Unter dem Namen "PietSmiet" streamen fünf junge Männer, wie sie Computerspiele spielen. Nach Auffassung der Landesmedienanstalt brauchen sie dafür eine Rundfunklizenz. Das hat weniger mit Schikane zu tun als mit unzeitgemäßer Gesetzgebung.
Die Erkenntnis, dass der Gesetzgeber der technischen Entwicklung hinterherhinkt, hat im Laufe der vergangenen zehn Jahre vielleicht an Originalität, aber keinesfalls an Stichhaltigkeit verloren. Wie schlecht Realität und Rechtsordnung im Bereich derz "neuen" Medien bisweilen zueinander passen, lässt sich an kaum einem Beispiel so schön zeigen wie am aktuellen Vorgehen der nordrhein-westfälischen Landesmedienanstalt gegen das Let's-Player-Kollektiv PietSmiet.
PietSmiet muss man nicht unbedingt kennen. Man könnte allerdings: Ihr YouTube-Kanal verfügt über 2,1 Millionen Abonnenten, der Kanal auf der Live-Stream-Plattform Twitch kommt auf 320.000. Dort kann man den PietSmiet-Mitgliedern dabei zuschauen, wie sie Computerspiele spielen, und zuhören, wie sie mehr oder weniger geistreiche Kommentare zum Geschehen liefern. Inzwischen geht das fünfköpfige Team auch auf Tour, der namensgebende Mitgründer Peter Smits wird von Politikern zum Gespräch gebeten – zuletzt etwa von SPD-Generalsekretärin Katarina Barley und CDU-Generalsekretär Peter Tauber. Kein Wunder: Smits ist, was man einen "Influencer" nennt – und es ist Wahljahr.
Unlängst konnte er auf einem Anlass dieser Art auch gleich ein Petitum in eigener Sache loswerden: Bei einem unter dem Titel "Deutschland 2025" veranstalten politischen Abend der CDU warf Smits die Frage auf, ob es denn zeitgemäß sei, wenn über das Internet verbreitete Videokanäle wie der seine bei den Landesmedienanstalten eine Rundfunklizenz beantragen müssten. Eben dazu hatte die Landesmedienanstalt NRW PietSmiet kurz zuvor nämlich aufgefordert; sollte der Kanal dem nicht bis Ende April nachkommen, würde die weitere Ausstrahlung untersagt, bei Zuwiderhandlung drohten Bußgelder.
Was Rundfunk ausmacht
Die Argumentation der Behörde: Das Angebot von PietSmiet falle unter § 2 Abs. 1 Rundfunkstaatsvertrag (RStV). Die Vorschrift definiert Rundfunk als "ein linearer Informations- und Kommunikationsdienst; er ist die für die Allgemeinheit und zum zeitgleichen Empfang bestimmte Veranstaltung und Verbreitung von Angeboten in Bewegtbild oder Ton entlang eines Sendeplans unter Benutzung elektromagnetischer Schwingungen."
In etwas weniger angestaubten Worten fasst die Landesmedienanstalt NRW die Kriterien zusammen. Rundfunk ist demnach ein Streamingdienst, der
- linear, also live verbreitet wird,
- von mehr als 500 Zuschauern/Usern gleichzeitig gesehen werden kann,
- redaktionell gestaltet ist und
- "entlang eines Sendeplans" regelmäßig und wiederholt verbreitet wird.
Da nur lineare Übertragungen erfasst werden, ist der PietSmiet-Kanal auf YouTube nicht betroffen – sehr wohl aber derjenige auf Twitch. Denn während YouTube-Videos jederzeit ("on demand") abgerufen werden können, ist Twitch (in erster Linie) auf Live-Streams zugeschnitten, bei denen nicht der Zuschauer über Start und Ende der "Sendezeit" bestimmt, sondern der Veranstalter. PietSmiet streamt auch "regelmäßig", nämlich täglich. Und schließlich ist das Angebot "redaktionell gestaltet", da das Spielgeschehen nicht einfach nur abgebildet, sondern von den Kommentaren der Spieler begleitet und oft auch in einen größeren Kontext gestellt wird (z.B. Vorstellung neuer Spiele oder Konsolen, Spendenaktionen, Kooperationen mit anderen Streamern etc).
Landesmedienanstalt: Kein Kreuzzug gegen Streamer geplant
Ob PietSmiet sich fügen oder den Rechtsweg beschreiten wird, ist noch nicht bekannt. Aufwand und Kosten würde beides bedeuten: Die Erteilung einer Rundfunklizenz schlägt mit Gebühren zwischen 1.000 und 10.000 Euro zu Buche und bedeutet oft einen monatelangen bürokratischen Spießroutenlauf; außerdem gehen mit ihr bestimmte Pflichten einher wie z.B. die Begrenzung von Werbung, die Offenlegung von Beteiligungen und die Bestellung eines Jugendschutzbeauftragten.
