Rund 70 Richter aus allen OLG-Bezirken treffen sich am Dienstag zum ersten Strafkammertag. Sie diskutieren eine Reform der StPO und hoffen, den Rohentwurf noch beeinflussen zu können, sagt Peter Götz von Olenhusen, OLG-Präsident in Celle.
Zum ersten Mal gibt es am Dienstag in Hannover einen Strafkammertag. Zu diesem werden rund 70 Richter anreisen – jeweils zwei bis drei vornehmlich Richter am Landgericht (LG) aus allen 24 Oberlandesgerichtsbezirken. Die Veranstaltung geht zurück auf eine Initiative aus der regelmäßig stattfindenden Jahrestagung der Oberlandesgerichtspräsidenten. Sie haben es sich zur Aufgabe gemacht, ihren Richterkollegen bei den aktuellen Plänen zur Reform der Strafprozessordnung (StPO) mehr Gehör zu verschaffen. Das Bundesjustizministerium (BMJV)hatte im Juli 2014 eine Expertenkommission eingesetzt, um eine Reform der StPO und des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) vorzubereiten. Im Oktober 2015 wurden die Ergebnisse vorgestellt. Ein erster Rohentwurf aus dem BMJV ist vor wenigen Tagen an an die Landesjustizverwaltungen versendet worden.
Ein Mitglied der Arbeitsgruppe der Präsidenten der Oberlandesgerichte (OLG) und Gastgeber der ersten Strafkammertagung ist Dr. Peter Götz von Olenhusen.
"Richter in der BMJV-Kommission nicht ausreichend repräsentiert"
LTO: Herr Dr. Götz von Olenhusen, die Expertenkommission hat bereits ihre Ergebnisse zur StPO-Reform vorgestellt. Warum nun noch eine Tagung zu dem Thema?
Götz von Olenhusen: Für uns sind die Strafkammern der Landgerichte die Leistungszentren der Justiz. Die Richter arbeiten ständig schwere Kriminalität ab, sind sehr belastet und hohen Anforderungen ausgesetzt. Das gilt insbesondere für die Vorsitzenden der Strafkammern. Gerade diese Praktiker waren aber in der Expertenkommission des Bundesjustizministeriums kaum repräsentiert. Bei der Strafkammertagung bekommen sie ein Podium, um die Brennpunkte in der täglichen Arbeit klar zu benennen.
LTO: War die Expertenkommission des Ministeriums aus Ihrer Sicht denn dann passend besetzt?
Götz von Olenhusen: Die Kommission hatte 31 Mitglieder aus allen relevanten Berufsgruppen: Strafrechtsprofessoren, Strafverteidiger, Staatsanwälte und auch Richter. Die Gruppe war also breit aufgestellt, um alle Berufsgruppen zu repräsentieren und musste in ihrer Größe handlungsfähig bleiben. Aus der Richterschaft waren je ein Amts- und Landrichter, ein OLG-Richter und zwei Richter des Bundesgerichtshofes vertreten. Wir hätten uns eine größere Zahl an Richtern gewünscht. Ihnen geben wir nun mit dem Strafkammertag Raum.
LTO: Wie beurteilen Sie die Ergebnisse der Expertenkommission?
Götz von Olenhusen: Die Kommission hat sich mit den Themen Transparenz, Kommunikation und Partizipation befasst und hatte insofern einen sehr breiten Ansatz. Sie hat Vorschläge zur Beschränkung der Rechte der Nebenkläger gemacht, indem für Geschädigte Gruppen gebildet werden sollen, die einen Anwalt haben. Gleichzeitig soll die Position des Verteidigers gestärkt werden, um schon im Ermittlungsverfahren ein Anwesenheits- und Fragerecht zu erhalten. Zudem gab es Vorschläge für die Abschaffung des Richtervorbehaltes bei Blutentnahmen und zum Einsatz von V-Leuten. Auch die Befangenheitsanträge wurden behandelt. Den Vorsitzenden soll ermöglicht werden, die Verteidiger auf eine schriftliche Begründung der Richterablehnung zu verweisen, statt eine ausführliche mündliche Begründung entgegennehmen zu müssen. Beweisanträge sollen nach Ablauf einer Frist nach der Beweisaufnahme auch im Urteil abgelehnt werden können. Für die Kürze der Zeit sind also gute Ideen entstanden…
LTO: Dennoch haben die OLG-Präsidenten die präsentierten Ergebnisse recht offensiv kommentiert. Was kritisieren Sie?
Götz von Olenhusen: Die Vorschläge reichen aus unserer Sicht nicht aus. Vor allem betreffen die Empfehlungen im Wesentlichen Veränderungen im Ermittlungsverfahren. Unser Fokus liegt dagegen auf den Reformerfordernissen für das Hauptverfahren. Die kommen nach dem Verständnis der Richterschaft viel zu kurz. Die Vorschläge der Kommission sehen zwar auch eine Frist für Beweisanträge und etwa eine Videoaufzeichnung vor, das ist aber wirklich nicht genug.
