Bundestag tappt bei TTIP weiter im Dunkeln: In der juris­ti­schen Sack­gasse

von Dr. Sebastian Roßner

22.02.2016

2/2: Auskunft über "gemischte Inhalte" nach Art. 23 Abs. 3 GG

Parallel dazu müsste auch die EU den Vertrag abschließen, wofür nach Art. 218 Abs. 5 AEUV ein Beschluss des Rates erforderlich ist. Es spricht manches dafür, dass es sich dabei um einen "Recht-setzungsakt" der Union im Sinne von Art. 23 Abs. 3 GG handelt, denn der Abschluss eines völker-rechtlichen Vertrages durch die EU ist ein Rechtsakt der Union, für den der Vorrang des EU-Rechts vor dem Recht der Mitgliedstaaten gilt. Folgt man dieser Ansicht, hat die Bundesregierung eine Stellungnahme des Bundestages einzuholen, die sie bei ihrer Mitwirkung im Rat berücksichtigen muss.

Während also die die Mitwirkungsbefugnisse des Bundestages auf zweierlei Weise, nämlich nach Art. 59 Abs. 2 und Art. 23 Abs. 3 GG ausgeübt werden, richten sich seine Informationsrechte im Zeitraum während der Vertragsverhandlungen zu TTIP sowohl in dem Bereich, für den die EU sowie in demjenigen, für den Deutschland zuständig ist, wohl gleichermaßen nach Art. 23 Abs. 2 GG. Rechtlich könnte man dies daraus herleiten, dass völkerrechtliche Vertragsverhandlungen, die Or-gane der EU für die Union und die Mitgliedstaaten führen, jedenfalls dann Angelegenheit der EU im Sinne von Art. 23 Abs. 2 GG seien, wenn auch der Vertragsbereich, der für die Mitgliedstaaten verhandelt wird, in engem sachlichen Zusammenhang zu dem Bereich steht, in dem die Organe der EU für die Union selbst verhandeln.

Aber auch dann, wenn man für die Verhandlungen im Bereich der deutschen Souveränitätsrechte Art. 23 Abs. 2 GG nicht für einschlägig halten sollte, ergibt sich praktisch nichts anderes, denn es dürfte es kaum möglich sein, die Informationen zu den Verhandlungen über die eng miteinander verwobenen Vertragsgegenstände im Zuständigkeitsbereich der EU und in dem der Mitgliedstaaten voneinander zu trennen, so dass schon deshalb eine einheitliche Unterrichtung des Bundestages nach den Standards von Art. 23 Abs. 2 GG erfolgen muss.

Schwerwiegender Fehler bei TTIP-Mandatsausgestaltung

Allerdings kann der Bundestag von der Bundesregierung nur Informationen verlangen, die jener auch zur Verfügung stehen. Dies war bei den Unterlagen über die TTIP-Verhandlungen ursprünglich nicht der Fall. Mittlerweile werden sie der Bundesregierung von der EU-Kommission und den Vereinigten Staaten überlassen, und zwar anscheinend unter der Bedingung der geschilderten, restriktiven Regelung des Zugangs für die Abgeordneten des Bundestages. Diese Regelung wird zwar Art. 23 Abs. 2 GG nicht gerecht, der gerade darauf abzielt, die Volksvertretung so wirksam zu informieren, dass parlamentarische Mitwirkungsmöglichkeiten eröffnet werden. Der Bundestag wird von der Regierung aber nicht verlangen können, die Abmachungen mit EU und USA zu brechen, um eine solche effektive Information zu bieten, und zwar schon deshalb nicht, weil dann ein völliges Versiegen des Informationsstroms zu befürchten wäre.

Hingegen kann das Parlament aus dem Grundsatz der Organtreue, der die Organe des Bundes verpflichtet, zusammenzuarbeiten und aufeinander Rücksicht zu nehmen, von der Bundesregierung verlangen, auf die EU Einfluss zu nehmen, damit die Unterrichtung des Bundestages wirksamer vorgenommen werden kann. Allerdings hat die Bundesregierung vermutlich genau dies bereits getan und dabei nicht mehr erreicht, als die oben beschriebene unzureichende Regelung der Einsichtnahme in die TTIP-Unterlagen.

Der entscheidende Fehler wurde daher bereits im Juni 2013 begangen, als der Rat es unterlassen hat, in das TTIP-Verhandlungsmandat für die Europäische Kommission auch den Auftrag aufzunehmen, dafür zu sorgen, dass die nationalen Parlamente (wie übrigens auch das Europaparlament) in angemessener Weise unterrichtet würden. Dieses schwerwiegende Versäumnis lässt sich mit juristischen Mitteln nicht mehr ausgleichen, sondern nur noch im Wege politischer Gespräche mit der EU und den USA. Die politischen Pfunde, mit denen der Bundestag und die Parlamente der übrigen Mitgliedstaaten dabei wuchern könnten, sind ihre Veto-Position bei der Ratifizierung von TTIP und das Misstrauen in der Bevölkerung gegenüber einem Vertragswerk von weitreichender Wirkung, das im Dunkeln verhandelt wird.

Der Autor Dr. Sebastian Roßner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Rechtstheorie und Rechtssoziologie an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

Zitiervorschlag

Sebastian Roßner, Bundestag tappt bei TTIP weiter im Dunkeln: In der juristischen Sackgasse . In: Legal Tribune Online, 22.02.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18550/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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