US-Verfahren über Einreisestopp: Trump gegen Bun­des­ge­richte

Interview von Tanja Podolski und Pia Lorenz

11.02.2017

2/2: "Hauptsacheverfahren könnte Monate dauern"

LTO: Bei der nun in San Francisco ergangenen Entscheidung handelt es sich um eine TRO?

Junker: In dem in Frage stehenden Verfahren wurde eine Klage eingereicht und sowohl eine preliminary injunction als auch eine TRO beantragt.

Zeitgleich mit der Klageerhebung hat der Kläger eine TRO beantragt, die Teile der Präsidentenverfügung zum "Schutz der Nation vor der Einreise ausländischer Terroristen in die Vereinigten Staaten" entkräften würde. Es wurde erbeten, den Antragsgegnern zu untersagen, die Verfügung zu vollstrecken. Das hat das Gericht nun antragsgemäß getan, die Entscheidung fiel einstimmig.

Es handelte sich bei der Entscheidung um eine TRO und nicht um eine preliminary injunction. Eine preliminary injunction kann erst nach Beantragung einer TRO erhoben werden und wäre hier auch aus verfahrenstechnischen Gründen nicht effizient gewesen, da die längere Rechtswirkung für die kurz wirkende Präsidentenverfügung nicht notwendig ist.

LTO: Sie sprechen die Klageerhebung an. Die Bundesstaaten haben also im Hinblick auf den Einreisestopp auch bereits Klage in der Hauptsache eingelegt?

Junker: Ja. Neben den beiden beschriebenen Instrumenten des vorläufigen Rechtsschutzes bleibt die Durchführung einer herkömmlichen Gerichtsverhandlung zur Begründetheit der Rechtssache. Dies könnte zu einem endgültigen, nicht nur vorläufigen, Gerichtsbeschluss führen, was jedoch weitaus länger – teilweise Wochen bis hin zu Monaten – dauern könnte.

Vorliegend hat der Bundesstaat Washington am 30. Januar eine Klageschrift beim Western District Court of Washington eingereicht, im Rahmen derer er eine Feststellungs- und Unterlassungsverfügung gegen den US-Präsidenten, das Ministerium für Heimatschutz, den handelnden Staatssekretär und die USA begehrt. Da Washington als erster Bundesstaat geklagt hat, liegt dort auch die örtliche Zuständigkeit. Kürzlich hat der Klägerstaat die Klageschrift dahingehend geändert, dass die Bundesstaaten Minnesota und Hawai als weitere Kläger mit aufgenommen werden. Das System der US-Bundesgerichte existiert nur für zwei Konstellationen.

"Keine rechtliche Bindung für andere Gerichte"

LTO: Das Urteil des Richters James Robart aus dem Bundesstaat Washington gehörte zu  einer von Ihnen. Wieso hat es bundesweite Geltung erlangt und war nicht auf den Staat Washington begrenzt?

Junker: Auch wenn sowohl Deutschland als auch die USA als "föderale" Staaten wahrgenommen werden, bestehen doch Unterschiede in der genauen Ausgestaltung der föderalen Strukturen. Die meisten Gesetze in Deutschland sind Bundesgesetze. In den USA ist es umgekehrt, die meisten Gesetze sind solche der einzelnen Staaten. Es gibt daher 51 Rechtssysteme in den Vereinigten Staaten, die 50 einzelstaatlichen und das bundesrechtliche System. Es gibt 94 Federal Disctricts (Bundesgerichtsbezirke). Die Gerichtsbarkeit für James Robart besteht für den Bezirk Western Washington.

In den USA besteht das System der Bundesgerichte nur, um Fälle zu verhandeln, in die entweder Bürger aus zwei verschiedenen Bundesstaaten involviert sind oder die Rechtsfragen behandeln, die ausschließlich Bundesrecht betreffen, wie beispielsweise die in Frage stehende Präsidentenverfügung.
Die Richter der Bundesgerichte der ersten Instanz in Sachen einstweilige Verfügung gegen das Trump-Dekret aus dem östlichen Bezirk von New York haben in dem Darweesh Fall, ebenso wie die Bundesrichter im Gerichtsbezirk von Massachusetts im Fall Tootkaboni-Louhghalam, deutlich gemacht, dass ihre Verfügungen bundesweite Wirkung entfalten.

