Ende Februar erhob die Staatsanwaltschaft Leipzig gegen ehemalige Vorstände der vormaligen SachsenLB Anklage wegen Untreue. Als Gutachter unterstützt hat die Behörde der Partner einer Großkanzlei. Im LTO-Interview erklärt der Strafprozessrechtler Hans Theile, dass die Ermittler eigentlich hausinterne Wirtschaftsreferenten haben und wo noch eine Privatisierung des Strafverfahrens stattfindet.
LTO: Kann die Staatsanwaltschaft tatsächlich auch Anwälte damit beauftragen, ein Gutachten zu erstellen, auf das sie dann ihre Anklage stützt?
Theile: Grundsätzlich ist die Staatsanwaltschaft Herrin des Ermittlungsverfahrens. Sie ist also zunächst selbst dazu berufen, den Sachverhalt zu erforschen. Dafür kann sie natürlich auch einen Sachverständigen beauftragen. Das ergibt sich aus § 161a Abs. 1 S. 2 der Strafprozessordnung (StPO), der auf die Vorschriften verweist, die die Hinzuziehung von Gutachtern durch das Gericht regeln.
Inwieweit auch ein Anwalt als Gutachter beauftragt werden kann, ergibt sich aus der Natur des Sachverständigenbeweises. Ein Gutachter kann sich zu Tatsachen, Erfahrungssätzen oder auch zur Beurteilung eines Sachverhaltes äußern. Sachverständige beauftragt man daher vor allem, weil man sich eine Kompetenz zunutze machen will, die man selbst nicht hat. Nun sollte eine Staatsanwaltschaft aber über die Kompetenz verfügen, juristische Fragen zu beantworten. Die Beauftragung eines Anwalts als Sachverständigen zur Vorabklärung von Rechtsfragen halte ich daher für problematisch. Ich denke, das ist nach der StPO nicht möglich.
LTO: Auch die Verteidiger monieren, die Staatsanwaltschaft habe ihre Arbeit in einem Umfang delegiert, der sich "als singulär in der deutschen Rechtsgeschichte darstellt". Der Prozess sei daher zum Scheitern verurteilt. Was wäre die Folge, wenn die Staatsanwaltschaft Leipzig tatsächlich Rechtsfragen hat begutachten lassen?
Theile: Unter Umständen könnte dann ein Beweisverwertungsverbot vorliegen. Außerdem kann es grundsätzlich untreuerelevant sein, wenn hohe Kosten für Gutachten verursacht werden, die Fragen klären, die an sich die Staatsanwaltschaft selbst beantworten können müsste. Eigentlich bin ich zwar eher dagegen, immer gleich mit der Untreuekeule zu kommen. In einem solchen Fall bewegt sich eine Staatsanwaltschaft aber durchaus auf dünnem Eis. Ich warne davor, dass das flächendeckende Praxis wird.
"Wirtschaftsreferenten bringen auch diesen Sachverstand ein"
LTO: Gibt es Fälle, in denen doch Gutachter zur Klärung juristischer Fragen beauftragt werden können?
Theile: Ja, wenn es um ausländisches Recht oder inländisches Gewohnheitsrecht geht.
LTO: Warum auch bei inländischem Gewohnheitsrecht?
Theile: Weil die Gerichte nicht immer unbedingt beurteilen können, ob eine bestimmte Praxis schon seit längerer Zeit in der Überzeugung rechtlicher Gebotenheit geübt wird. Insoweit ist dann auch ein Rechtsgutachten zulässig.
LTO: Welche Fragen die Staatsanwaltschaft Leipzig nun genau begutachten ließ, wissen wir nicht. Wenn es dabei nun nicht um Rechtsfragen ging, sondern eher um wirtschaftliche Zusammenhänge, wäre das Gutachten dann zulässig gewesen?
Theile: Die Staatsanwälte, die für die Wirtschaftsdelikte zuständig sind, haben ja Wirtschaftsreferenten. Das sind Betriebswirtschaftler, die im Dienste der Staatsanwaltschaft stehen. Deshalb sollte eigentlich auch bei diesen Fragen eine Beauftragung von externen Sachverständigen nicht nötig sein. Vielleicht müsste man dann eher dort die Stellen aufrüsten, damit die entsprechenden Kenntnisse im eigenen Haus zur Verfügung stehen.
2/2: "Gutachter darf seine Arbeit nicht delegieren"
LTO: Haben Sachverständiger die Pflicht, ein Gutachten höchstpersönlich zu erstellen?
Theile: Grundsätzlich ja. Abgesehen von Hilfspersonen darf der Gutachter niemanden sonst heranziehen. Das wurde vom Bundesgerichtshof bislang vor allem in Fällen entschieden, in denen es um die Begutachtung von psychisch auffälligen Personen und deren Schuldfähigkeit ging.
