Karrierenetzwerk sucht 50 LGBT+ Juristen: "Jura ist doch noch ziem­lich kon­ser­vativ"

Interview von Annelie Kaufmann

08.02.2020

Top-Juristen, die offen schwul, lesbisch, bi oder transident sind - das Karrierenetzwerk Alice sucht 50 LGBT+-Juristen. Schwieriger als gedacht, sagt Stuart B. Cameron, der die Kampagne initiiert hat.

LTO: Herr Cameron, in den Jahren 2018 und 2019 haben Sie die "Germany's Top 100 Out Executives" vorgestellt: Erfolgreiche Führungskräfte, die als LGBT+ geoutet sind und beruflich Erfolg haben. Jetzt wollen Sie eine extra Liste mit Top-Juristen rausbringen, die offen schwul, lesbisch, bisexuell, transident oder intersexuell sind. Wie viele machen mit?

Stuart B. Cameron: Bisher haben wir 23 Zusagen. Wir hoffen aber, dass wir auf mindestens 50 kommen und haben deshalb den Veröffentlichungstermin auf März verschoben. Es ist ein bisschen schwieriger als gedacht. Dabei gibt es natürlich genug Leute, allein in unserem Netzwerk Alice sind mehr als 300 Mitglieder engagiert, die alle mehr oder weniger mit der Rechtsbranche zu tun haben. Wir bekommen leider auch einige Absagen. Jura ist doch noch ein ziemlich konservativer Markt.

(c) Ostau Photography

Und deshalb trauen sich dann doch nur wenige sich als LGBT+ zu outen?

Ja, und ich habe dafür auch Verständnis. Gerade Anwälte haben oft ein enges persönliches Verhältnis zu ihren Mandanten und machen sich Sorgen, wie die das auffassen könnten. Es gibt nun mal Homophobie und es kann auch sein, dass man Kunden verliert, wenn man offen lebt. Aber es kann eben auch sein, dass man Kunden gewinnt, die viel lieber mit Juristen zusammenarbeiten möchte, die sich engagieren und offen sind. Außerdem sagen nach wie vor viele: Ich will nicht als schwuler Anwalt bekannt sein, sondern lieber als einer der besten. Dabei schließt sich das ja nicht aus.

Warum denn überhaupt eine Liste?

In erster Linie wollen wir diese Liste erstellen, um gerade der jüngeren Generation zu zeigen, dass man z.B. eine erfolgreiche Juristin sein kann und sich dabei nicht verstecken muss. Junge Menschen sollen sehen können bei welchen Unternehmen, Organisationen, Kanzleien diese Personen arbeiten, damit sie wissen, wo wirkliche Diversity gelebt wird und es kein PR Thema ist. 

Übrigens sind in den USA und in Großbritannien solche Rankings schon viel bekannter, auch für LGBT+. Da ist das einfach eine Auszeichnung, die Leute reißen sich darum, mitzumachen. Und man merkt dann auch, dass man angesprochen wird, dass das sehr nützlich für die eigene Karriere sein kann, weil man bekannter und sichtbarer wird. Soweit wollen wir in Deutschland auch kommen.

Und man fühlt sich viel freier, wenn man geoutet ist und sich nicht mehr verstecken muss. Einfach, weil man so sein kann, wie man will, zum Beispiel auch mal ganz normal vom Wochenende erzählen und was man zusammen mit dem Partner unternommen hat.

"Wir suchen Vorbilder"

Wer kann alles mitmachen?

Wir suchen Personen, die eine Vorbildfunktion haben: Egal ob Partnerin in einer Kanzlei, Führungskraft in einem DAX-Unternehmen oder in einer NGO, Top-Jurist im Ministerium oder Richterin. Wir machen bei dieser Initiative kein Ranking wie bei den "100 Top Out Executives", sondern eine gleichberechtigte Liste.

Wer dabei sein will, kann sich selbst nominieren. Man kann aber auch jemanden vorschlagen, den man gerne auf der Liste sehen würde.

Was tun Sie, um niemanden gegen seinen Willen zu outen?

Wir sind in solchen Fällen wirklich sehr vorsichtig. Erstmal kontaktieren wir die Person, die jemanden nominiert und fragen, ob die nominierte Person davon weiß. Um anzufragen, ob jemand mit auf die Liste will, nutzen wir nur persönliche Kontakte. Denn selbst wenn jemand am Arbeitsplatz geoutet ist, will er vielleicht nicht, dass die Assistenz eine Anfrage von uns liest – deshalb nutzen wir keine Geschäftsadressen. Bisher melden sich aber die meisten selbst über unser Anmeldeformular an und nominieren sich selbst.

"Den Young Professionals ist das wichtig"

Sie arbeiten auch mit Kanzleien zusammen. Was können Arbeitgeber für ein LGBT+-freundliches Umfeld tun?

Sie können sich vor allem erstmal informieren und wirklich genau hingucken, wie weit sie eigentlich beim Thema LGBT+ Diversity sind. Es reicht nicht, einfach mal mit auf den jährlichen Christopher Street Day zu gehen. Wir bieten zum Beispiel Audits an, also strukturierte Qualitätsmanagementprozesse, für kleinere, mittlere und große juristische Organisationen. Da stellen viele Arbeitgeber dann doch fest, dass es noch einiges zu ändern gibt – von der Einladungskarte zur Weihnachtsfeier, auf der ein schwuler Mitarbeiter nicht aufgefordert werden sollte, seine "Partnerin" mitzubringen bis hin zu der Frage wie divers eigentlich die Führungsetage aufgestellt ist.

Wir merken übrigens auf unseren Karriere-Messen, dass gerade die jungen Top-Leute sehr genau drauf achten. Bei den großen Kanzleien gibt es ähnliche Aufgabenfelder und überall hohe Gehälter, aber mit einem guten Diversity-Ansatz kann man sich hier besonders auszeichnen. Der Markt ist nun mal umkämpft und gerade die jungen Leute achten nachweislich darauf, dass sie in ein LGBT+-freundliches Umfeld kommen. Laut einer BCG Studie aus 2019 ist Young Professionals ein LGBT+ freundlicher Arbeitgeber wichtiger als das Gehalt.

Und auf der nächsten Liste stehen dann schon 100 Top-Juristen?

Hoffentlich. In den letzten Jahren hat sich ja schon einiges getan. Als wir 2015 unseren ersten LGBT+ Juristensummit veranstaltet haben, war das wirklich eine traurige Veranstaltung. Da kamen gerade mal vier Leute. Im nächsten Jahr waren wir mehr als 100 und viele haben gesagt, sie haben noch nie so viele LGBT+ aus der Jurawelt in einem Raum gesehen. Dieses Jahr wird an der Humboldt-Universität zu Berlin der ALICE Juristensummit zum dritten Mal stattfinden und wir freuen uns schon drauf. Und ich kann mir gut vorstellen, dass wir in Zukunft auch ein LGBT+-Juristen-Ranking machen, wie bei den 100 Top Out Executives.

Stuart B. Cameron ist CEO und Gründer der UHLALA Group, die sich seit 11 Jahren für die Vernetzung, Weiterbildung und Förderung von LGBT+ Menschen in der Arbeitswelt einsetzt.

Zitiervorschlag

Karrierenetzwerk sucht 50 LGBT+ Juristen: "Jura ist doch noch ziemlich konservativ" . In: Legal Tribune Online, 08.02.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/40195/ (abgerufen am: 24.04.2024 )

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