Neuregelung der Sterbehilfe: Der schwierige Kampf gegen das Geschäft mit dem Tod

Laut ihren jüngsten Reformplänen will die Regierungskoalition einerseits die Selbstbestimmung bis ins hohe Alter unterstützen, andererseits aber auch die gewerbsmäßige Vermittlung von Sterbehilfe unter Strafe stellen. Wie passt das zusammen? Michael Kubiciel über die Gefahr von gesetzgeberischen Schnellschüssen bei einem dafür viel zu sensiblen Thema.

Auf die Frage, ob Sterbehilfe strafbar ist, gibt das Strafgesetzbuch (StGB) keine abschließende Antwort. Zwar wird die Tötung auf Verlangen in § 216 StGB unter Strafe gestellt. Seit langem macht die Rechtsprechung aber Ausnahmen von dem Verbot, die im Gesetz nicht zu finden sind. Nur auf diese Weise konnten die Gerichte auch ohne Hilfe des Gesetzgebers Fälle, in denen ein Patient den Abbruch einer lebenserhaltenden Behandlung verlangt oder ihm lebensverkürzende Schmerzmitteldosen zur Linderung seines Leids verabreicht werden, in einer rechtsethisch angemessenen Weise lösen.

Während diese Rechtspraxis die Sterbehilfe vorsichtig liberalisiert hat, schickt sich die Bundesregierung nun an, das Strafrecht zu verschärfen. Bereits im Koalitionsvertrag hatten CDU und FDP angekündigt, die gewerbsmäßige Vermittlung von Gelegenheiten zur Selbsttötungen unter Strafe zu stellen. Dieses Vorhaben soll jetzt "zeitnah" umgesetzt werden. Dies kündigt ausgerechnet jener Koalitionsbeschluss an, der wenige Seiten zuvor verspricht, "die Selbstbestimmung bis ins hohe Alter zu unterstützen."

Wie lässt sich ein Verbot der kommerziellen Suizidbeihilfe mit diesem Ziel vereinbaren? Diese Fragen dürfte auch in der Verfassungsbeschwerde der Sterbehilfeorganisationen und ihrer Kunden aufgeworfen werden, die der Gesetzgeber als sicher voraussetzen darf. Ob die Kläger in Karlsruhe Gehör finden werden und ein Verbot kippen können, hängt allerdings davon ab, wie das Gesetz formuliert und begründet wird.

Hinweis auf den Lebensschutz reicht nicht aus

Um ein Verhalten unter Strafe stellen zu können, genügen die politisch-symbolischen Motive jedenfalls nicht, die die Koalitionäre zu einer Gesetzesinitiative bewegt haben dürften. Der Gesetzgeber muss vielmehr darlegen, dass ein strafrechtliches Verbot zur Sicherung überragender Gemeinschaftsbelange erforderlich ist.

Auch der Hinweis auf den verfassungsrechtlichen "Höchstwert" Leben reicht allein nicht aus, um das Verbot zu begründen. Denn der Lebensschutz wird schon jetzt vielfach eingeschränkt – sei es durch die Vorschriften zum Schwangerschaftsabbruch und der Notwehr, oder in den Fällen legaler Tötung auf Verlangen. Der Gesetzgeber muss deshalb nachweisen, weshalb das Leben gerade vor einer kommerziellen Suizidbeihilfe geschützt werden muss, während etwa die Sterbehilfe durch einen Verwandten straflos bleibt.

Nach Angaben aus Koalitionskreisen soll das Verbot verhindern, dass die Nachfrage nach Sterbehilfe durch ein institutionalisiertes Angebot von Sterbehilfeleistungen zunimmt. Der geplante Tatbestand wäre dann ein ins Vorfeld verlagerter Gefährdungsschutz, der den Markt für Sterbehilfe austrocknen, die Nachfrage schwächen und damit Sterbewillige schützen soll. Damit würde die Vorschrift der Logik des Betäubungsmittelstrafrechts folgen, mit dem der Gesetzgeber einst Angebot und Nachfrage nach Drogen abzusenken hoffte. Die bescheidenen Erfolge im Kampf gegen den Drogenmissbrauch sprechen allerdings dagegen, das Verbot der Suizidbeihilfe mit dem Ziel der "Angebotverknappung" zu rechtfertigen.

