Unfallbilanz im Straßenverkehr 2009 : Von der Relativität von Zahlen

Seit Jahren brüsten die Polizeiminister sich regelmäßig mit einem Rückgang der Verkehrstoten auf deutschen Straßen, den sie mit ihren Überwachungsmaßnahmen begründen. Nicht nur die Ursachen dieser absoluten Zahl, sondern auch andere, weniger publik gemachte Ergebnisse der Unfallstatistik 2009 geben aber Anlass zu einem kritischen Blick hinter die Zahlen. Von Prof. Dr. Dieter Müller.

Es ist keine Neuigkeit, dass die meisten Statistiken auf mehrere Arten lesbar und interpretierbar sind. Auch die im Mai eines jeden Jahres von den Innenministern publizierte amtliche Unfallstatistik des Vorjahres bildet hier keine Ausnahme.

Auffällig ist bereits die Tatsache, dass die absolute Anzahl der polizeilich aufgenommenen Unfälle im vergangenen Jahr mit knapp 2,3 Mio. die zweithöchste innerhalb der letzten sieben Jahre darstellt.Die deutschen Autofahrer verursachen zwar effektiv weniger tödliche Unfälle, fahren aber nicht unbedingt besser.

Diese Annahme wird bestätigt durch einen Seitenblick auf diejenigen Autofahrer, die mit Punkten im Flensburger Zentralregister gelistet sind. Deren Anzahl steigt nämlich seit vielen Jahren deutlich an.

Höchststand registrierter Verkehrssünder in Flensburg

Laut dem aktuellen Jahresbericht 2009 des Kraftfahrt-Bundesamtes in Flensburg erreichte der Bestand an im Verkehrszentralregister mit Punkten oder Führerscheinmaßnahmen eingetragenen Personen zur Jahreswende 2009/2010 mit knapp 9 Millionen Personen seinen bisherigen Höhepunkt . Im Vergleich zu den Vorjahren verfestigt sich damit die Tendenz eines unrühmlichen Wachstums.

Blickt man ein wenig kritischer auf die verschiedenen Gruppen der Unfallbeteiligten und Unfallopfer, stellen sich weitere Fragen. Entgegen dem insgesamt rückläufigen Trend steigt in der Gruppe der Verkehrstoten und der Verletzten die Generation 65+ ebenso moderat an wie nun bereits im Zweijahrestrend die Gruppe der Radfahrer bei den Getöteten.

Damit sind zwei Risikogruppen angesprochen, die den gestiegenen Anforderungen des modernen, zügigen Straßenverkehrs zumindest in Teilbereichen nicht ganz gewachsen zu sein scheinen und konkrete Schutzmaßnahmen des Staates verdienen.

Die Unfallursachen: Immer mehr Aggression

Betrachtet man die tatsächlich polizeilich festgestellten Unfallursachen, wird recht schnell deutlich, dass die Zahlen für Unfälle beim Überholen, bei ungenügendem Sicherheitsabstand und  falschem Verhalten gegenüber Fußgängern nahezu stagnieren, während die Unfallursache der nicht an die Verkehrsbedingungen angepassten Geschwindigkeit sogar angestiegen ist.

Bei allen genannten Ursachen handelt es sich nicht nur um Nachlässigkeiten im Verkehrsverhalten, sondern in zahlreichen Fällen auch um einen Ausdruck angestiegener Aggressionsdelikte im Straßenverkehr.

Genau bei diesen Arten von Verkehrsunfällen rächt sich der derzeitige Stillstand in der polizeilichen Überwachungspraxis, die sich zur Zeit bundesweit mit der Problematik einer fraglichen juristischen Legitimation konfrontiert sieht.

Die wahren Gründe und fehlende Konsequenzen

Tatsächlich lassen sich die zurückgehenden Zahlen der Verkehrstoten durch zwei Faktoren hinreichend erklären. Einmal ist die passive Fahrzeugsicherheit infolge einer schrittweisen Modernisierung der bundesdeutschen Fahrzeugflotte, insbesondere durch den aktuellen Schub der Abwrackprämie, in den letzten Jahren enorm gestiegen.

Dies hat zur Folge, dass aus früher tödlichen Unfallverläufen heutzutage lediglich mehr oder minder schwere Verletzungen resultieren oder Unfälle und Gefahrensituationen – etwa durch Fahrfehler kompensierende Fahrerassistenzsysteme wie ESP – sogar vollkommen vermieden werden. Daneben tritt eine vielfach lebensrettende und effiziente Notfallversorgung durch Rettungsdienste und Notärzte auf hohem Niveau.

Die gefallenen Zahlen sind also kein Ausdruck einer effektiver gestalteten Verkehrsüberwachung – zumal die Personaleinsparungen bei den Polizeien aller Bundesländer letztendlich dafür sorgen, dass in Teilbereichen Verkehrsüberwachung durch die Polizei kaum noch stattfindet.

Da glaubt man es kaum, dass sich Deutschland noch immer den Luxus leistet, ca. 30.000 Bundespolizisten nahezu vollständig von den Aufgaben der Verkehrsüberwachung auszuschließen.

Der Autor Prof. Dr. Dieter Müller ist Fachbereichsleiter für Verkehrswissenschaften an der Hochschule der Sächsischen Polizei (FH), wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Verkehrsrecht und Verkehrsverhalten Bautzen und Autor zahlreicher Publikationen zum Verkehrsrecht.

Zitiervorschlag

Dieter Müller, Unfallbilanz im Straßenverkehr 2009 : Von der Relativität von Zahlen . In: Legal Tribune Online, 30.06.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/839/ (abgerufen am: 16.04.2024 )

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