Seit kurzem ist es Rockergruppierungen in ganz Deutschland untersagt, ihre Vereinssymbole öffentlich zu zeigen, wenn auch nur ein Regionalverein der jeweils betroffenen Bewegung verboten wurde. Florian Albrecht erwartet chaotische Zustände.
Das dem Gebiet des Gefahrenabwehrrechts zugeordnete Vereinsgesetz (VereinsG) gewährleistet unter anderem, dass sich Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen, in Deutschland nicht weiter betätigen und auch nicht für sich oder ihre (strafgesetzwidrige) Sache durch das Zeigen ihrer Vereinskennzeichen werben dürfen (vgl. § 9 VereinsG). Sozusagen als Nebenfolge des in der Betätigung eines verbotenen Vereins zum Ausdruck kommenden Unrechts sieht § 20 Abs. 1 Nr. 5 VereinsG zudem ein strafgesetzliches Kennzeichenverbot vor.
Das als Vergehen ausgestaltete, nebenstrafrechtliche Kennzeichenverbot macht mit Blick auf den rechtsstaatlichen Grundsatz, dass Strafgesetze auch eines adäquaten Strafgrundes bedürfen, nur dann Sinn, wenn es dem Prinzip der Verwaltungsakzessorietät folgt. Dieser Grundsatz besagt im Kontext des VereinsG, dass es eine strafrechtliche Sanktion nur geben kann, wenn diese an ein vorausgegangenes vereinsrechtliches Verbotsverfahren anknüpft.
Durch diese Verbindung von Gefahrenabwehr und Strafrecht wird gewährleistet, dass den nicht verbotenen Vereinen ihre Vereinsfreiheit verbleibt, die eben auch das Werben für die eigene Sache und um Mitglieder beinhaltet. Den Mitgliedern solcher Vereine wird damit auch die Meinungsfreiheit zugestanden, durch das Zeigen von Vereinssymbolen auf die Mitgliedschaft hinzuweisen.
Moral über Recht
Auch der BGH wahrt diese verfassungsrechtlichen Anforderungen im Wege einer einschränkenden Auslegung des Tatbestands des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG anhand des leider nicht näher konkretisierten "Schutzzwecks der Norm". Das Kennzeichen eines verbotenen Vereins wird demnach nur dann in strafbewährter Weise "verwendet", wenn mittels der Verwendung auf einen verbotenen Verein Bezug genommen wird. Umgekehrt scheidet ein tatbestandliches "Verwenden" des Kennzeichens eines verbotenen Vereines aus, wenn sich aus dem Gesamtzusammenhang der Benutzung des Kennzeichens eindeutig ergibt, dass diese der Durchsetzung eines Vereinsverbots nicht zuwiderläuft.
Rechtsprechung und verfassungsrechtliche Würdigung führen im Ergebnis dazu, dass Vereine und ihre Mitglieder nur dann mit einem Kennzeichenverbot belegt werden dürfen, wenn sie mittels der öffentlichen Verwendung von Symbolen, Wappen oder ähnlichem den Anschluss an einen verbotenen Verein suchen. § 9 Abs. 3 VereinsG hatte dies in seiner bis zum 15.02.2017 geltenden Fassung so auch gewährleistet.
Mit der am 16.03.2017 in Kraft getretenen Reform des VereinsG wird der Zusammenhang zwischen einer verbotswürdigen Betätigung eines Vereines und dem Kennzeichenverbot allerdings vollkommen aufgelöst: Künftig dürfen Vereinssymbole bundesweit selbst dann nicht mehr gezeigt werden, wenn sie - wie es bei den Motorradclubs üblich ist - mit einem Ortszusatz versehen werden, der die Zuordnung zu einem verbotenen oder nicht verbotenen Verein erlaubt.
Der Gesetzgeber stellt damit seine moralischen Vorstellungen hinsichtlich dessen, was er in der Öffentlichkeit sehen möchte oder eben nicht, über das strafrechtlich Erfordernis eines Rechtsgüterschutzes. Kurz gesagt: die Neuregelung ist verfassungswidrig.
2/2: Verbots- und Verfolgungschaos vorprogrammiert
Überdies dürfte die Regelung auch aus polizeilicher Sicht kaum Vorteile bieten. Das Ziel des Gesetzgebers, der glaubt, mittels des erweiterten Kennzeichenverbots einen wesentlichen Beitrag zur Bekämpfung organisierter Kriminalität leisten zu können, wird sich so nicht erreichen lassen. Denn: So wenig wie man mit Videoüberwachung terroristische Anschläge verhindern kann, kann man mittels des Verbots von Symbolen und Vereinswappen gegen Menschenhandel und Drogenkriminalität vorgehen.
