Entwurf zur Reform des Sexualstrafrechts: Es bleibt alles anders

von Prof. Dr. Monika Frommel

17.03.2016

Mit Vernunft und gutem Willen hätte es einer Reform des Sexualstrafrechts nicht bedurft, meint Monika Frommel. Doch die von Gegnern wie Befürwortern erbittert geführte Debatte hat den Gesetzgeber zu einer interessanten Rochade gezwungen.

Das Sexualstrafrecht soll verschärft werden, so ist es in der Pressemitteilung zum am Mittwoch vorgestellten Regierungsentwurf zu lesen. Streng genommen beinhaltet das Papier aber nur Umstellungen und – was die Überrumpelungsfälle  betrifft – Klarstellungen gegenüber der heutigen Rechtslage. Die Folgen sind jedoch schwer absehbar. Die umstrittene Ausnutzungsvariante des Verbrechenstatbestandes der sexuellen Nötigung ("Ausnutzen" einer schutzlosen Lage) wird ersetzt durch den erweiterten Vergehenstatbestand des sexuellen Missbrauchs, § 179 des Entwurfs (StGB-E). Allerdings ist die Strafdrohung dieser Vorschrift sehr hoch (nämlich bei einem Beischlaf mindestens zwei Jahre).

Der neue § 179 erfasst nun situative (Überrumpelung) und persönliche Faktoren der Widerstandsunfähigkeit und wird "Missbrauch unter Ausnutzung besonderer Umstände" genannt. Statt von einer "schutzlosen Lage" (so die Ausnutzungsvariante bei der Vergewaltigung) ist nun (in der neuen Nr. 3) von einem "empfindlichen Übel" die Rede, welches ein mutmaßliches Opfer "befürchte". Diese Subjektivierung eines Tatbestandsmerkmals lässt aufhorchen – schließlich ist das "befürchten" eines "empfindlichen Übels" ein rein innerer Umstand. Die Korrektur erfolgt ebenfalls auf subjektiver Ebene, weil Missbrauch ein Vorsatzdelikt ist.

Konventionskonforme Anwendung des bestehenden Rechts hätte ausgereicht

Die Praxis wird doppelt einschränken müssen: zum einen wird sie objektiv die Kausalität zwischen den "besonderen Umständen", die zur "Befürchtung" geführt haben, prüfen. Zum anderen wird sie sehr genau prüfen, ob der Beschuldigte diese Umstände kannte, und ob er sich darüber bewusst war, diese auszunutzen. An diesen Filtern werden viele Fälle hängen bleiben, sodass am Ende nur noch wenige Konstellationen übrig bleiben dürften, die man – mit etwas gutem Willen – auch nach geltendem Recht hätte erfassen können. Aber diese Einsicht hat sich in der oft erbittert geführten Reformdebatte der letzten Jahre, die vom Beharren auf dem jeweiligen eigenen Standpunkt geprägt war, nicht durchsetzen können.

Es hätte die behaupteten Schutzlücken und die Kampagne zu ihrer Beseitigung nicht gegeben, wenn sich die Auslegung des Verbrechens der sexuellen Nötigung/Vergewaltigung konsequent an das Prinzip gehalten hätte, dass Gesetze am Ende auch verfassungs- und konventionskonform auszulegen sind. Die Istanbul-Konvention (gültig seit August 2014, demnächst ratifiziert und damit verbindliches Recht) fordert, dass nicht einvernehmliche Sexualkontakte – nach Möglichkeit strafrechtlich – zu verbieten sind.

Neues Recht noch anfälliger für Falschbeschuldigungen

Dies hätte bereits die bisherige Rechtslage gewährleistet, sofern man das Tatbestandsmerkmal der "schutzlosen Lage" nicht zu restriktiv auslegen wollte. Prominenter Befürworter hoher Anforderungen ist insoweit Thomas Fischer, der die "schutzlose Lage" nur dann bejahen will, wenn körperliche Nachteile befürchtet werden. Er argumentiert mit dem Begriff der Nötigung, wonach der sexuellen Handlung eine Nötigungshandlung vorgelagert sein müsse. Offenbar hat dies die Gesetzgebung motiviert, diese Grenzfälle nun beim Missbrauch anzusiedeln. Dort kommt es nicht auf Finalität (Einsatz eines Nötigungsmittels, um...) an, sondern nur auf Kausalität (Zusammenhang zwischen Lage und scheinbar freiwilliger Kooperation). Praktisch dürften sich jedoch auch beim Missbrauch ähnliche Schwierigkeiten der Auslegung ergeben.

Umgekehrt dürfte das neue Sexualstrafrecht in noch höherem Ausmaß als das alte anfällig sein für willkürliche Ermittlungsverfahren (es genügt für den Tatverdacht die Angabe des "Opfers", es habe sich "gefürchtet"). Von den Befürwortern der Reform regelmäßig übergangen wird der Umstand, dass nicht 'das Gesetz', sondern höchstens seine im Einzelfall zu restriktive Auslegung bislang unzulänglich war. Verschwiegen wird ferner, dass das geltende Recht aus ähnlichen Gründen, wie sie nun erneut vorgebracht werden, bereits vor 1997  – und danach noch mehrfach – reformiert worden ist.

Zitiervorschlag

Prof. Dr. Monika Frommel, Entwurf zur Reform des Sexualstrafrechts: Es bleibt alles anders . In: Legal Tribune Online, 17.03.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18812/ (abgerufen am: 29.03.2024 )

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