Das wäre für einen Kanal mit der Reichweite und den finanziellen Ressourcen von PietSmiet wohl zu verschmerzen, doch die Kriterien der Landesmedienanstalt dürften auch zahlreiche weit kleinere Twitch-Kanäle erfassen. Diese sind auch durch die 500-Zuschauer-Schranke nicht geschützt: Denn der 2009 in den RStV eingefügte § 2 Abs. 3 Nr. 1 fordert lediglich, dass das Angebot technisch "von mehr als 500 Zuschauern gleichzeitig gesehen werden kann", nicht, dass dies auch tatsächlich geschieht.
Nach eigener Auskunft plant die Landesmedienanstalt NRW dennoch nicht, nun massiv gegen Twitch-Streamer vorzugehen. Tatsächlich wirkt ihr Tätigwerden gegenüber PietSmiet weniger wie der Auftakt zu einer groß angelegten Offensive, und mehr wie ein Appell in Richtung Politik. Dazu passt auch, dass sie selbst in der vergangenen Woche eine Pressemitteilung veröffentlichte, in welcher der Vorsitzende der zuständigen Kommission mit den Worten zitiert wird: „Das Netz ist voll von rundfunkähnlichen Angeboten. Daher sollte es hier zeitnah zu einer Anpassung der Gesetze kommen. Wir brauchen offline wie online gleiche Voraussetzungen für Rundfunkangebote.“ Solange dies nicht der Fall sei, werde man die bestehenden Rechtsgrundlagen anwenden, heißt es dort weiter. Viel deutlicher kann man sich vom eigenen Handeln nicht distanzieren.
2/2: Regulierung von Streaminganbietern kontraproduktiv
Auch Ansgar Koreng, Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht in Berlin, will der Landesmedienanstalt keinen Vorwurf machen: "Das Vorgehen der Behörde ist nur so abwegig wie das Gesetz, auf dem es fußt. Das Problem ist der Rundfunkbegriff des RStV, der seinerseits auf die unzeitgemäße Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zurückgeht." Nach dieser sind Rundfunkangebote in besonderer Weise regulierungsbedürftig – einerseits wegen ihrer gesellschaftlichen Breitenwirkung und Suggestivkraft, andererseits zur Vermeidung von Machtkonzentrationen und zur Sicherung der Meinungsvielfalt.
Das erschließt sich vor allem im Bereich des klassischen Rundfunks, wo der Angebotsvielfalt durch hohe Eintrittshürden und begrenzte Sendefrequenzen Grenzen gesetzt sind. "Das Internet hingegen ist von seiner Struktur her doch ein geradezu idealer Meinungsmarkt, an dem sich jeder mit geringem Aufwand beteiligen kann", sagt Koreng.
Die Meinungspluralität, die durch die Rundfunkregulierung eigentlich gesichert werden solle, würde durch den damit einhergehenden Bürokratieaufwand eher gefährdet als gefördert. Umgekehrt sei eine gesellschaftliche Breitenwirkung einzelner Streaming-Angebote wohl eher der Ausnahmefall: "In der Kommentarliteratur zum Rundfunkbegriff finden Sie Umschreibungen wie die von der 'Lagerfeuerfunktion' – also die Vorstellung, dass sich die Gesellschaft abends um den Fernseher schart wie eine Bande Pfadfinder um das Lagerfeuer. Das mag auf einzelne, extrem populäre Formate wie den Tatort vielleicht zutreffen, ist aber schon bei einer Vielzahl kleinerer TV-Sendungen zweifelhaft, und wird gänzlich absurd, wenn man den Gedanken ins Internet verfrachtet und an den ausgesprochen niedrigen Schwellenwert von 500 gleichzeitigen Zuschauern koppelt."
System der Rundfunkregulierung grundlegend überholt?
Wie viele andere Medienrechtler plädiert Koreng für eine grundlegende Neukonzeption der einschlägigen Gesetzgebung. Die Unterscheidung zwischen Rundfunk und anderen medialen Darreichungsformen sei in Zeiten fortschreitender Medienkonvergenz weder sinnvoll noch praktikabel; Regulierungsbestrebungen will er nicht an das Format, sondern an die tatsächliche Reichweite knüpfen.
Eine solche Zeitenwende ist zwar nicht in Sicht. Die Debatte um PietSmiet (ebenso wie vormals mit ähnlicher Problemstellung bereits um die Handball-WM 2017 sowie um einen Videochat mit der Bundeskanzlerin) trägt aber dazu bei, das Problem aus der Fachwelt in die öffentliche Wahrnehmung zu tragen. Auch in der Politik scheint die Diskussion langsam anzukommen: CDU-Generalsekretär Peter Tauber zumindest schrieb nach dem Treffen mit Smits auf seinem Blog: "Ich halte es für notwendig, die rechtlichen Rahmenbedingungen so anzupassen, dass sie den Anforderungen und Realitäten unserer Zeit Rechnung tragen. Mit den Regulierungen der analogen Radio- und Fernsehepoche werden wir die Chancen und Herausforderungen des digitalen Zeitalters nicht nutzen bzw. stemmen können."
Constantin Baron van Lijnden, Rundfunklizenz für YouTube-Kanäle?: "Nur so abwegig wie das Gesetz, auf dem es fußt" . In: Legal Tribune Online, 31.03.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22539/ (abgerufen am: 28.03.2024 )
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