EU-Kommission zu Schattenbanken: Kein Ende der Regulierungswut in Sicht

Kai A. Schaffelhuber

30.03.2012

Die EU nimmt den unreglementierten Kapitalmarkt ins Visier und will künftig so genannte Schattenbanken überwachen. Ende März wurde dazu eine öffentliche Beratung gestartet, die in Gesetzentwürfe münden soll. Die Richtung ist klar: Alle Finanzakteure sollen stärker beaufsichtigt werden. Warum bessere statt einfach nur immer mehr Regulierung sinnvoll wäre, weiß Kai A. Schaffelhuber.

Die Politik beantwortet die seit 2007 andauernde systemische Krise des Finanzsystems, indem sie die offizielle Kreditwirtschaft immer weiter reguliert. Die hohe Regulierungsdichte führt dazu, dass Kosten steigen, bestimmte Produkte nicht mehr zu vernünftigen Konditionen angeboten werden können und das Risikokapital der Banken nicht mehr angemessen vergütet wird. Die natürliche Reaktion darauf ist ein Ausweichen in Bereiche, die weniger reglementiert sind.

Um das zu verhindern, setzt die Politik auf noch mehr Regulierung und kuriert damit weiterhin nur die Symptome: Statt besserer gibt es wieder nur mehr Vorschriften. Die eigentlichen systemischen Probleme, nämlich die massive Geldschöpfung im regulierten Sektor, der durch die Niedrigzinspolitik der Notenbanken hervorgerufene weltweite Überhang an Liquidität und die daraus resultierenden Verschuldungsorgien, stehen weiterhin nicht auf der Agenda – ganz im Gegenteil.

Mit ihrem Grünbuch "Schattenbanken" vom 19. März 2012 reiht sich die EU-Kommission nahtlos in die Reihe der Regulierungsbefürworter ein. Brüssel versucht, einen Referenzrahmen für eine etwaige Regulierung so genannter Schattenbanken bzw. Schattenbankaktivitäten zu definieren und stellt dazu eine Reihe von Fragen, zu denen Interessierte bis zum 27. April 2012 Stellung nehmen können. Da die Vergangenheit vielfach gezeigt hat, dass solche Stellungnahmen die Kommission kaum jemals von vorgefassten Meinungen abbringen, kündigt das Grünbuch wohl eine massive Regulierungsoffensive an.

Schattenbanken sind ins Zentrum politischer Aufmerksamkeit gerückt

Durch das Vorgehen gegen die sogenannten Schattenbanken will die Politik ihre Handlungsfähigkeit gegenüber dem (Finanz-) Markt unter Beweis stellen. Die offizielle Kreditwirtschaft ist insoweit nämlich kein wirklich lohnendes Objekt mehr, da ihre Regulierung die Grenzen des wirtschaftlich Vernünftigen längst überschritten hat und eine weitere Verschärfung erhebliche negative Auswirkungen auf die Realwirtschaft haben könnte. Dazu kommt als wahrer Kern, dass die zunehmende Integration von Banken und Kapitalmarkt es in der Tat schwieriger macht, Banken gegen Kapitalmarktrisiken abzuschirmen.

Geldmarktfonds, börsengehandelte Indexfonds, bestimmte Hedgefonds und Verbriefungsstrukturen betreiben Finanzgeschäfte, die wirtschaftlich in mancherlei Hinsicht mit dem Einlagen- und Kreditgeschäft der Banken vergleichbar sind. Diese als Schattenbanken bezeichneten Kapitalmarktakteure sind nunmehr in den Mittelpunkt der politischen Aufmerksamkeit gerückt und Gegenstand zahlreicher Aktivitäten internationaler Organisationen.

So wird der Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht im Juli 2012 einen Bericht über die Beziehungen zwischen Banken und Schattenbanken vorlegen und zusammen mit der Internationalen Vereinigung der Wertpapieraufsichtsbehörden (IOSCO) bis September 2012 weitere Vorschläge zum Umgang mit Verbriefungen machen. IOSCO wird bis Juli 2012 eine Studie über systemische Risiken im Zusammenhang mit Geldmarktfonds erstellen. Der Finanzstabilitätsrat untersucht bis September 2012 die Schattenbankenaktivitäten und fertigt bis Dezember 2012 einen Bericht über Wertpapierleihe und Repo-Geschäfte.

Den Anfang aber machte jetzt die Europäische Kommission mit dem Grünbuch "Schattenbanken". Sie stellt zunächst einen Vorschlag für eine extrem weite Definition des Schattenbankensystems in den Raum. Jegliche Kreditintermediation außerhalb des regulierten Sektors soll erfasst sein, zudem die Refinanzierungsquellen für eine solche Kreditintermediation, nämlich bestimmte Emissionstätigkeiten, Wertpapierleihe und Repo-Geschäfte. Demnach würde fast jeder Akteur unter die Definition fallen, der irgendwie an der Zusammenführung von Anlagebedarfs und Kreditnachfrage mitwirkt.