Ein zweites Argument der Sterbehilfegegner ist der Tabuschutz. Eine Kriminalisierung, heißt es, ächte die Suizidbeihilfe und untermauere die Ehrfurcht vor dem Leben. Auch dieses Argument sollten die Gesetzesverfasser aber behutsam verwenden. Erfasst der Tatbestand nur die kommerzielle Form der Suizidbeihilfe und lässt andere Formen straflos, sendet er ein ambivalentes Signal in die Gesellschaft. Überdies hängt die soziale Bewertung der Sterbehilfe, wie der Nationale Ethikrat anhand von Umfragen dargelegt hat, nicht von der Form der Sterbehilfe ab, sondern von den Gründen, die den Todeswunsch tragen.

Freier Todeswunsch in vielen Fällen zweifelhaft

Hier könnte der Gesetzgeber ansetzen. Denn das von Sterbehilfeorganisationen verfolgte kommerzielle Interesse begründet die Gefahr, dass Personen Sterbehilfe erhalten, deren Todeswunsch nicht hinreichend frei ist: Wer ein Geschäft mit dem Sterben macht, betrachtet seine Kunden nämlich nicht mit den Augen eines Samariters. So kommt es vor, dass in der Schweiz, wo seit längerem eine liberalere Sterbehilfepraxis existiert, depressive Menschen und einsame Senioren im Altenheim bei ihrem Suizid unterstützt wurden –  Menschen also, denen Selbstbestimmung allenfalls in einem abstrakten Sinn attestiert werden konnte. Berücksichtigt man diese Gefahr, besteht ein verfassungsrechtlich haltbarer Grund für das geplante Verbot.

Damit ist die Arbeit der Gesetzesverfasser aber noch nicht getan. Darüber hinaus muss geklärt werden, ob die geplante Spezialregelung den Rückgriff auf die allgemeine Hilfeleistungspflicht nach § 323c StGB sperrt, wie dies in der Schweiz der Fall ist. Das Verbot einer "Verleitung zum Selbstmord aus selbstsüchtigen Beweggründen" interpretieren schweizerische Gerichte nämlich als eine abschließende Sonderregel, die einen Rückgriff auf andere Straftatbestände verhindert.

In Deutschland hingegen fehlt bislang eine Spezialvorschrift. Daher kann die Unterstützung einer Selbsttötung hierzulande unter bestimmten Voraussetzungen in eine unterlassene Hilfeleistung umgedeutet werden. Diese Möglichkeit wäre ausgeschlossen, wenn der von der Koalition geplante Tatbestand als abschließende Regelung über die Bedingungen einer strafbaren Suizidteilnahme verstanden werden müsste. Ist aber eine Anwendung des § 323c StGB schlechthin ausgeschlossen, ginge die Kriminalisierung der kommerziellen Suizidbeihilfe mit einer Entkriminalisierung der deutlich häufiger anzutreffenden nicht-kommerziellen Suizidunterstützung einher. Das geplante Gesetz würde den Lebensschutz im Saldo nicht verbessern, sondern aushöhlen.

Als wäre dies nicht schwer genug, muss sich der Gesetzgeber schließlich noch Gedanken darüber machen, ob er – zumindest in den Gesetzesmotiven – Raum für die Zulassung des ärztlich attestierten Suizid schafft. Diese Form der Sterbehilfe halten nämlich viele Ärzte und der Deutsche Juristentag für legitim.

Ob sich derart komplexe Probleme unter Zeitdruck konsistent lösen lassen, bleibt abzuwarten. Aber bei einer Koalition, die über Nacht den Atomausstieg verkündet, sind auch Schnellschüsse im Sterbehilferecht nicht ausgeschlossen.


Dr. Michael Kubiciel, Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Regensburg, forscht u.a. zu strafrechtlichen und medizinethischen Grundfragen der Sterbehilfe.

Zitiervorschlag

Prof. Dr. jur. Michael Kubiciel, Neuregelung der Sterbehilfe: Der schwierige Kampf gegen das Geschäft mit dem Tod . In: Legal Tribune Online, 07.03.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5716/ (abgerufen am: 16.04.2024 )

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