beiden Anordnungen des II. Senats in der Welt sind, beA also ohnehin nicht starten könne. Damit liege im Verfahren vor dem I. Senat kein Anordnungsgrund vor, die Kölner Anwälte sollen also nach Ansicht der Anwaltsrichter auf das Hauptsacheverfahren warten. Auch zur Sache selbst macht der Senat umfangreiche Ausführungen. Er bezweifelt zwar, dass es eine hinreichende gesetzliche Grundlage gibt, damit die BRAK die Postfächer empfangsbereit einrichtet. Aber auch wenn das die jahrelang von der BRAK diesbezüglich vertretene Auffassung widerlegt, dürfte sich das jedenfalls mit Inkrafttreten der in dem erwähnten Gesetzentwurf geplanten Änderungen berufsrechtlicher Vorschriften erledigen. In § 31 BRAO soll dabei ein "empfangsbereit" eingefügt werden. Doch darauf kommt es nach Ansicht des I. Senats schon gar nicht an, weil kein Eingriff in die anwaltliche Berufsfreiheit bestehe  - anders als zum Zeitpunkt der Entscheidung des II. Senats. Die klagenden Anwälte müssten nicht mehr fürchten, berufsrechtliche Pflichten zu verletzen, wenn sie das freigeschaltete Postfach nicht nutzen und daher auf Eingänge nicht reagieren sollten. Schließlich habe die BRAK insofern ihre Meinung geändert und gehe selbst nicht mehr von einer Nutzungspflicht des beA vor 2018 aus. Zumindest aber stelle die Vorschrift des § 31 RAVPV das klar und sei, soweit es darauf ankomme, auch verfassungsgemäß. Auch eine Haftung sei zwar nicht ganz auszuschließen, aber mittlerweile "gänzlich fernliegend", so der Senat locker. Damit legt er seiner Rechtsauffassung die optimistische Einschätzung zugrunde, dass - obwohl das "denklogisch nicht ausgeschlossen werden könne" - Gerichte, Rechtsanwälte, Unternehmen, Behörden und Bürger, die den EGVP-Classic-Client nutzen, das beA während der Probephase bis 2018 sicherlich nicht einfach so nutzen würden, ohne sich zu vergewissern, dass der Anwalt zur Entgegennahme von Mitteilungen bereit ist. Dieses Argument könnte ironischerweise treffender sein, als es sich prima facie liest: Schließlich hinkt auch die Justiz den Anforderungen in Sachen elektronischer Rechtsverkehr in vielen Ländern so stark hinterher, dass man bezweifeln darf, dass sie über das beA kommunizieren wird – womöglich auch noch nicht nach dem ersten Januar 2018.

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