Regulierungs-Tsunami trifft alle Akteure

Die Kommission versucht, die Vorteile und Risiken von Schattenbanken darzustellen, und die Herausforderungen herauszuarbeiten, die sie an die Finanzmarktaufsicht stellen. Auf der Grundlage des in diesem Zusammenhang vorgeschlagenen Referenzrahmens erfolgt zunächst eine Bestandsaufnahme des derzeitigen Aufsichtsregimes: Bislang werden Schattenbanken ganz überwiegend lediglich indirekt über die Schnittstellen mit der offiziellen Kreditwirtschaft reguliert.

Diese Regulierung der Schnittstellen betrifft etwa die Anforderungen an das Halten von Verbriefungspositionen durch Banken, erhöhte Eigenkapitalanforderungen für angeblich besonders risikoreiche Geschäfte von Banken, strengere Anforderungen an die Publizität der Geschäfte von Banken, die Verpflichtung von Banken zur bilanziellen Konsolidierung von Zweckgesellschaften, und Eingriffsmöglichkeiten der Aufsicht wie etwa Produktverbote. Eine direkte Regulierung sogenannter Schattenbanken und ihrer Aktivitäten erfolgt dagegen derzeit nur punktuell.

Schließlich stellt das Grünbuch potentielle Regelungsgegenstände künftiger Maßnahmen dar. Deren Rahmen ist äußerst weit gesteckt. In den Raum gestellt wird etwa eine Ausweitung der Konsolidierungspflichten, eine Ausweitung der für Verbriefungen geltenden Regeln auf andere Geschäfte, die Verschärfung des Großkreditregimes, eine schärfere Regulierung von börsengehandelten Fonds und Geldmarktfonds sowie von Wertpapierleihe und Repo-Geschäften. Es wird zudem angedeutet, dass bestimmte, bisher nur für Einlagenkreditinstitute geltende, Anforderungen auch auf andere Kreditinstitute ausgedehnt werden sollen, um insoweit einen Gleichlauf herzustellen.

Der über den Kapitalmarkt hinwegrollende "Regulierungs-Tsunami" hat also sein Ende noch lange nicht erreicht. Bemerkenswert ist insoweit, dass all diese Maßnahmen zumindest auch den bereits stark regulierten Bereich der offiziellen Kreditwirtschaft betreffen und damit den Kosten- und Ausweichdruck sogar noch erhöhen.

Das eigentliche Problem: Detailverliebtheit des Gesetzgebers und zu wenig Markt

Die von der Kommission in den Raum gestellten Maßnahmen sind im Kern ganz überwiegend institutsbezogener Natur. Die Erwähnung instituts-, markt- und länderübergreifender Aufsicht ist lediglich Ornament, um die bisher bestehende, äußerst detailverliebte Aufsicht über einzelne Kapitalmarktakteure und – aktivitäten auszuweiten.

Es ist absehbar, dass die Finanzmarktakteure Wege suchen und finden werden, um der verschärften Regulierung auszuweichen - worauf die Politik wiederum mit noch stärkerer Regulierung antworten wird. Vor dem Hintergrund des bestehenden Finanzsystems und seiner Schwächen sollten sich die Beteiligten stattdessen auf die Grundlagen der Finanzmarktaufsicht besinnen.

Das eigentliche systemische Problem liegt nämlich darin, dass die Währung selbst staatlich administriert und dem Marktmechanismus entzogen ist, und dass bestimmte privilegierte  Finanzmarktakteure ebenfalls dem Marktmechanismus entzogen sind. Nur so konnte es zu den durch massive Geldschöpfung befeuerten Kredit- und Verschuldungsorgien von Individuen, Unternehmen und Staaten kommen, die den Kern der seit 2007 anhaltenden Finanzmarktkrise ausmachen. Dass an dieser eigentlichen Wurzel des Problems angesetzt wird, ist allerdings kaum zu erwarten – ganz im Gegenteil. Es wird beim Laborieren an den durch den massiven weltweiten Liquiditätsüberhang geschaffenen Problemen bleiben.

Kai A. Schaffelhuber ist Rechtsanwalt bei Allen & Overy LLP und berät schwerpunktmäßig zu Fragen des Bankaufsichts- und Kapitalmarktrechts.

Zitiervorschlag

Kai A. Schaffelhuber, EU-Kommission zu Schattenbanken: Kein Ende der Regulierungswut in Sicht . In: Legal Tribune Online, 30.03.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5905/ (abgerufen am: 19.03.2024 )

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