Vorführungsverbot des islamkritischen Mohammed-Videos: Vor dem Grundgesetz sind alle Religionen gleich

Das Mohammed-Video ist an Geschmacklosigkeit kaum zu überbieten. Darüber besteht Einigkeit. Wie das Recht mit einer Geschmacklosigkeit umgehen muss, die Gefahren für die öffentliche Sicherheit provoziert, wird dagegen alles andere als einheitlich beurteilt. Am Ende muss sich auch die Religionsfreiheit der Muslime am Wertungsmaßstab des Grundgesetzes messen, meinen Rolf Schwartmann und Petra Silberkuhl.

Die Republik beschäftigt in diesen Tagen die Frage, ob der Staat die Vorführung des siebzigminütigen Films "The Innocence of Muslims" untersagen darf. Aufführen will ihn eine Initiative, die sich "für die Erneuerung des Staates vom Haupt bis zu den Gliedern" einsetzt und bei der auch die bloße Aufmerksamkeit eine Rolle spielen könnte. Staat und Gesellschaft fürchten Tumulte, wie sie das Ausland schon erleben musste. Rechtfertigt und gebietet das, die öffentliche Aufführung des Videos in Deutschland zu verbieten?

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte steht auf dem Standpunkt, dass das Recht der freien Meinungsäußerung grundsätzlich auch für heftige Geschmacklosigkeiten gilt. Im Fall des Films "Das Liebeskonzil" gaben die Straßburger Richter dennoch der Religionsfreiheit den Vorrang. Art. 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention, der die Meinungsfreiheit schützt, lasse es durchaus zu, einen Film zu verbieten, der wie dieser eine vorwiegend blasphemisch inszenierte Darstellung von Gott, Jesus Christus und der Jungfrau Maria ist.

Kein strafrechtliches Problem mit "Leben des Brian"

Schauen wir auf Deutschland: Inwieweit der Staat gegen Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung vorgehen kann, hängt von den Möglichkeiten des Polizei- und Ordnungsrechts ab. Ein Aufführungsverbot würde Grundrechte tangieren und einschränken. Konkret streiten die Meinungs-, Film-, Kunst- und Versammlungsfreiheit gegen die Religionsfreiheit. Daneben steht die zentrale Frage, ob sich der Rechtsstaat von der Furcht vor einem Aufruhr leiten lassen darf.

Seit der Schleyer-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wissen wir, dass die Verfassung nicht generell gebietet, sich Gewalt zu beugen. Der Staat würde sich anderenfalls kalkulierbar und erpressbar machen. Die zuständigen Institutionen müssen vielmehr im Einzelfall entscheiden, wie sie vorgehen sollen.

Generell muss die Polizei öffentliche Versammlungen verbieten oder auflösen, wenn Straftaten konkret drohen. Die Vorführung des Mohammed-Videos könnte strafrechtlich als Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen (§ 166 Strafgesetzbuch) einzuordnen sein. Aber die Meinungsfreiheit trotzt der Bekenntnisfreiheit in diesem Fall ab, bissige, provozierende, ironische und alberne Kritik hinzunehmen. Wir haben mit dem "Leben des Brian" kein strafrechtliches Problem und so könnte es auch hier liegen.

Eigentliche Gefahr liegt in der Verbreitung über das Internet

Die öffentliche Aufführung im Kino ist das eine. Die Verfügbarkeit des Filmes im Internet ist aber ein ganz anderes und das wohl größere Problem. Ohne Internet würden wir nicht in dieser Weise über den Fall diskutieren. Hier liefert nicht das Gefahrenabwehrrecht das Instrumentarium. Einschlägig ist das Recht der elektronischen Medien, das unter bestimmten Voraussetzungen ebenfalls Möglichkeiten bereit hält. Es geht um die Einhaltung der verfassungsmäßigen Ordnung. Bei Verstößen dagegen, können Inhalte gesperrt werden.

Zwar ist die öffentliche Aufführung in einem Kino eine ungeheure Provokation; die daraus resultierenden Gefahren bleiben aber konkret und kalkulierbar, weil sie sich auf einen bestimmten Ort konzentrieren. Die bloße Verfügbarkeit im Netz führt dagegen zu einer eher diffusen Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Ein konkreter Gefahrenort lässt sich nämlich nicht benennen. Abgesehen davon, dass deutsche Behörden sowieso nur mit Wirkung für ihr Hoheitsgebiet anordnen könnten, das Video aus dem Netz zu nehmen, dürfte es bereits an einer Rechtsgrundlage fehlen.

Das Bundesverfassungsgericht begreift die Meinungsäußerungsfreiheit "als unmittelbarsten Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit" und in gewisser Weise "als Grundlage jeder Freiheit überhaupt". Das Grundrecht wird flankiert von der Kunstfreiheit, die ebenso wie die in diesem Fall widerstreitende Religionsfreiheit nur verfassungsimmanenten Schranken unterliegt. Natürlich kann der Staat sowohl in die Meinungs- als auch in die Kunstfreiheit eingreifen, wenn die Abwehr einer konkreten Gefahr dies gebietet. Wegen der besonderen Bedeutung der Meinungsfreiheit für die Demokratie entscheidet Karlsruhe im Zweifel aber grundsätzlich zu deren Gunsten.

Google verweigert Sperre des Videos auf Youtube

Technisch ist es dagegen durchaus möglich die Verfügbarkeit eines Videos innerhalb von Staatsgrenzen zu unterbinden wie das Vorgehen von Youtube im Streit mit der GEMA um das Urheberrecht zeigt. Google will aber – anders als in Ägypten und Libyen – nicht reagieren.

So empfindet der Großteil der Weltbevölkerung das Video ja auch nicht als ehrabschneidend. Allerdings spielt der Film für die sich in ihrem religiösen Empfinden verletzten Muslime gerade wegen seiner Verfügbarkeit im Netz eine so bedeutende Rolle.

Damit ist ein zentrales Problem noch nicht angesprochen. Unsere Verfassung misst den christlichen, den jüdischen, den muslimischen und jeden anderen Glauben mit derselben Elle. Wie für den Vater in der Ringparabel aus Lessings Nathan der Weise seine Söhne gleich viel wert sind, sind es für das Grundgesetz die Religionen. Das Grundgesetz kann und muss die Verschiedenheit der Religionen achten, darf sie aber nur gleich behandeln. Das kann weh tun.

Der Autor Prof. Dr. Rolf Schwartmann ist Professor an der Fachhochschule Köln und Leiter der Kölner Forschungsstelle für Medienrecht. Die Autorin Petra Silberkuhl ist Rechtsanwältin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Forschungsstelle.

Zitiervorschlag

Rolf Schwartmann, Vorführungsverbot des islamkritischen Mohammed-Videos: Vor dem Grundgesetz sind alle Religionen gleich . In: Legal Tribune Online, 19.09.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7119/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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