Wenn Gewerkschaften Betriebsräte schulen: Zwischen Information und Indoktrination

von Prof. Dr. Arnd Diringer

05.06.2012

Gewerkschaften gehören zu den größten Anbietern von Schulungen für Betriebsräte. Es liegt auf der Hand, dass sie Arbeitnehmervertreter damit in ihrem Sinne schulen und Einfluss auf ihre Arbeit nehmen können. Den Verdienstmöglichkeiten der Gewerkschaften hat das Bundesarbeitsgericht aber enge Grenzen gesetzt. Zu Recht, kommentiert Arnd Diringer.

Für die betriebliche Mitbestimmung zahlen deutsche Unternehmen einen hohen Preis. Nach einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft summieren sich die Kosten für die Umsetzung des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) pro Mitarbeiter und Jahr auf 650 Euro. Für ein Unternehmen mit 1.000 Mitarbeitern ergeben sich danach jährlich Ausgaben von ca. 650.000 Euro.

Allein für die Schulung von Betriebsratsmitgliedern müssen größere Betriebe nach dieser Studie jährlich mehr als 18 Euro pro Mitarbeiter aufwenden. Bei kleineren Betrieben, bei denen sich die Kosten auf weniger Köpfe verteilen, liegt die Summe mit 117 Euro pro Mitarbeiter sogar erheblich höher. Bei 1.000 Mitarbeitern entstehen dem Arbeitgeber damit allein durch Betriebsratsschulungen jährlich Kosten von mehr als 18.000 Euro, bei 50 Mitarbeitern ca. 5.850 Euro. Hinzu kommen jeweils erhebliche Aufwendungen für die Freistellung der Teilnehmer von der Arbeit sowie Fahrt- und gegebenenfalls Unterbringungskosten.

Vor diesem Hintergrund scheinen Betriebsratsschulungen für Gewerkschaften doppelt interessant. Sie können in solchen Veranstaltungen ihren Standpunkt vermitteln und damit zumindest mittelbar die Arbeit der Gremien in den Betrieben beeinflussen. Zugleich sind Schulungsveranstaltungen eigentlich auch eine lukrative Einnahmequelle. Letzterem hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) aber Grenzen gesetzt.

Gewerkschaftspolitik ist nicht "erforderlich"

Der Arbeitgeber muss Schulungskosten gemäß § 40 Abs. 1 BetrVG nur tragen, wenn die dort vermittelten Kenntnisse für die Arbeit im Betriebsrat "erforderlich" sind. Dies setzt voraus, dass im konkreten Betrieb Fragen und Probleme anstehen oder in naher Zukunft anstehen werden, zu deren Lösung die Mitglieder des Betriebsrats eine Schulung benötigen.

Veranstaltungen mit gewerkschaftspolitischer Zielrichtung sind davon nicht erfasst. Das haben die obersten Arbeitsrichter bereits früh betont. Und selbst "interessenspolitische Gesichtspunkte dürfen, wenn überhaupt, allenfalls in geringfügiger Weise am Rande berührt werden" (BAG, Beschl. v. 29.01.1974, Az.1 ABR 41/73).

Dass Gewerkschaften Arbeitnehmervertreter im Sinne ihrer ideologischen Ausrichtung schulen, wird sich in der Praxis jedoch kaum vermeiden lassen. Das Gleiche gilt aber auch für Schulungen durch Arbeitgeberverbände, kirchliche Einrichtungen oder sonstige (gesellschafts-)politische Träger.

Gegner und Partner?

Bei Schulungen durch Gewerkschaften besteht jedoch eine besondere Konfliktlage, die ein systemimmanentes Problem des BetrVG widerspiegelt. Einerseits sollen Gewerkschaften gemäß § 2 Abs. 1 BetrVG mit dem Arbeitgeber "vertrauensvoll (…) zum Wohl der Arbeitnehmer und des Betriebs" zusammenarbeiten. Dementsprechend weist das Gesetz ihnen an mehreren Stellen eine "Unterstützungsfunktion" zu, die sie auch durch Seminarangebote erfüllen (vgl. BAG, Beschl. v. 30.03.1994, Az. 7 ABR 45/93).

Andererseits sind Gewerkschaften als Interessenvertreter nicht allen Arbeitnehmern, sondern nur ihren Mitgliedern verpflichtet. Zudem stehen sie den Unternehmen in tariflichen Auseinandersetzungen – und leider oft auch darüber hinaus – als sozialer Gegenspieler gegenüber.

