Vorstandshaftung in der VW-Abgasaffäre: Nicht den Fal­schen guil­lo­ti­nieren

von Dr. Tobias de Raet

24.05.2016

Die Abgasaffäre kostet VW Milliarden. Nun wird die Forderung laut, der Aufsichtsrat solle Schadensersatz vom Vorstand einfordern. Doch so lang dessen Verantwortung nicht geklärt ist, kann eine Klage zum Bumerang werden, meint Tobias de Raet.

 

Ferdinand Piëch war in seiner Zeit als VW-Aufsichtsratsvorsitzender nicht dafür bekannt, Manger übermäßig zu schonen. Sein Nachfolger als VW-Vorstandsvorsitzender, Bernd Pischetsrieder, musste im November 2006 gehen, nachdem er bei Piëch in Ungnade gefallen war. Er habe "den Falschen gewählt" und dies "mit Mühe im vergangenen November korrigiert", bekannte Piëch auf der VW-Hauptversammlung im April 2007. Als er im Jahr 2009 – kurz nach dem Ende der Übernahmeschlacht zwischen VW und Porsche – von Journalisten gefragt wurde, ob Porsche-Chef Wiedeking noch sein Vertrauen habe, antwortete Piëch trocken: "Zurzeit noch. Das 'noch' können Sie streichen." Wiedeking war damit erledigt und trat wenig später zurück. Im April vergangenen Jahres sorgte Piëch schließlich mit den Worten "Ich bin auf Distanz zu Winterkorn." für Aufsehen. 

Seine Äußerungen kamen für die Öffentlichkeit häufig überraschend, galten gleichwohl als kalkuliert und gut überlegt. Als im Jahr 2013 Spekulationen über seinen Rücktritt als VW-Aufsichtsratschef gestreut wurden, stellte Piëch gegenüber dem SPIEGEL klar, wie er mit dem Urheber dieser Gerüchte verfahren wolle: "Guillotinieren werde ich erst, wenn ich sicher bin, wer es war." Piëch hat damit treffend zum Ausdruck gebracht, welche Leitlinien für Aufsichtsratsmitglieder gelten, wenn es um ein etwaiges Fehlverhalten von Vorstandsmitgliedern geht.

Erst Ermitteln, dann Verfolgen

Der Bundesgerichtshof hat im Jahr 1997 in der sogenannten ARAG/Garmenbeck-Entscheidung die Pflichten des Aufsichtsrats wie folgt spezifiziert: Der Aufsichtsrat muss auf einer ersten Stufe zunächst den Sachverhalt in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht ermitteln. Kommt er zu dem Ergebnis, dass der Gesellschaft Schadenersatzansprüche gegen ein Vorstandsmitglied zustehen, muss er auf einer zweiten Stufe eine Prozessriskoanalyse vornehmen.

Durchsetzbare Ansprüche muss der Aufsichtsrat grundsätzlich geltend machen. Nur in eng begrenzten Ausnahmefällen darf er im Interesse des Unternehmens von der Verfolgung absehen. Der Schutz eines verdienten Vorstandsmitglieds gehört nicht dazu. Mit der ARAG/Garmenbeck-Entscheidung hat der Bundesgerichtshof eine Unsitte beendet, die in den 1990er Jahren insbesondere in dem als "Deutschland AG" bezeichneten Netzwerk aus Banken, Versicherungen und Industrieunternehmen gängig war. Die Vorstandsmitglieder dieses Old Boys-Clubs hatten meist wenig zu befürchten, da die zu ihrer Kontrolle berufenen Aufsichtsräte infolge personeller und interessensmäßiger Verstrickungen wenig beißfreudig waren.

Dies ist heute schon aus Eigeninteresse nicht mehr möglich. Macht der Aufsichtsrat bestehende und durchsetzbare Ansprüche des Unternehmens gegen Vorstandsmitglieder nicht geltend, droht den Aufsichtsratsmitgliedern ihrerseits die persönliche Haftung.

Voreilige Entscheidungen können zum Bumerang werden

Zitiervorschlag

Dr. Tobias de Raet, Vorstandshaftung in der VW-Abgasaffäre: Nicht den Falschen guillotinieren . In: Legal Tribune Online, 24.05.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19449/ (abgerufen am: 18.03.2024 )

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