Der Verkehrsgerichtstag empfiehlt, eine MPU schon ab 1,1 Promille anzuordnen. Referentin Ulrike Dronkovic erklärt im LTO-Interview, dass es dabei weniger um Abschreckung geht und wieso ein Alkohol-Interlock die MPU nicht ersetzen kann.
LTO: Frau Dronkovic, anhand einer Medizinisch-Psychologischen Untersuchung (MPU, im Volksmund "Idiotentest") entscheidet die Fahrerlaubnisbehörde über Entzug und Neuerteilung der Fahrerlaubnis. Wer alkoholisiert am Steuer erwischt wird, muss eine MPU unter Umständen sogar zwingend absolvieren. Wie ist die aktuelle Gesetzeslage?
Dronkovic: Derzeit muss unter anderem bei einer Trunkenheitsfahrt gemäß § 13 Fahrerlaubnisverordnung (FeV) ab einer Blutalkoholkonzentration (BAK) von 1,6 Promille oder mehr eine MPU stattfinden. Dahinter steckt die Annahme des Gesetzgebers, dass in solchen Fällen häufig von Alkoholmissbrauch auszugehen ist und damit auch eine erhöhte Rückfallwahrscheinlichkeit für die Zeit nach dem Führerscheinentzug besteht.
LTO: Der Arbeitskreis beim Verkehrsgerichtstag, bei dem auch Sie zu diesem Thema referiert haben, spricht aber eine Empfehlung aus, eine MPU bereits ab 1,1 Promille zwingend anzuordnen. Wieso?
Dronkovic: Das hat mit dem Sinn und Zweck einer MPU zu tun: Sie soll die Zweifel der Behörde an der Fahreignung des Antragstellers gegebenenfalls beseitigen oder eben bestätigen. Die Verkehrspsychologen gehen davon aus, dass von Eignungszweifeln im Sinne von erhöhter Rückfallwahrscheinlichkeit in der Regel aber auch schon ab dem Grenzwert von 1,1 Promille gesprochen werden muss. Hier böte das Ergebnis einer zwingenden MPU eine wichtige Entscheidungsgrundlage.
Außerdem zeigen Erhebungen, dass die Rückfallwahrscheinlichkeit bei denjenigen Fahren, die mit 1,1 Promille erwischt worden sind und solchen, welche die 1,6-Promille-Grenze geknackt haben, ganz ähnlich ist.
"Wer so betrunken Auto fährt, hat kein Problembewusstsein"
LTO: Es geht also nicht um die Abschreckungswirkung in der Bevölkerung, wenn der gefürchtete "Idiotentest" schon bei einem niedrigeren Grenzwert abgelegt werden muss?
Dronkovic: Die Einführung einer zwingenden MPU ab einer geringeren Blutalkoholkonzentration mag zunächst einen solchen Effekt haben. Man muss sich aber die Zahlen vor Augen halten: 1,1 Promille erreicht man nicht einfach so. Wer mit einem solchen Pegel Auto fährt, dem mangelt es meist an Problembewusstsein. Außerdem ist die Empfehlung des Arbeitskreises für eine zwingende MPU ab 1,1 Promille auf Kraftfahrer begrenzt, gilt also nicht für Radfahrer.
LTO: Sie rechnen also nicht damit, dass die Anzahl der MPU ansteigen wird, wenn der Gesetzgeber diese Empfehlung aufgreift? Schon im Jahr 2015 wurden in Deutschland immerhin 45.000 MPU im Zusammenhang mit Alkoholauffälligkeiten durchgeführt.
Dronkovic: Es kann durchaus sein, dass die Zahlen ansteigen. Ich rechne aber eher damit, dass sich die Zahlen verschieben, insoweit als dass bei MPU-Anordnung bereits ab 1,1 Promille mehr Erstauffällige die Anordnung erhalten und parallel dazu die Anordnungen wegen wiederholter Alkoholauffälligkeiten sinken.
2/2: "Alkohol-Interlock wäre kein milderes Mittel"
LTO: Das Bundesministerium für Gesundheit hat den Arbeitskreis gebeten, die Installation eines Alkohol-Interlock als milderes Mittel anstelle einer MPU zu bewerten. Dabei misst ein Gerät im Kfz von auffällig gewordenen Verkehrsteilnehmern den Alkoholgehalt im Atem des Fahrers. Nur wenn das Gerät keinen Alkohol in der Atemluft feststellen kann, kann das Fahrzeug in Gang gesetzt werden. Zu welchem Ergebnis sind die Teilnehmer gekommen?
Dronkovic: Ein Alkohol-Interlock kann nützlich sein, um Fahrten unter Alkoholeinfluss wenigstens rein technisch zu verhindern. So können etwa Lastkraftwagenfahrer, die ihren Führerschein wegen einer Trunkenheitsfahrt verloren haben, immerhin ihren Beruf weiter ausüben, um nicht ihre existenzielle Grundlage zu verlieren. Das bekämpft aber nur die Symptome, d. h. die Verwendung eines Alkoholinterlocks ist nicht geeignet, zu einer Verhaltensänderung beizutragen.
Die MPU ist aber das einzig mir bekannte Mittel, um festzustellen, ob Verkehrssünder, die wegen Trunkenheit am Steuer aufgefallen sind, eine dauerhafte Verhaltensänderung herbeiführen konnten. Die Verhaltensänderung lässst sich in der Regel nur durch eine entsprechende verkehrstherapeutische Maßnahme erreichen, während dies mit dem technischen Gerät Alkohol-Interlock nicht zu erreichen ist. Ein Alkohol-Interlock ist – da hierzu nicht geeignet – also auch nicht das mildere Mittel gegenüber der MPU.
"Die Gerichte entscheiden sehr unterschiedlich"
LTO: Im Rahmen der Vorträge zum Thema war auch die Rede von "Anwendungsschwierigkeiten der gesetzlichen Regelungen". Was hat es damit auf sich?
Dronkovic: Der Führerscheinentzug - und damit verbunden auch oft die Anordnung einer MPU – ist eine sehr gravierende Maßnahme in einer Gesellschaft, in der Mobilität eine große Rolle spielt. Entsprechend häufig werden solche Sanktionen vor den Gerichten angegriffen. Das ist deshalb problematisch, weil unterschiedliche Gerichte divergierend entscheiden.
Je nach Einzelfall haben Gerichte die Anordnung einer MPU schon unter der Grenze von 1,1 Promille, über die wir gerade erst nachdenken, angeordnet. Andere hingegen sahen diese bislang nicht einmal bei 1,1 Promille als sinnvoll an, sondern verhängten sie einfach gar nicht. Es mangelt derzeit an höchstrichterlicher Rechtsprechung - aber nun ist ein einschlägiges Verfahren am Bundesverwaltungsgericht anhängig. Parallel hierzu hat der Arbeitskreis II empfohlen, die Formulierung in § 13 FeV zielführend zu überarbeiten, um die widersprüchliche Rechtsprechung und den damit verbundenen innerdeutschen Führerscheintourismus zu vermeiden.
LTO: Frau Dronkovic, vielen Dank für das Gespräch.
Ulrike Dronkovic ist Fachanwältin für Verkehrsrecht bei Knabben Schmitz Seelhorst & Partner Rechtsanwälte, Köln.
Die Fragen stellte Marcel Schneider.
Marcel Schneider, Vorschlag vom Verkehrsgerichtstag in Goslar: "Idiotentest" schon ab 1,1 statt 1,6 Promille . In: Legal Tribune Online, 03.02.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18332/ (abgerufen am: 24.04.2024 )
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