Überlastete Justiz

"Ich wollte nicht enden wie meine älteren Kollegen"

von Claudia KornmeierLesedauer: 6 Minuten
Im Saarland quittiert ein Richter auf Probe den Dienst – ohne Pläne für die Zukunft. Seine Gründe macht er öffentlich: Die Arbeitsbelastung sei so hoch, dass Verfahren verschleppt und unsachgemäß beendet würden. Damit nicht zu viel eingestellt wird, gebe es Strafquoten – zur Entlastung aber wiederum die Ansage "Strafbefehl statt Anklage", notfalls auch gegen das Gesetz. Alles falsch, meint das Justizministerium.

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Mit 36 Jahren, zwei Staatsexamen und knapp zwei Jahren Berufserfahrung ist David Jungbluth wieder dorthin zurückgegangen, wo andere mit Mitte 20 nach dem Ersten Staatsexamen sind: an einen juristischen Lehrstuhl als wissenschaftlicher Mitarbeiter, mit dem Vorhaben, seine Doktorarbeit zu schreiben. Ausgang offen. Zukunftspläne keine. Dabei hatte er bereits einen der sichersten und begehrtesten Juristenjobs in der Tasche: eine Stelle bei der Justiz im Saarland. Von Herbst 2011 bis zum Sommer 2013 war er dort erst bei der Staatsanwaltschaft, dann als Richter in einer Zivilkammer beim Landgericht (LG) tätig. Ein Jahr und 13 Monate nach seiner Einstellung beantragt er, dass sein Dienstverhältnis als Richter auf Probe sofort aufgehoben wird und schickt der damaligen Justizministerin des Landes einen 15-seitigen Brief, in dem er seine Entscheidung begründet: Nicht nur seine persönliche Arbeitsüberlastung und der für ihn frustrierende Umgang der Justizverwaltung mit ihren Mitarbeitern habe ihn zu der Entscheidung bewegt. Jungbluth kritisiert vielmehr eine Mangelverwaltung, die letztlich dazu führe, dass der Staat dem Justizgewährungsanspruch der Bürger nicht mehr gerecht werde.

Bisher kaum Resonanz auf Kritik

"Mir geht es nicht um eine persönliche Profilierung. Ich hatte die Hoffnung, Veränderungen anzustoßen und Kollegen dazu zu bringen, sich zu wehren. Es motzt immer jeder hinter vorgehaltener Hand, aber offen sagt niemand was", so Jungbluth. Deshalb hat er seinen Brief nun in der Fachzeitschrift Betrifft Justiz veröffentlicht. Groß war die Resonanz bisher nicht. Vom Ministerium bekam er schon damals nur eine pauschale Antwort. Die Ministerin habe seine Kritik zur Kenntnis genommen und werde sehen, was sich machen lasse. Der Präsident des Oberlandesgerichts (OLG) hatte ihn zwar noch zu einem persönlichen Gespräch eingeladen. Als Jungbluth jedoch darum bat, das Gespräch zu verschieben, bis seine Entlassung durch sei, damit es nicht nur darum gehen würde, dass er seine Entscheidung noch einmal überdenkt, war plötzlich auf absehbare Zeit kein Termin mehr frei. Auch jetzt, nach der Veröffentlichung des Briefes, seien die Reaktionen eher gering. Die Medien zeigen nur vereinzelt Interesse. Auch von Seiten der Richterschaft sei bisher kaum etwas gekommen. Im Justizministerium des Landes teilt man seine Kritik nach wie vor nicht. Die Vorwürfe seien falsch, so die Pressesprecherin Michèle Bucher-Rixecker. Auch der Richterbund des Saarlandes schließt sich der Kritik nur punktuell an.

Nur ein stressanfälliger Einzelfall?

Bei der Staatsanwaltschaft war Jungbluth in Dezernaten für allgemeine Strafsachen, am Landgericht in einer Zivilkammer, die hauptsächlich gewerbliche Mietsachen macht. In seinem Brief klagt er über monatliche Eingangszahlen bei der Staatsanwaltschaft von bis zu 180 neuen Verfahren. Das sei kaum noch in den Griff zu bekommen gewesen. Eine tägliche Arbeitszeit von zehn bis zwölf Stunden und Wochenenden im Büro seien zur Regel geworden. Das habe in der Praxis oftmals zu einer bewusst in Kauf genommenen Verschleppung geführt, oder zu befremdlichen bis abwegigen Erwägungen, das Verfahren unsachgemäß einzustellen. "Wenn jemand auf Dauer 180 Neueingänge im Monat hat, dann muss man da natürlich entgegensteuern", sagt Bucher-Rixecker. Die Regel seien aber etwa 100 Neueingänge im Monat, und das sei zu bewältigen. Auf die Zahlen eines einzigen Monats abzustellen, sei wenig aussagekräftig, weil die Zahlen nun einmal schwankten. War Jungbluth also einfach wenig stressresistent, wenn es vereinzelt zu mehr Arbeit als üblich kam? Er selbst sieht das nicht so. Ihm würden auf Anhieb außerdem mehrere Kollegen einfallen, die mit psychischen Problemen zu kämpfen hatten. "Burnout war unter den Richtern durchaus verbreitet." Immerhin trage man als Staatsanwalt oder Richter auch eine gewisse Verantwortung gegenüber den Bürgern, die Arbeit gewissenhaft zu erledigen. Bucher-Rixeckers hält Jungbluths Überforderung eher für einen Einzelfall. Von den 147 Kollegen, die seit dem Jahr 2000 neu eingestellt worden seien, hätten lediglich drei weitere aufgehört, und das aus völlig anderen Gründen. "Herr Jungbluth hatte möglicherweise Schwierigkeiten, seine Arbeit zu bewältigen, aber er hat zu keinem Zeitpunkt um Hilfe oder Beratung gebeten." Auch eine sogenannte Überlastungsanzeige hätte er nicht gemacht. Damit könne überprüft werden, ob jemand zu viele Neueingänge hat, die Verfahren könnten dann gegebenenfalls neu verteilt werden. Der saarländische Richterbund bestätigt dagegen, dass die Richter und Staatsanwälte des Landes mit einer überdurchschnittlichen Arbeitsbelastung konfrontiert seien. "Assessoren sind in den Anfangsjahren zudem wegen ihrer geringeren Erfahrung besonders stark belastet", so der Vorsitzende des saarländischen Richterbundes Werner Kockler.

