Zufriedenheit bei Anwälten

Die Jagd nach dem Unglück

von Constantin Baron van LijndenLesedauer: 4 Minuten
Eine Studie zur Lebenszufriedenheit von Anwälten bestätigt, was die einen längst wussten und die anderen nie wahrhaben wollten: Noten, Einkommen und Status sind beinahe bedeutungslos, Selbstbestimmung und nette Kollegen überragend wichtig.

Es ist inzwischen eine Binsenweisheit, dass das Erlangen äußerer Ziele wie Geld, Ruhm oder Macht weit weniger zum Glück des Einzelnen beiträgt, als die Erfüllung innerer Bedürfnisse. Eine lange Liste von Untersuchungen weist in diese immer gleiche Richtung, im Alltag wird wohl keine häufiger zitiert als jene, die die Folgenlosigkeit eines Lottogewinns bzw. einer Querschnittslähmung auf das langfristige Glücksempfinden der Betroffenen nachwies. Insofern ist es nicht überraschend, dass auch das Innenleben von Anwälten entlang der gleichen Parameter operiert. Beachtung verdient die Anfang Mai an der Georgetown University veröffentlichte Untersuchung gleichwohl, in der der ehemalige Großkanzlei-Partner und heutige Juraprofessor Todd Peterson ebendiesen Nachweis führt. Denn was in der Psychologie längst als gesicherte Erkenntnis gilt, wird von der Generation Y zwar rezipiert, aber oftmals dennoch nicht beherzigt, und von der juristischen Ausbildungs- und Arbeitswelt praktisch vollends ignoriert.

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Überragend wichtig: Selbstbestimmtheit, Talentverwirklichung, soziale Einbindung

Der Untersuchung liegen Befragungen von 6.200 Anwälten aus vier amerikanischen Bundesstaaten zu Grunde, deren subjektives Wohlbefinden gemessen und zu einer Reihe von Faktoren in Relation gesetzt wurde. Methodisch fußt die Untersuchung auf der Selbstbestimmungstheorie, die davon ausgeht, dass Kompetenz, Autonomie und soziale Eingebundenheit kultur- und epochenübergreifende Grundpfeiler menschlicher Motivation und Zufriedenheit darstellen. Tatsächlich erwiesen sich das Gefühl, selbstbestimmt arbeiten zu können, gute Beziehungen zu Kollegen und Mandanten zu haben und Ergebnisse zielgerichtet unter Einsatz und Verbesserung der eigenen Stärken beeinflussen zu können, als die wichtigsten Determinanten für die Zufriedenheit der Befragten. Unter "Selbstbestimmtheit" ist, wohlgemerkt, keine völlige Unabhängigkeit von äußeren Faktoren und Personen gemeint, sehr wohl aber das Bewahren individueller Gestaltungsmöglichkeiten und die innere Zustimmung zu den von Vorgesetzten getroffenen Vorgaben. Der Korrelationskoeffizient zwischen den genannten Faktoren und dem subjektiven Wohlbefinden lag im ausgesprochen hohen Bereich zwischen 0,63 und 0,66, wobei ein Wert von 1 eine perfekte, ein Wert von 0 überhaupt keine und ein Wert von -1 eine perfekte negative Korrelation bedeutet. Am nächsthöchsten in der Liste rangieren die innere Motivation (d.h. das Ausüben des Berufs aus Vergnügen / Interesse an der Tätigkeit) mit einem Wert von 0,55 sowie ein von Verständnis, Respekt und großzügigen Freiräumen geprägter Führungsstil der eigenen Vorgesetzten mit einem Wert von 0,44.

