Spannungen nicht nur am Verfassungsgericht: Wie die PiS die pol­ni­sche Rich­ter­schaft demon­tiert

von Oscar Szerkus

19.06.2017

2/2: II. Umbau und Delegitimierung des Nationalen Richterrats

Im nächsten Programmpunkt der "guten Veränderung" der Judikative wurde der Nationale Richterrat (KRS) in die Mangel genommen. Der KRS ist ein Verfassungsorgan, das im Zuge der Transformationsbemühungen 1989 ins Leben gerufen wurde und dem u.a. die Überwachung der Richterausbildung und -ernennung sowie die Durchführung von Disziplinarverfahren obliegt. Wer die Kontrolle im Nationalen Richterrat hat, kann in der Richterschaft viel bewirken. Gegen einen zunächst eingebrachten, kurz darauf wieder zurückgenommenen und schließlich erneut zur öffentlichen Debatte gestellten Entwurf, der das Wesen des KRS fundamental verändern würde, ertönte aus staatlichen, regierungsunabhängigen Juristenverbänden heftigste Kritik. Uneingeschränkte politische Kontrolle durch den Sejm und die vorzeitige Entlassung der aktuellen Mitglieder des KRS – um die wichtigsten Änderungen zu nennen – seien nach Einschätzung des Beauftragten für Bürgerrechte allesamt verfassungswidrig, deren Implementierung würde "das Rückgrat der polnischen Justiz brechen". Der Oppositionsführer Grzegorz Schetyna bezeichnete die Novellierungspläne als "Bolschewisierung der Gerichte".

Der im Umgang mit Kritik seit jeher wenig souveräne PiS-Vorsitzende Jarosław Kaczyński formulierte daraufhin in einem Interview für die regierungstreue Gazeta Polska, Richter in Polen agierten "außerhalb des Staates". Sie setzen sich mit ihren Entscheidungen über die Gewaltenteilung hinweg, denn schließlich sei die KRS auch eine "postkommunistische Organisation." Was an ihr "postkommunistisch" sein soll, wird weder in jenem Interview, noch an anderer Stelle erläutert. Bei der Äußerung dürfte es aber auch weniger um die Sachfrage gehen, als darum, bei den Lesern möglichst negative Assoziationen zu wecken und Misstrauen gegenüber dem Justizwesen zu säen.

III. Einmischung in Strafverfahren, Missachtung des Obersten Gerichts

Eine der ersten Amtshandlungen des Präsidenten nach den Wahlen 2015 bestand in der Begnadigung eines zu drei Jahren Freiheitsstrafe verurteilten Parteikollegen; das (noch nicht rechtskräftig abgeschlossene) Strafverfahren gegen diesen wurde daraufhin eingestellt. Gegen diese Einstellungsentscheidung wandten sich die Nebenkläger mit einem Kassationsgesuch an das Oberste Gericht. Am 7. Februar 2017 wandte sich der zuständige Spruchkörper des Obersten Gerichts (SN) an die sog. vollständige Kammer mit zwei entscheidungserheblichen Fragen, die das Wesen des Begnadigungsrechts und dessen Rechtsfolgen betrafen. Im Beschluss vom 31. Mai 2017 stellte das SN sodann fest, das Begnadigungsrecht als Prärogative des Präsidenten könne ausschließlich gegenüber Personen verwirklicht werden, deren Schuld mit einem rechtskräftigen Urteil festgestellt wurde; die Begnadigung während eines noch laufenden Verfahrens sei hingegen eine unzulässige Einmischung in die Abläufe der Justiz.

So einfach scheint es allerdings nicht zu sein. In einer aktuellen Stellungnahme des Pressesprechers des Präsidenten heißt es erläuternd: Die Begnadigung sei nicht voreilig gewesen, "das Begnadigungsrecht des Präsidenten ist zeitlich nicht begrenzt." Zudem habe sich das SN mit einer Sache beschäftigt, in der es "keine Kompetenz hat." Unterstützend wird online eine Liste von dreizehn Stellen aus dem Schrifttum publiziert, die sich stellenweise direkt auf die Verfassung der Volksrepublik Polen beziehen, doch für ein extensives Begnadigungsrecht plädieren.

Ein enger Berater von Präsident Duda rechtfertigte den Übergriff gar mit einer biblischen Referenz: "Das Urteil des SN ist nicht die Heilige Schrift". Das mag wohl sein, aber wenn die Regierung ihren aktuellen Kurs beibehält, ist für die Justiz die letzte Messe bald gesungen.

Der Autor Oscar Szerkus ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Europäisches und Internationales Privatrecht der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) und Doktorand am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Deutsche und Europäische sowie Vergleichende Rechtsgeschichte der Freien Universität Berlin. Er promoviert über die Sondergerichtsbarkeit des Polnischen Untergrundstaates in der Zeit des Zweiten Weltkrieges.

Zitiervorschlag

Oscar Szerkus, Spannungen nicht nur am Verfassungsgericht: Wie die PiS die polnische Richterschaft demontiert . In: Legal Tribune Online, 19.06.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23212/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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