Nachwirkungen des Versailler Vertrags: Der völ­ker­recht­lich legiti­mierte Fahr­radweg

von Dr. Eike Fesefeldt

25.01.2016

Auf einem 130km langen Fahrradweg vom deutschen Aachen bis zum luxemburgischen Troisvierges wirkt der Versailler Vertrag bis heute nach. Eike Fesefeldt über deutsche Enklaven und ein völkerrechtliches Kuriosum.

Der Versailler Vertrag dürfte auch historisch nicht übermäßig interessierten Menschen aus dem Geschichtsunterricht noch gut in Erinnerung sein. Nachdem das Deutsche Kaiserreich den Ersten Weltkrieg gegen die Triple Entente verloren hatte, wurde er am 28. Juni 1919 von den Kriegsparteien geschlossen, und trat am 10. Januar 1920 in Kraft.

Neben der Erklärung des unterlegenen Deutschlands, für den Krieg allein verantwortlich zu sein, und der Verpflichtung zu Reparationszahlungen an die Siegermächte, sah er als dritten Pfeiler der Sanktionen zahlreiche Gebietsabtrennungen vor, wobei insbesondere an Elsass-Lothringen, Westpreußen oder Posen zu denken ist.

Weniger bekannt sind eine Reihe von Grenzgebieten um die Städte Eupen und Malmedy, die das Kaiserreich vertragsgemäß an Belgien abtreten musste. Der Versailler Vertrag sah in den Artt. 371 und 372 zudem die Möglichkeit der Abtretung von Eisenbahnlinien vor, was die Belgische Regierung ganz besonders interessierte.

Völkerrechtlich am Vennbahnweg

Denn seit Ende des 18. Jahrhunderts gab es eine Eisenbahnlinie nahe den Städten Aachen, Malmedy, Monschau und Eupen bis ins luxemburgische Troisvierges. Die Strecke war für die neuen belgischen Städte von hoher wirtschaftlicher Bedeutung und schließlich bestimmte eine internationale Grenzfeststellungskommission gemäß Art. 372 des Versailler Vertrags, dass die Eisenbahnlinie zum Großteil belgisches Hoheitsgebiet wurde. Mit enthalten waren dabei auch einige Kilometer außerhalb der neuen belgischen Besitztümer.

Mittlerweile gibt es die Vennbahn nicht mehr. Der Personenverkehr wurde infolge starke Einbrüche 1989 eingestellt, wenige Jahre darauf auch der Güterverkehr. Stattdessen entschlossen sich die Grenzgemeinden Deutschlands, Belgiens und Luxemburgs zum Umbau der Schienentrassen in einen Fernradweg, den Vennbahnweg. Dieser verläuft nun auf rund 130 Kilometern von Aachen durch die Eifel und die Ardennen bis nach Luxemburg. Der Weg ist bei Wanderern und Fahrradfahren äußerst beliebt und stellt ein gelungenes Projekt europäischer Gemeinschaftsarbeit dar. Aber der Versailler Vertrag zeigt auch heute noch seine Auswirkungen.

Denn wie erwähnt lag die Schienentrasse zu einem großen Teil auch auf deutschem Boden, die etwa zwei bis drei Meter breite Trasse selbst aber gehört bis heute zum Belgischen Königreich. Dadurch sind gleich fünf deutsche Exklaven entstanden. Denn um zu diesen fünf deutschen Gebieten zu kommen, muss jeweils der Vennbahnweg und damit belgisches Territorium überquert werden.

Folgerichtig gilt auf diesem Weg, selbst wenn er komplett von deutschem Territorium umgeben ist, im Regelfall belgisches Zivil- oder Strafrecht. Die deutsche Polizei darf aufgrund der belgischen Souveränität bei Unfällen oder Strafanzeigen auf dem Fahrradweg nicht selbstständig tätig werden.

Ende einer völkerrechtlichen Verpflichtung?

Als die Behörden begannen, die Schienentrassen abzubauen und stattdessen einen Fahrradweg anzulegen, hätte man sich durchaus auch wieder an die Artt. 371 und 372 des Versailler Vertrags erinnern können. In diesen war ja nur geregelt, dass Deutschland seine Souveränität über die "Eisenbahnen in den Gebieten" aufgeben würde.

Was hingegen gelten sollte, wenn die Eisenbahn nebst Schienen in ferner Zukunft entfernt und durch einen Fahrradweg ersetzt würden, regelte der Vertrag nicht. Dafür müsste man, dogmatisch sauber, die Auslegungskriterien des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge heranziehen.

Auf die Idee, einen Streit über einzelne Fragen der Gebietshoheit zu führen, ist bislang jedoch zum Glück noch keine offizielle Stelle ernsthaft gekommen. Als Antwort müsste wahrscheinlich sowieso stehen bleiben, dass Deutschland völkerrechtlich seine Souveränität insgesamt über den Weg aufgegeben hat, unabhängig von der Frage, ob sich Fahrräder, Autos oder Züge auf diesem bewegen.

Stattdessen freuen sich die Menschen der Grenzregion und zahlreiche Auswärtige über den wunderschönen Fahrradweg, und wenn doch einmal Zweifel hinsichtlich der nationalen polizeilichen Zuständigkeit bestehen, lassen sich etwaige Unklarheiten bislang hervorragend im Wege der Amtshilfe regeln.

Der Autor Dr. Eike Fesefeldt ist Richter in einer Großen Wirtschaftsstrafkammer am Landgericht Stuttgart.

Zitiervorschlag

Dr. Eike Fesefeldt, Nachwirkungen des Versailler Vertrags: Der völkerrechtlich legitimierte Fahrradweg . In: Legal Tribune Online, 25.01.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18252/ (abgerufen am: 20.04.2024 )

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