Zudem zeigen die Erfahrungen der vergangenen Jahre und insbesondere der vergangen Phasen der gegen Rockergruppierungen gerichteten Kennzeichenverbote, dass die Strafverfolgungsbehörden mit der Umsetzung der Verbotspraxis überfordert sind. Die innerhalb der Rockergruppen verwendeten Wappen, Symbole, Parolen, Buchstaben- und Zahlenkombinationen sind zu vielfältig, als dass man sie dem strafbewährten Begriff des Vereinskennzeichens ohne weiteres zuordnen könnte. In der Folge wird sich ein Verbots- und Verfolgungschaos einstellen, das durch die unterschiedlichen Landeszuständigkeiten noch verstärkt wird.
Wenig zur Erhellung dürfte beispielsweise die aktuelle Erlasslage in Nordrhein-Westfalen beitragen. Dort sollen einerseits die Verwendung des Schriftzuges "Hells Angels" sowie das Zeigen des von dieser Gruppierung genutzten "Deathheads" verfolgt werden, andererseits aber auch nur ganz pauschal die aus Namenszug, "Wappentier" und regionaler Zuordnung bestehenden Gesamtkennzeichen weiterer Rockervereine. An einer zweifelsfreien Definition vereinsrechtlicher Kennzeichen orientiert sich eine solche polizeiliche Praxis nicht.
Diese unklare und uneinheitliche Verbotspraxis führte bereits in der Vergangenheit dazu, dass Behörden aus Frust von der Strafverfolgung abließen oder gar einen selbst das Verbot von Städtenamen umfassenden Null-Toleranz-Ansatz wählten. Auch die Rechtsprechung schafft insoweit leider kaum praktikable Ansatzpunkte. So wird etwa seit dem BGH-Urteil zu sogenannten Rockerkutten hinsichtlich jedes einzelnen Symbols zu prüfen sein, ob dieses "zumindest auch" als Kennzeichen eines verbotenen Vereins "erscheint".
Vereinskennzeichen nicht nur an Kutten und Körpern
Dass auf die Strafverfolgungsbehörden und Gerichte mit dem neuen VereinsG viel Arbeit zukommen wird, lässt sich überdies an den zahlreichen Verwendungsformen der Vereinssymbole verdeutlichen. So schmücken etwa der "Deathhead" der Hells Angels oder der "Fat Mexican" der Bandidos nicht nur Kutten und Körper in Form von Schmuck und Tätowierungen, sondern auch Gebäudefassaden, Internetseiten, Motorräder und vieles andere mehr. Die Strafverfolgungsbehörden sollten vor dem Hintergrund der aufgezeigten verfassungsrechtlichen Zweifel mit Augenmaß und größter Zurückhaltung agieren.
Doch auch eine solche moderate Vollzugspraxis ändert nichts daran, dass mit dem neuen Kennzeichenverbot rund 10.000 Angehörige einer auf lange Traditionen zurückblickenden Subkultur pauschal der organisierten Kriminalität zugeordnet und einem Generalverdacht ausgesetzt werden, der hinsichtlich anderer gesellschaftlicher Randgruppen nachdrücklich abgelehnt wird. Eine Politik, die mit zweierlei Maß misst und auf dem Gebiet der Kriminalitätsbekämpfung Symbole verfolgt, macht sich angreifbar und unglaubwürdig. Eine Polizei, die mit hohem personellen und finanziellen Aufwand Rockerkutten hinterherjagt, vergeudet wertvolle Ressourcen, die dringender auf dem Gebiet der Bekämpfung "echter Kriminalität" und des Terrorismus benötigt werden.
Der Autor Ass. jur. Florian Albrecht M.A. ist Rechtslehrer und Kriminologe. Er ist Mitherausgeber und -autor eines im Beck Verlag erschienenen Kommentars zum Vereinsgesetz. Der Beitrag gibt ausschließlich die persönliche Auffassung des Verfassers wieder.
Florian Albrecht, Verschärftes Kennzeichenverbot: Das Chaos kann kommen . In: Legal Tribune Online, 20.03.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22425/ (abgerufen am: 28.03.2024 )
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