Dauerobservation: Entlassene Straftäter in "mobiler Sicherungsverwahrung"

von Claudia Kornmeier

31.01.2013

3/3: Ullenbruch: "Faktisch werden neue Mauern errichtet"

Peter Asprion hofft, dass es so weit nicht kommen wird. Gleichzeitig traut er dem Gesetzgeber jede Gemeinheit zu. "Wenn es dann doch eine Ermächtigung geben sollte, müsste diese aber zumindest unter einem energischen Richtervorbehalt stehen", meint er. "Es sollte auch nicht wie beim Therapieunterbringungsgesetz eine Zivilkammer entscheiden, sondern ein Richter, der mit solchen Sachen auch tatsächlich etwas zu tun hat."

Befristet werden müsse die Anordnung einer Dauerobservation selbstverständlich sowieso. Aber so richtig nachdenken, über etwas, das er zutiefst ablehnt, möchte Asprion eigentlich nicht.

"Es wird sicher nicht einfach werden, eine polizeirechtliche Ermächtigung zu formulieren, die mit dem Grundgesetz und der EMRK vereinbar ist und die Rechtsprechung von BVerfG sowie EGMR nicht umgeht", sagt Thomas Ullenbruch. "Faktisch werden mit der Dauerobservation ja neue Mauern errichtet. Den Überwachten bleibt ähnlich wenig Freiraum wie in der Sicherungsverwahrung."

Die Polizei ist dennoch davon überzeugt, dass Dauerobservationen auch in Zukunft durchgeführt werden müssen. Das hätten die bisher gewonnen Erfahrungen gezeigt. "Dabei wurde deutlich, dass Dauer und Tiefe der Überwachung von der Mitarbeit des Probanden abhängig war und ist", sagt Polizeichef Oschwald. Auch Opferschützer Böhm hält es für notwendig, hochproblematische entlassene Straftäter zu überwachen. Allein Observationen könnten aber keine wirkliche Sicherheit schaffen. Therapeutische Behandlungen seien notwendig und könnten eine längerfristige Überwachung auch überflüssig machen, so dass sich die Polizei auf die wirklich wichtigen Fälle konzentrieren könne.

Therapie – für Ludwig Roser ist das ein Reizwort. Nie wieder wolle er sich freiwillig begutachten lassen. "Ich gehe zu meinem Psychologen, weil das eine Auflage ist. Aber ich sehe nicht ein, warum ich genötigt werde, mit einem wildfremden Menschen zum x-ten Mal über mich zu reden."

Und was werde denn nach 26 Jahren Gefängnis überhaupt begutachtet, seine ursprüngliche Gefährlichkeit oder der Schaden, den die Haft und die anschließende Observation verursacht hätten?

Fahrradfahren, einkaufen, zurück in die Notunterkunft

Ludwig Roser wird demnächst 54. Einen Job hat er nicht. Gerne fährt er Fahrrad, seit er sich auch außerhalb der Stadtgrenze aufhalten darf, nur noch verpflichtet ist, den Landkreis nicht zu verlassen, drei bis vier Stunden hin und wieder zurück. Das Fahrrad hat er von der Entschädigung gekauft, die ihm der EGMR zugesprochen hat. 70.000 Euro waren das. "Nicht einmal 500 Euro pro Monat."

Wenn er einkaufen geht, kommt er mit mehr Essen nach Hause, als er braucht. "Rund und dick werde ich dabei." Abends geht er überhaupt nicht mehr weg. Einmal ist er in eine Kneipe gegangen. Aber da saßen seine Bewacher in Sichtweite. "Es ist einfach beschämend."

Kontakt zu seinen Geschwistern hat er nicht. Seine Mutter wünscht sich, dass er sie besucht. Ohne Polizei. Die Beamten aber bestehen darauf, mitzukommen.

Wie sich mit der Dauerüberwachung ein Weg in ein gesellschaftlich integriertes Leben finden lassen soll, ist Peter Asprion schleierhaft. "Wie beklemmend sich die polizeiliche Dauerbegleitung anfühlt, kann ich ja am eigenen Leib spüren, wenn ich mit Roser unterwegs bin." Anders als die Verwaltungsgerichte bezweifelt Asprion, dass die Dauerobservation mit dem Geist der EMRK vereinbar ist und dass der Gerichtshof in Straßburg die Entlassung mit diesen Begleitumständen als menschenwürdig ansehen würde.

Das BVerfG hat Rosers Verfahren schließlich zurückverwiesen an das VG Freiburg, weil die Polizei ihre Gefahrprognose auf veraltete Gutachten gestützt habe. Bevor es dort Mitte Februar zu einer mündlichen Verhandlung kommt, trifft sich am Donnerstag die Planungskonferenz der Polizei, um darüber zu entscheiden, ob die Observation von Ludwig Roser in ihrer jetzigen Form weitergeführt werden soll. Sprechen sich die Verantwortlichen dagegen aus, hätte sich das Verfahren vor dem VG erledigt. Ludwig Roser bliebe dann noch, vom Land Baden-Württemberg auch für die Dauerobservation eine Entschädigung zu fordern.

*Name von der Redaktion geändert.

Zitiervorschlag

Claudia Kornmeier, Dauerobservation: Entlassene Straftäter in "mobiler Sicherungsverwahrung" . In: Legal Tribune Online, 31.01.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8073/ (abgerufen am: 19.03.2024 )

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