Als Interessenvertreter mit seinem Gegenspieler vertrauensvoll zusammenzuarbeiten ähnelt indes der Quadratur des Kreises. Das BAG sieht darin jedoch kein Problem. Zur Begründung haben die obersten Arbeitsrichter ausgeführt, dass Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände heute eben "nicht mehr nur eine Interessenvertretung" darstellen, sondern "bei ihrer Stellung im Arbeitsleben (…) einen anerkannten und begründeten öffentlichen Charakter" aufweisen und "daher auch auf verschiedenen Gebieten eine staatsentlastende Tätigkeit durchführen". Unter dieser Sicht seien die "Verbände in das Betriebsverfassungsgesetz (…) eingebaut worden" (BAG, Beschl. v. 29.01.1974, Az.1 ABR 41/73).

Gewinnerzielung verboten!

Dass Gewerkschaften und Arbeitgeber bei aller (vermeintlichen) Zusammenarbeit im Betrieb Gegenspieler bleiben, erkennen aber letztlich auch die Erfurter Richter an. Aus dem "koalitionsrechtlichen Grundsatz, dass kein Verband zur Finanzierung des gegnerischen Verbands verpflichtet werden" kann, leiten sie ab, dass "die Gewerkschaften aus den Schulungen zumindest keinen Gewinn erzielen dürfen" (BAG, Beschl. v. 30.03.1994, Az. 7 ABR 45/93). Sie können nur die Erstattung der ihnen durch die Schulung tatsächlich entstandenen Kosten verlangen (vgl. BAG, Beschl. v. 17.06.1998, Az. 7 ABR 20/97).

Das gilt auch dann, wenn eine juristische Person die Schulung durchführt, deren Geschäftsanteile die Gewerkschaft hält, oder ein gemeinnütziger Verein, bei dem die Gewerkschaft kraft satzungsmäßiger Rechte und personeller Verflechtungen Einfluss auf die Bildungsarbeit nimmt (BAG, Beschl. v.  28.06.1995, Az. 7 ABR 55/94).

Schwierig wird es allerdings dann, wenn eine Gewerkschaft an einem Bildungsträger beteiligt ist, ohne eine rechtlich gesicherte Beherrschungsmöglichkeit zu haben. Das kann etwa dann der Fall sein, wenn Gewerkschaften gemeinsam mit anderen Verbänden oder Organisationen Vereine oder Gesellschaften gründen. Die koalitionsrechtlichen Einschränkungen finden dann nur Anwendung wenn konkrete Anhaltspunkte für eine tatsächliche Einflussnahme vorliegen, also z.B. Gewerkschaftsmitglieder weniger zahlen oder die Schulung in Räumen der Gewerkschaft stattfindet (BAG, Beschl. v. 17.06.1998, Az. 7 ABR 20/97).

Vertrauen ist gut – Kontrolle erheblich besser

Um dem Arbeitgeber eine Kontrollmöglichkeit zu geben, müssen gewerkschaftliche Seminaranbieter die entstandenen Kosten grundsätzlich dem Grunde und der Höhe nach konkret benennen. Dies gilt unabhängig davon, ob der Anbieter die Schulungskosten dem Arbeitgeber direkt in Rechnung stellt oder der Arbeitgeber den Teilnehmern ihre Aufwendungen ersetzt. Versäumt der Seminaranbieter eine genaue Aufstellung der erstattungsfähigen Kosten, kann der Arbeitgeber in beiden Konstellationen die Erstattung verweigern (vgl. BAG, Beschl. v. 30.03.1994, Az. 7 ABR 45/93).

Insgesamt ist den obersten Arbeitsrichtern damit ein guter Kompromiss gelungen. Auch wenn die Begründung nicht immer überzeugt: Gewerkschaften können wie jeder andere Verband als Seminaranbieter auftreten und damit den Betriebsräten ihre Sichtweise näherbringen.

Die Unternehmen bleiben davon verschont, ihren sozialen Gegenspieler zu finanzieren. Und Betriebsratsmitglieder haben die freie Wahl, ob sie ein gewerkschaftliches Angebot annehmen oder sich die erforderlichen Kenntnisse ohne ideologisch gefärbte Einschätzungen bei anderen Bildungseinrichtungen aneignen wollen. Am Markt durchsetzen werden sich stets die Anbieter, denen die Arbeitnehmervertreter am meisten vertrauen. Und das ist gut so – egal welcher Anbieter das letztlich ist.

Der Autor Prof. Dr. Arnd Diringer lehrt an der Hochschule Ludwigsburg und leitet dort die Forschungsstelle für Personal und Arbeitsrecht. Vor seiner Berufung war er u.a. als Leiter Zentrale Dienste Arbeits- und Tarifrecht einer privaten Klinikgruppe und Leiter Personal eines Versicherungsunternehmens tätig. Er ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen vor allem zum Arbeitsrecht.

Zitiervorschlag

Arnd Diringer, Wenn Gewerkschaften Betriebsräte schulen: Zwischen Information und Indoktrination . In: Legal Tribune Online, 05.06.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6329/ (abgerufen am: 18.04.2024 )

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