Wochenarbeitsstunden sind irrelevant – es sei denn, es sind billable hours

Weniger hoch, aber mit 0,3 immer noch beachtlich ist die Korrelation mit der Ausübung des Berufs zu Zwecken der Selbstverbesserung oder des Gemeinwohls. Und noch einmal ein Stück niedriger, nämlich bei 0,23, rangieren die jährlich genommenen Urlaubstage. Erst danach folgen das Gehalt und die (vor allem in den USA oft beträchtlichen) Schulden aus Studienzeiten mit jeweils 0,19. Das Prestige der besuchten Law School und das eigene Abschneiden innerhalb dieser Law School – gemeinsam ähnlich bedeutsam für die amerikanische Juristenkarriere wie hierzulande die beiden Staatsexamina – kommen auf jämmerliche Werte von 0,12 bzw. 0,05. Ebenfalls interessant ist, dass die Wochenarbeitszeit in Stunden keinen signifikanten Einfluss auf das Wohlbefinden der Studienteilnehmer hatte. Anders ist es hingegen, wenn sie, wie in Großkanzleien nicht anders üblich, in Form von billable hours nachgewiesen werde musste. Deren zwangsweise Erfassung korrelierte mit einem Wert von -0,1 und hatte damit einen ähnlich starken negativen Einfluss wie erhöhter Alkoholkonsum (-0,12), mit dem sie zudem überdurchschnittlich häufig zusammenfiel.

Die ärmsten und schlechtesten Anwälte sind glücklicher als die reichsten und besten

All dies sagt, für sich genommen, noch nichts über den idealen Beruf aus. Da das Einkommen durchaus (wenn auch nicht allzu stark) mit dem Wohlbefinden korreliert, spricht im Grundsatz nichts dagegen, ihm bei der Arbeitssuche einige Bedeutung beizumessen. Die Lebenserfahrung lehrt jedoch, dass die übrigen, weitaus wichtigeren Glücksfaktoren gerade in besonders hochdotierten (allerdings auch in vielen besonders niedrig dotierten) Jobs nur sehr eingeschränkt zur Geltung kommen. Das bestätigt auch die Studie: Diejenigen Anwälte, die im Schnitt die schlechtesten Noten und das niedrigste Gehalt haben, gaben trotzdem höheres subjektives Wohlbefinden an als jene, die über die besten Noten und das höchste Gehalt verfügen. Umgekehrt hatten Juniorpartner keine höheren Zufriedenheitswerte als Senior Associates, obwohl sie über ein im Schnitt um 62 Prozent höheres Jahreseinkommen und gesteigertes Prestige verfügen.

Dissonanz von Kultur und Erkenntnis

Da die untersuchten Parameter weitestgehend fundamentale menschliche Bedürfnisse betreffen, dürften sie trotz mancher kultureller und wirtschaftlicher Unterschiede im Wesentlichen auf die Lage in Deutschland übertragbar sein. Gewiss gilt das für die oft spät, oft nie als fehlerhaft erkannte Prioritätensetzung junger Juristen. Geld und Status gelten den einen unverhohlen, den anderen unter der Hand als höchste Ziele im Berufsleben. Und auch jene, die das Gegenteil beteuern, müssen sich oft und immer wieder selbst von der Richtigkeit dieser Einsicht überzeugen. Das liegt, neben vielem anderen, wohl auch am Grad der Greifbarkeit: Ein spiegelverglaster Büroturm mitten in der Innenstadt ist so augenfällig attraktiver als ein randständiger Backsteinbau, wie 100.000 Euro Jahresgehalt mehr sind als 45.000 Euro. Qualitäten wie Autonomie oder Kollegialität hingegen sind weit schwerer erkenn- und messbar. Das wird gewiss nicht verbessert durch die Kultur der juristischen Ausbildung, in der zwei möglichst gut gelungene Staatsexamina (und damit die Qualifikation für Berufe, die oft ins Unglück führen) als dringlichstes aller Ziele gelten. Es wäre an den Universitäten, vor allem aber an den Studenten selbst, ihre rational erstrebte Zufriedenheit und ihren emotional als erstrebenswert empfundenen Karrierepfad in Übereinklang zu bringen.

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