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2/2: Pönale Quote – ein Mythos?

Folge der hohen Arbeitsbelastung, so Jungbluth, sei gewesen, dass immer mehr Verfahren eingestellt wurden. Um dem wiederum entgegenzuwirken, gebe die Staatsanwaltschaft eine "pönale Quote" aus, wonach mindestens 20 Prozent der Verfahren mit einer Anklage oder einem Strafbefehl abgeschlossen werden sollen. Wer die Quote nicht einhalte, bekommen spätestens bei der nächsten Beurteilung Ärger. Es liege in der Folge nahe, dass dann eher komplizierte Verfahren eingestellt und Bagatellfälle angeklagt würden, um die Arbeitsbelastung trotzdem möglichst gering zu halten. Als schriftliche Anweisung sei eine "pönale Quote" zwar nie rausgegangen. "Bei der Staatsanwaltschaft weiß aber jeder, was damit gemeint ist." Bucher-Rixeckers, die selbst 18 Jahre als Staatsanwältin gearbeitet hat, sagt, sie wisse es nicht. Gehört habe sie von dem Begriff erst jetzt durch die Medien. Dasselbe sagen die Staatsanwälte vom Deutschen Richterbund. Kockler ist die "pönale Quote" dagegen durchaus bekannt. "Der Begriff geistert hier immer mal durch die Gegend." Dahinter verstecke sich aber nichts anderes als eine statistische Größe, die sich aus dem Verhältnis der gesamten Verfahrenseingänge zu den durch Strafbefehl oder Anklage erledigten Verfahren errechne – und keine Zielvorgabe an die Staatsanwälte. Der Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Saarbrücken, Thomas Reinhardt, hält es darüber hinaus für praxisfern, dass eine solche Quote überhaupt die von Jungbluth kritisierten Auswirkungen haben könnte. "Dazu müsste man am Anfang des Monats ja schon wissen, was am Ende des Monats für Verfahren auf dem Tisch liegen, um sie entsprechend zu behandeln."

"Strafbefehl statt Anklage"

Eine Art Kompromiss zwischen Arbeitsüberlastung und Strafquote sei eine Anweisung der Staatsanwaltschaft von Anfang 2013. Danach solle ein Strafbefehl erlassen und nicht Anklage erhoben werden, wenn es die auszusprechende Rechtsfolge zulasse, so Jungbluth. "Das ist ein Verstoß gegen die Strafprozessordnung. Voraussetzung für einen Strafbefehl ist nämlich auch, dass die Staatsanwaltschaft nach dem Ergebnis der Ermittlungen eine Hauptverhandlung nicht für erforderlich hält." Staatsanwalt Reinhardt bestätigt zwar, dass es eine hausinterne Verfügung gebe, die die Kollegen dazu veranlassen sollte, eingefahrene Verfahrensmuster zu überdenken und häufiger einen Strafbefehl statt einer Anklage in Betracht zu ziehen. Allerdings nur dann, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen, und zwar alle. Hintergrund sei gewesen, dass im Saarland im Vergleich zu anderen Bundesländern weniger Strafbefehle erlassen wurden. Im Übrigen überprüfe ja immer noch das Gericht, ob die Voraussetzungen für einen Strafbefehl tatsächlich vorliegen. Jungbluth bleibt dabei: "Es ging letztlich darum, Akten möglichst schnell vom Tisch zu schaffen. Es wird einem von Anfang an vermittelt, dass man sein Dezernat im Griff haben muss." Ein Kollege habe mal gesagt, wer gründlich arbeite, sei hier fehl am Platz.

Trotz Streikverbots Arbeit liegen lassen?

Einfach ist Jungbluth die Entscheidung, aus dem Justizdienst auszutreten, nicht gefallen. Immerhin hat er damit einen sicheren Job aufgegeben, wie er ihn so schnell wohl nicht wieder finden wird. Am Ende sei auch die Perspektivlosigkeit ein Grund für seinen Entschluss gewesen. "Ich wollte nicht so enden wie meine älteren Kollegen. Da haben mehr oder weniger alle, die versucht haben, ihren Job gewissenhaft zu erledigen, einen absolut frustrierten Eindruck gemacht." Was er konkret ändern würde, wenn es in seiner Hand läge? "Letztlich ist es eine Frage der finanziellen Ausstattung. Nur mit mehr Geld kann  man etwas ändern. Weniger Verfahren werden es nicht werden." Damit das passiere, müsse der öffentliche Druck höher werden, Richter und Staatsanwälte sollten sich solidarisieren, am besten länderübergreifend. "Auch wenn sie nicht streiken dürfen, müssten Richter und Staatsanwälte trotzdem irgendwann sagen, gut, dann lassen wir die Arbeit eben liegen und gehen auf die Straße."

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