Streit über E-Zigaretten: Blauer Dunst aus der Apo­theke

Prof. Dr. Wolfgang Voit

16.01.2012

E-Zigaretten werden gern als Ersatz für die geächteten Originale verwendet. Damit könnte bald Schluss sein, denn nach Ansicht von Behörden und Ministerien handelt es sich bei den elektronischen Glimmstengeln um nicht zugelassene und damit verbotene Arzneimittel. Warum es sich die Politik mit dieser Einschätzung zu leicht macht, erklärt Wolfgang Voit.

Das Gesundheitsministerium in NRW hat jüngst verkündet, dass es sich bei den E- Zigaretten um Arzneimittel handelt. Damit seien sie zulassungspflichtig und ihr Verkauf schon deshalb verboten, weil sie nicht als Arzneimittel zugelassen sind. Selbst wenn eine Zulassung erteilt werden sollte, werden solche Zigaretten apothekenpflichtig und können nicht mehr frei verkauft werden. Dem blauen Dunst aus dem elektrischen Vernebler droht somit das Aus.

Ministerin Barbara Steffens begründet das Verbot mit Gefahren durch möglicherweise krebserzeugende Stoffe. Auch Kleinkinder könnten zu Schaden kommen, wenn sie sich unbemerkt an der Flüssigkeit bedienen, die zum Gebrauch der E-Zigarette erforderlich ist. Außerdem wird auf Nikotinpflaster verwiesen, die ebenfalls apothekenpflichtige Arzneimittel sind.

E-Zigaretten sind keine Funktionsarzneimittel

Aber nicht alles was gefährlich ist, ist auch ein Arzneimittel. Dafür muss der betreffende Stoff nach der Definition des Arzneimittelgesetzes (AMG) zur Linderung oder Heilung von Krankheiten vertrieben werden. Bei Nikotinpflastern ist das der Fall, weil sie Beschwerden bei Entzugserscheinungen lindern sollen. E-Zigaretten hingegen können zwar auch zur Entwöhnung eingesetzt werden, ganz überwiegend dienen sie aber als Ersatz für Zigaretten und werden zu Genusszwecken benutzt.

Unter das AMG fallen darüber hinaus aber auch die so genannten Funktionsarzneimittel. Dabei handelt es sich um Stoffe, die auf pharmakologischem Wege physiologische Funktionen wiederherstellen, korrigieren oder beeinflussen. Das Inhalieren des Nikotins in den E-Zigaretten beeinflusst den menschlichen Körper selbstverständlich in solcher Weise– etwa in dem es Blutdruck und Herzschlag erhöht.

Die Frage ist aber, ob man nicht auch bei einem Funktionsarzneimittel verlangen muss, dass diese Wirkung kurativ, also auf Heilung gerichtet ist. Schon dass die Wiederherstellung und Korrektur im Gesetz an erster Stelle genannt sind, spricht dafür, dass auch die Beeinflussung des Körpers eine solche heilende Zielrichtung haben muss. Verzichtet man auf dieses Kriterium, wird der Arzneimittelbegriff grenzenlos.

Verbot durch die Hintertür

Denn was ist nicht alles geeignet, bei Anwendung im Körper eine physiologische Funktion zu beeinflussen? Vom Brennspiritus bis zum Sekundenkleber, vom Benzin bis zum Rattengift, alles wäre Arzneimittel und wäre mangels Zulassung verboten? Dabei zeigen schon die Zulassungsvoraussetzungen, dass Arzneimittel eine für den Körper nützliche Wirkung haben müssen. Warum sollten Stoffe, die zu ganz anderen Zwecken hergestellt und verwendet werden, Arzneimittel sein, nur weil sie irgendeinen Effekt auf den menschlichen Körper haben können? Völlig zu Recht ist deshalb zum Beispiel das Verwaltungsgericht (VG) Frankfurt/Oder sehr viel zurückhaltender bei der Zulassungspflicht der E-Zigaretten und fordert, dass ein Funktionsarzneimittel auch dazu bestimmt sein muss, "diagnostischen oder therapeutischen Zwecken zu dienen" (Beschl. v. 14.10.2011, Az. 4 L 191/11).

Vermutlich lassen die mögliche Gesundheitsgefahr und die vielleicht auch berechtigte Sorge um die Verbraucher das Ministerium in NRW weit über das Ziel hinausschießen. Dabei wären die Verbraucher auch ohne einen überdehnten Arzneimittelbegriff keineswegs schutzlos. Selbstverständlich können krebserzeugende Chemikalien aus Gründen des Gesundheitsschutzes verboten werden. Grundlage dafür ist das Chemikaliengesetz und die REACH-Verordnung. Dort ist im Einzelnen geregelt, unter welchen Voraussetzungen Stoffe als Gefahrstoffe eingeordnet werden, wann sie als krebserzeugend zu kennzeichnen sind und in welchen Fällen ein Produkt eine Zulassung benötigt.

Sind solche Stoffe ohne Kennzeichnung enthalten und ein Produkt nicht zugelassen, steht einem Verbot nichts entgegen. Es ist dann auch richtig und erforderlich, ein solches Mittel aus dem Verkehr zu ziehen. Aber diese Voraussetzungen darf man nicht dadurch umgehen, dass man Produkte kurzerhand als Arzneimittel einstuft, obwohl der Verbraucher weiß, dass dieses Produkt nicht gesund ist und auch nicht therapeutisch eingesetzt werden soll.

Der Vertrieb der E-Zigarette, die zu Genusszwecken und nicht zur Nikotinentwöhnung geraucht werden, kann deshalb nach dem Arzneimittelrecht nicht verboten werden. Sofern es ihre Gesundheit zulässt, können also die Raucher von E-Zigaretten vorerst aufatmen.

Prof. Dr. Wolfgang Voit ist Sprecher der Forschungsstelle für Pharmarecht an der Philipps-Universität Marburg.

 

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Zitiervorschlag

Prof. Dr. Wolfgang Voit, Streit über E-Zigaretten: Blauer Dunst aus der Apotheke . In: Legal Tribune Online, 16.01.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5311/ (abgerufen am: 19.03.2024 )

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