2/2: "Besetzungsrüge sollte kein absoluter Revisionsgrund mehr sein"
LTO: Was sind die Brennpunkte in der täglichen Arbeit der Richter am LG?
Götz von Olenhusen: Wir sehen Handlungsbedarf in den Wirtschaftsstrafverfahren, beim Prinzip des gesetzlichen Richters, der Verfahrensleitung in der Hauptverhandlung sowie bei Befangenheit, Beweisanträgen und Besetzungsrügen. Dies sind auch die Themen der Arbeitsgruppen beim Strafkammertag.
Ein sehr wichtiges Thema sind für die Richter die Besetzungsrügen. Derzeit ist die vorschriftswidrige Besetzung ein absoluter Revisionsgrund nach § 338 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 StPO. Eine Besetzungsrüge kann im Nachhinein dazu führen, dass eine komplette Hauptverhandlung neu aufgerollt werden muss.
Eine erste Idee der Richterschaft wäre etwa, dass die fehlerhafte Besetzung als absoluter Revisionsgrund entfällt und die OLG vorab abschließend über die Besetzung entscheiden. Das wäre allerdings etwas ganz Neues, weil damit ein Verfahrensverstoß nicht mehr mit der Revision angreifbar wäre. Die Umsetzung dieser Idee würde insofern das bisher geltende System essentiell verändern. Mit derartig starken Veränderungen tut sich der Gesetzgeber schwer, auch wenn es eine erhebliche Erleichterung in der Praxis darstellen würde.
"Das Prinzip des gesetzlichen Richters steht nicht zur Disposition"
LTO: Die Richterschaft ist also bereit, das Prinzip des gesetzlichen Richters den Vorzügen von mehr Effizienz zu opfern?
Götz von Olenhusen: Natürlich nicht. Uns ist klar, dass wir mit unseren Anregungen heikle Gebiete ansprechen. Bei der Besetzungsrüge geht es uns aber nicht darum, die Rüge aufzuheben, sondern um eine Verlagerung.
Ähnlich liegt es bei den Befangenheitsanträgen. Derzeit legen Verteidiger durch Kettenablehnungen regelmäßig die Gerichte lahm. Wir müssen uns dafür rechtfertigen, dass die Verfahren so lange dauern – nun, dies sind Gründe dafür.
Aus unserer Sicht bedarf es auch einer Lockerung der Regelungen zum gesetzlichen Richter. Das jetzt geltende sehr strenge Jährlichkeitsprinzip, nach dem wir für ein Jahr die Geschäftsverteilung festlegen müssen, führt in der Gerichtsorganisation zu großen Problemen. Die Ausnahmen dazu sind von der Rechtsprechung sehr streng geregelt.
Schlussendlich gibt es eine Kollision zwischen dem gesetzlich festgelegten Beschleunigungsgebot und dem Prinzip des gesetzlichen Richters. Diese Kollision wollen wir gerne auflösen - und halten das auch für denkbar. Nicht zuletzt, weil die historischen Gründe für die Regelung – etwa die Sicherstellung der Unabhängigkeit der Richter – heute gewährleistet sind.
"Immer wieder den Finger in die Wunde"
LTO: Über einen Teil der von der Expertenkommission vorgeschlagenen Reformen scheint es bereits einen Konsens zu geben, etwa die Blutprobe, welche nach dem Willen des BMJV künftig ohne richterliche Anordnung möglich werden soll. Wenn die Diskussion schon so weit fortgeschritten ist, wie sinnvoll ist dann jetzt noch, weitere Ergebnisse aus dem Strafkammertag zu präsentieren?
Götz von Olenhusen: Diese Ideen sind ja nicht neu oder uns jetzt spontan eingefallen. Wir unterbreiten sie schon seit langem, die OLG und das Kammergericht haben bereits im Jahr 2010 konkrete Vorschläge gemacht.
Nun ist gerade ein Rohentwurf für die StPO-Reform an die Landesjustizverwaltungen versendet worden. Allgemein sehen wir als Gerichtspräsidenten unsere Vorschläge als langfristige Vorhaben an, wir müssen auf die Probleme immer wieder hinweisen. Veränderungen in unserem Sinne zu bewirken, ist eine langwierige Arbeit. Eine Reform wird sicherlich bald kommen, abschließend werden auch diese Änderungen aber sicherlich nicht sein. Daher legen wir einfach immer wieder den Finger in die Wunde.
Dr. Götz von Olenhusen ist seit dem 21. April 2006 Präsident des OLG Celle.
Das Interview führte Tanja Podolski.
Tanja Podolski, Strafkammertag: Richter diskutieren Vorschläge zur StPO-Reform: "Das geltende System essentiell verändern“ . In: Legal Tribune Online, 16.02.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18470/ (abgerufen am: 28.03.2024 )
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