Man kann natürlich fragen, ob das hier in gleichem Umfang gilt, weil es ja nicht so sehr um die unmittelbare persönliche Wahrnehmung von Gestik und Mimik eines Probanden geht. Gleichwohl denke ich, dass auch bei der Begutachtung von rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhängen eine Delegation nicht zulässig ist. Die Befugnis der Staatsanwaltschaft zur Auswahl und Bestimmung eines Sachverständigen würde nämlich völlig ausgehöhlt, wenn der Auftrag beliebig weitergegeben werden könnte. Außerdem würde der Beweiswert des Gutachtens gemindert, weil man im Grunde gar nicht mehr weiß, wer das Gutachten nun der Sache nach erstellt hat.
LTO: Es würde also nicht ausreichen, dass der eigentliche Sachverständige das Gutachten, das ein wissenschaftlicher Mitarbeiter geschrieben hat, durchliest, überprüft, vielleicht ein paar Anmerkungen macht und dann unterschreibt?
Theile: Natürlich ist es zulässig, Hilfspersonen heranzuziehen. Es kommt dann aber sehr stark darauf an, inwieweit der Sachverständige diese anleitet und überwacht. Im Übrigen muss man auch die Wertung des § 78 StPO berücksichtigen. Danach kann das Gericht beziehungsweise die Staatsanwaltschaft den Sachverständigen anleiten, ihm also die notwendigen Tatsachen mitteilen, Rückfragen beantworten, gegebenenfalls einen Probanden zur Verfügung stellen. Das ist aber nicht mehr möglich, wenn die ganze Arbeit an Subunternehmer delegiert wird.
Die Herrschaft über die Aufklärung des Sachverhalts liegt also nach der gesetzlichen Konzeption bei der Staatsanwaltschaft, die sich lediglich die besondere Kompetenz eines Sachverständigen zunutze macht.
"Die Selbstbelastungsfreiheit droht, zu einer Hülle ohne Inhalt zu werden"
LTO: Gibt es noch andere Bereiche, in denen derzeit eine Privatisierung des Strafverfahrens zu beobachten ist?
Theile: Ja. Wir kennen seit einigen Jahren das Phänomen der internen Ermittlungen, bei denen es häufig zu Kooperationen zwischen staatlichen und privaten Ermittlern aus Anwaltskanzleien kommt. Das konnte man etwa beobachten, als es um die Korruptionsvorwürfe bei Siemens ging. Zu einer Zusammenarbeit kommt es dann beispielsweise, wenn die privaten Ermittler die Staatsanwaltschaft bitten, Räume zu durchsuchen oder E-Mails einzusehen, was erstere aus datenschutzrechtlichen Gründen vielleicht nicht können. Umgekehrt fließen natürlich die Ergebnisse der internen Ermittlungen in die Arbeit der Staatsanwaltschaft ein. Da findet ein großflächiger Informationstransfer statt. Mit dem Typus des Unternehmensanwalts hat ein neuer Player die Szenerie betreten.
LTO: Halten Sie das für rechtlich problematisch oder eigentlich eine ganz gute und sinnvolle Zusammenarbeit?
Theile: Es ist wohl eine unausweichliche Entwicklung, deren juristische Reflektion allerdings noch ziemlich am Anfang steht. Die Diskussion gibt es in dieser Form erst seit vielleicht vier Jahren. Das ist eine ganz tiefsitzende Strukturverschiebung. Da tauchen unendlich viele neue und spannende Fragen auf.
LTO: Gibt es schon ein Problem, das Sie als besonders kritisch ausmachen würden?
Theile: Der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit droht, zu einer Hülle ohne Inhalt zu werden, wenn Mitarbeiter gezwungen sind, bei internen Ermittlungen Auskünfte zu erteilen, die später dann auch ins Strafverfahren einfließen. Natürlich hat man im Strafprozess ein Schweigerecht, aber das wird massiv entwertet, wenn erst einmal eine Aussage in der Welt ist. Darin sieht man eine der Schwierigkeiten, wenn private und öffentliche Ermittlungen parallel laufen. Unser bisheriges System ist nicht auf ein Nebeneinander unterschiedlicherer Ermittlungen angelegt. Das ändert sich natürlich, wenn nun alles verschwimmt.
LTO: Herr Professor Theile, vielen Dank für das Gespräch.
Prof. Dr. Hans Theile, LL.M. ist Inhaber des Lehrsuhls für Kriminologie, Strafrecht, Strafprozess- und Wirtschaftsrecht an der Universität Konstanz.
Das Interview führte Claudia Kornmeier.
Prof. Dr. Hans Theile, LL.M., Kanzlei-Gutachten für SachsenLB-Anklage: "Die Ermittler bewegen sich auf dünnem Eis" . In: Legal Tribune Online, 27.03.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8423/ (abgerufen am: 24.04.2024 )
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