Schlichtung bei Stuttgart 21: Kein Prototyp für Bürgerbeteiligung

von Dr. Armin Hutner

22.10.2010

Befürworter und Gegner des umstrittenen Bahnprojekts haben sich unter Leitung von Heiner Geißler über den Ablauf des Vermittlungsprozesses geeinigt. Dabei handelt es sich bei dem Verfahren im Grunde weder um eine Schlichtung noch um eine Mediation im herkömmlichen Sinne. Warum das so ist und wo die Unterschiede liegen, erklärt Dr. Armin Hutner.

Die Mediation ist eine Verhandlungsmethode unter Beteiligung eines neutralen Dritten, deren Ergebnis und Ablauf die Konfliktparteien weitgehend privatautonom ausgestalten und festlegen können. In der Tatsache, dass die Mediation eine im Prinzip frei von den Konfliktparteien gestaltbare Form der Streitbeilegung ist, ist auch der Grund für die jedenfalls in Einzelfragen bis heute bestehende Meinungsvielfalt zu der Frage zu sehen, was Mediation denn eigentlich sei.

Der Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums zum geplanten Mediationsgesetz vom August dieses Jahres bezeichnet in seinem § 1 Abs. 1 Mediation als "ein vertrauliches Verfahren, bei dem Parteien mit Hilfe eines Mediators freiwillig und eigenverantwortlich eine einvernehmliche Beilegung ihres Konflikts anstreben." Der Mediator hat dabei "eine unabhängige und neutrale Person ohne Entscheidungsbefugnis" zu sein, "die die Parteien durch die Mediation führt". Bei der Mediation steht also die Förderung der Konfliktlösung durch den unparteiischen Dritten im Vordergrund. Der Mediator hilft den Konfliktparteien auf ihrem Weg zur Einigung, er beseitigt Einigungshindernisse, die zwischen den Parteien bestehen und er strukturiert das Verfahren.

Bei der Schlichtung kommt zur diesen Tätigkeiten noch hinzu, dass der Schlichter den Parteien einen konkreten Einigungsvorschlag unterbreitet. Dieser Schlichtungsvorschlag hat – ähnlich wie ein gerichtlicher Vergleichsvorschlag – zwar keine rechtliche Bindungswirkung für die Parteien. Die Befugnis zur Entscheidung ihres Konflikts haben allein die Streitparteien. Wohl hat ein Schlichtungsvorschlag jedoch eine erhebliche faktische Bindungswirkung. Denn die Ablehnung des Vorschlags einer neutralen Person bedarf naturgemäß eines größeren Argumentationsaufwandes als seine Annahme.

Knackpunkt ist die sachliche Neutralität des Vermittlers

Wendet man diese Definitionsansätze zu Schlichtung und Mediation auf den von Heiner Geißler geleiteten Vermittlungsprozess zu Stuttgart 21 an, so kommt man rasch zum Ergebnis, dass dieses Verfahren weder Schlichtung noch Mediation im so verstandenen Sinne ist.

Denn die von Geißler bereits im Vorfeld der Gespräche geäußerte Kritik an dem Entscheidungsprozess bei dem Milliarden-Bauvorhaben (Zitat: "Die Zeit der 'Basta-Entscheidungen' ist vorbei!") sprechen gegen seine sachliche Neutralität als Vermittler. Dass der Politiker dennoch von beiden Seiten als Vermittler akzeptiert wird, liegt wohl weniger an seiner Neutralität als an seiner "Allparteilichkeit" als Mitglied der CDU einerseits und von Attac andererseits.

Zudem wird das Verfahren im Internet und Fernsehen öffentlich übertragen. Von Vertraulichkeit kann also keine die Rede sein. Die Durchführung eines solchen Verfahrens vor einer breiten Öffentlichkeit ist ein Novum, das auf diese Weise weder bei den – jedenfalls im Grundsatz vergleichbaren – Mediationsverfahren zum Flughafenausbau in Frankfurt/Main oder dem geplanten Großflughafen Berlin Brandenburg zu finden war, an denen auch Bürgerinitiativen und öffentliche Stellen an einem Tisch saßen.

Vermittlungsgespräche als nachträgliche Bürgerbeteiligung bei Großprojekten

Auch wenn also die nun beginnenden Gespräche zu Stuttgart 21 weder eine Mediation noch eine Schlichtung im gemeinhin verstandenen Sinne darstellen, so sind es doch andere Umstände, die dieses Verfahren so einzigartig machen. Die wichtigste Besonderheit: In Stuttgart findet die Streitbeilegung zu einem Zeitpunkt statt, da bereits Entscheidungen über die Durchführung des Bahnhofsumbaus vorliegen, die in einem rechtsstaatlichen Verfahren getroffen wurden und nunmehr die Konfliktparteien binden.

Sowohl die Flughafenmediation in Frankfurt als auch in Berlin haben vor oder im Rahmen gesetzlich festgelegter Planfeststellungsverfahren stattgefunden. Die dort gefundenen Einigungsergebnisse hätten daher jedenfalls rechtlich noch in das Entscheidungsverfahren einbezogen werden können, auch wenn dies beispielsweise in Berlin letztlich nicht geschehen ist.

In Stuttgart ist die Entscheidung zur Durchführung des Bahnprojekts rechtlich unumkehrbar; die gesetzlich vorgesehen Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung sind bereits ausgeschöpft. Das aber will die breite Schicht der Gegner nicht akzeptieren. Für sie steht nicht nur die Effektivität der grundsätzlich verfügbaren Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung in Frage, sondern auch die Transparenz der Durchführung solcher Verfahren für die breite Öffentlichkeit.

Das jedenfalls von vielen Bürgern so empfundene Defizit an Bürgerbeteiligung im Vorfeld soll nun nachträglich im Rahmen der über die Medien öffentlich durchgeführten "Schlichtung" ausgeglichen werden. Dies ist allemal besser als die weitere Eskalation der Gewalt bei den Demonstrationen gegen das Projekt.

Die "Schlichtung" ist daher im konkreten Fall von Stuttgart 21 sicherlich eine sinnvolle weil friedensstiftende Maßnahme. Ob dieses Verfahren allerdings als Prototyp für weitere, ähnlich gelagerte Fälle dienen sollte, darf bereits deshalb bezweifelt werden, weil es offenkundig in einem Rahmen stattfindet, der bisher noch nicht durch Gesetze demokratisch legitimiert wurde.

Der Autor Dr. Armin Hutner ist Rechtsanwalt und Wirtschaftsmediator bei Taylor Wessing in München.

Zitiervorschlag

Armin Hutner, Schlichtung bei Stuttgart 21: Kein Prototyp für Bürgerbeteiligung . In: Legal Tribune Online, 22.10.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1774/ (abgerufen am: 20.04.2024 )

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