Weder die Entscheidungen der Bundesgerichte aus New York, Massachusetts noch die des Bundesgerichts in Washington binden andere Bundesgerichte in rechtlicher Hinsicht, aber in der Praxis halten sich die anderen Bundesgerichte mit hoher Wahrscheinlichkeit an diese Verfügung und weichen hiervon nicht ab. Falls ein weiteres Bundesgericht jedoch anders entscheiden würde, würden sich die Kläger wahrscheinlich an das Berufungsgericht in dem jeweiligen Distrikt wenden.

Notfallantrag auch für den Präsidenten

LTO: Mit seinen Anträgen hatte der Staat Washington auf ganzer Linie obsiegt, das Dekret war vorerst gestoppt. Das war aber ja nicht das Ende.

Junker: Genau, nach einer Anhörung des Antrags befand Richter Robarts des Western District Court of Washington, dass die Kläger ihrer Beweispflicht nachgekommen sind und erließ die Anordnung entsprechend dem Antrag der Kläger.

Gegen ein TRO steht dem Beklagten das Rechtsmittel der Emergency Motion (Notfallantrag) beim Federal Appeals Circuit Court offen. Hierfür müsste er belegen, dass die TRO einen irreparablen Schaden auf seiner Seite herbeiführen kann, obwohl die eigentliche erstinstanzliche Hauptverhandlung noch nicht stattgefunden hat. Die bundesrechtlichen Regelungen erlauben einen solchen Notfallantrag. Dessen Voraussetzungen können von den einzelnen Staaten konkretisiert werden und unterschiedlich ausfallen.

In diesem Fall sieht der neunte Gerichtsbezirk (9th Circuit), in dem der Bundesstaat Washington liegt, die Bezirksregelung (circuit rule) 27-3 für Emergency und Urgency Motions (Notfall- und Dringlichkeitsanträge) vor. Damit ein solcher Antrag von dem neunten Berufungsgericht gehört wird, müssen der Präsident, der handelnde Staatssekretär, das Ministerium für Heimatschutz und die USA beim Bezirksgericht beantragen, die Verfügung des District Courts auszusetzen, die zur Außerkraftsetzung der Präsidentenverfügung führt.

Dafür hätte der Präsident darlegen müssen, dass ohne die Bereitstellung rechtlicher Hilfe innerhalb von spätestens 21 Tagen ein irreparabler Schaden drohen würde. Der Circuit Court hat einen solchen Antrag am 5. Februar 2017 in der Rechtssache 17-35105, 02/04/2017, ID: 10302845 verweigert.

LTO: Ebenso ist es ihm nun auch in San Francisco ergangen, mehrere US-Medien bewerten die Einstimmigkeit der Entscheidung als überraschend. Wagen Sie auf dieser Grundlage eine Prognose für ein eventuelles Urteil des Supreme Court?

Junker: Vermutlich sind die Erwartungen der Medien politisch begründet. Meiner Meinung nach wird der Supreme Court den Fall nicht annehmen. Wenn er rein unter juristischen Aspekten entscheiden würde, ist hier zu berücksichtigen, dass die Vorinstanz einstimmig entschieden hat und das Urteil des Supreme Court wohl auch nicht deutlich anders ausfallen würde. Und wenn der Supreme Court doch politisch entscheiden würde, werden wir wahrscheinlich ein  – 4 Votum sehen, es würde sich also eine Patt Situation ergeben und die 9th Circuit Berufungsgericht Entscheidung wird rechtskräftig.

Professor Dr. Kirk W. Junker ist Inhaber des Lehrstuhls für US-amerikanisches Recht an der Universität zu Köln. Vor seinem Ruf an die Universität zu Köln war Prof. Dr. Junker Professor und Direktor der internationalen Studienprogramme an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Duquesne University in Pittsburgh, USA.

Die Fragen stellten Tanja Podolski und Pia Lorenz.

Zitiervorschlag

Tanja Podolski und Pia Lorenz, US-Verfahren über Einreisestopp: Trump gegen Bundesgerichte . In: Legal Tribune Online, 11.02.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22054/ (abgerufen am: 20.04.2024 )

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