Die Tribünen-Frage bei "Wer wird Millionär": RTL konsultierte zunächst nur zwei Wörterbücher

von Wolfgang Kuntz

23.05.2013

Woher das Wort Tribüne nun kommt, darüber streiten Rechtshistoriker und Philologen noch. Eine eindeutige Antwort, wie es Günther Jauch in der Sendung "Wer wird Millionär" suggerierte, scheint es jedenfalls nicht zu geben. Endemol muss dem Kandidaten daher eine zweite Chance geben, meint Wolfgang Kuntz. In der Sendung am kommenden Montag könnte Günther Jauch auf die Diskussion reagieren.

In der RTL-Fernsehsendung "Wer wird Millionär" wurde am 6. Mai 2013 die mittlerweile berühmt gewordene Tribünenfrage gestellt: "Wer auf der "Tribüne" Platz nimmt, tut dies der Wortherkunft zufolge eigentlich, um ...?". Günther Jauch erklärte in der Sendung Antwort B (Recht zu sprechen) für richtig, die vom Kandidaten gegebene Antwort D (Almosen zu verteilen) hingegen für falsch.

Im Anschluss an die Sendung entspann sich im Internet eine lebhafte wissenschaftliche Debatte über diese Frage. Die Rechtshistorikerin Tiziana Chiusi kam zu dem Ergebnis, dass die richtige Antwort dem Kandidaten nicht zur Auswahl stand, so dass die Aufgabe praktisch unlösbar war. Auch der Philologieprofessor Peter Riemer erklärte: "Die rein etymologische Verbindung des Wortes 'Tribüne' mit tribunal führt nicht zu der Antwort B, sie führt zu keiner der vier angebotenen Antworten." Weitere Wissenschaftler schlossen sich dieser Ansicht an. Damit steht fest: Die Richtigkeit der von RTL als zutreffend angenommenen Antwort B ist umstritten.

Endemol muss korrektes Multiple-Choice-Quiz durchführen

Der Kandidat kann deshalb von der Produktionsfirma Endemol verlangen, wieder bei einer 125.000-Euro-Frage einzusteigen, unter Beibehaltung der bis zu diesem Zeitpunkt unverbrauchten Joker und – wenn möglich – unter Anwesenheit desselben Studio-Publikums.

Sofern ein Vertrag zwischen dem Kandidaten und RTL existieren sollte, besteht möglicherweise auch ein Anspruch gegen den Sender selbst.

Dieser Anspruch ergibt sich aus dem sogenannten Mitwirkendenvertrag, den Endemol mit dem Kandidaten geschlossen hat und der übrigens streng geheim gehalten wird. Dem Vernehmen nach wird nicht einmal den Teilnehmern eine Kopie ausgehändigt.

Die Produktionsfirma hat ihre Pflichten aus dem diesem Vertrag verletzt, indem sie dem Kandidaten vier Antwortmöglichkeiten bot, die alle nicht zutrafen. Der Quiz-Show liegt aber gerade das Konzept zugrunde, dass es genau eine richtige Antwort gibt. Endemol verpflichtet sich vertraglich gegenüber den Teilnehmern, während der Sendung ein korrektes Multiple-Choice-Quiz durchzuführen.

Haftung auch für Fehler der Fragenredaktion

Endemol hat diese Pflichtverletzung auch zu vertreten. Das Unternehmen kann nicht auf eine Haftungsfreistellungsklausel im Verhältnis zu RTL verweisen. Denn dies könnte sich zu Ungunsten  des Kandidaten auswirken und wäre damit ein unzulässiger Vertrag zu Lasten Dritter. Die Produktionsfirma kann die Verantwortung auch nicht auf die Fragenredaktion von RTL abschieben.

Letztere ist eine Erfüllungsgehilfin der Produktionsfirma, so dass Endemol für fehlerhafte Fragen wegen § 278 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) einstehen muss.

Endemol kann sich auch nicht mit Erfolg auf eine Haftungsfreistellung im Verhältnis zum Kandidaten berufen. Die Vertragsformulare sind Allgemeine Geschäftsbedingungen, die nach den §§ 305 ff. BGB zu beurteilen sind. Eine völlige Haftungsfreistellung auch für Fälle des groben Verschuldens ist danach ebenso unwirksam (§ 309 Nr. 7b BGB) wie eine Klausel, die die Teilnahme am Quiz als "Handeln auf eigene Gefahr" qualifiziert (analog § 254 BGB).

Bei der Gestaltung von Multiple Choice-Quizzen, die wie die Frage nach einer Wortherkunft einen Wissenschaftsbezug haben, müssen die Mindeststandards wissenschaftlichen Arbeitens eingehalten werden. RTL hat nach eigener Auskunft zwei Wörterbücher verwendet. Das ist nicht ausreichend. Die erwähnte wissenschaftliche Debatte bei Facebook hat weitere leicht zugängliche Quellen benannt, die gegen die Annahme von RTL sprechen, Frage B sei zutreffend, zum Beispiel das Glossarium mediae et infimae latinitatis von du Cange und das Totius Latinitatis Lexicon von Forcellini. Wer wegen mangelnder Recherchetiefe den wissenschaftlichen Meinungsstand nicht zur Kenntnis nimmt, handelt grob fahrlässig. Endemol hat die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße außer Acht gelassen.

"Wer wird Millionär" wird voraufgezeichnet. Erst kommenden Montag läuft daher die erste Sendung, in der Günther Jauch auf die Diskussion reagieren könnte. Bisher hat RTL nicht auf die Vorwürfe reagiert. Vielleicht bekommt der Kandidat ja tatsächlich eine neue Chance. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein ausgeschiedener Teilnehmer doch noch weiterraten darf.

Der Autor Wolfgang Kuntz ist Fachanwalt für IT-Recht und bloggt zu Fragen des Internet-Rechts.

Zitiervorschlag

Wolfgang Kuntz, Die Tribünen-Frage bei "Wer wird Millionär": RTL konsultierte zunächst nur zwei Wörterbücher . In: Legal Tribune Online, 23.05.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8791/ (abgerufen am: 29.03.2024 )

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