Gibt es nun mehr Geld für Anwälte und Notare? Die Bundesjustizministerin zeigte sich im LTO-Interview zuversichtlich, dass das Kostenrechtsmodernisierungsgesetz doch noch in dieser Legislaturperiode kommt. Mitten im Wahlkampf sprach sie aber auch über die Gleichstellung Homosexueller sowie den NSU-Prozess und erwähnte ganz nebenbei, dass Versicherer und Banken bald nicht mehr vor negativen Grundsatzentscheidungen flüchten können sollen.
LTO: Aus aktuellem Anlass müssen wir nachfragen: Am Donnerstag kam die lang erwartete Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Gleichstellung Homosexueller auch im Steuerrecht. Das Ehegattensplitting muss – rückwirkend seit 2001 – auch für eingetragene Lebenspartnerschaften gelten. Das war nach den letzten Entscheidungen aus Karlsruhe absolut zu erwarten. Dennoch haben Sie erst jetzt einen Entwurf angekündigt, der Homosexuelle – auch in Bezug auf Adoptionsrechte – endgültig gleichstellt. Das soll "durch ein schlichtes Gesetz noch in dieser Legislaturperiode umsetzbar" sein. Warum erst jetzt? Warum sind Sie so lange Karlsruhe hinterher gelaufen, statt selbst aktiv zu werden?
Leutheusser-Schnarrenberger: Karlsruhe hat jetzt mehrere Entscheidungen getroffen, die ganz klar in die Richtung gehen, dass es verfassungsrechtlich keine Unterscheidung mehr geben soll zwischen der Ehe und der eingetragenen Lebensgemeinschaft. Wir wollten als FDP schon viel früher auch die Ungleichbehandlung im Einkommensteuerrecht beseitigen, aber für die Union war das nicht konsensfähig. Einen Konsens gab es allein darüber, dass wenn das Verfassungsgericht entscheidet, dieses Urteil zügig umgesetzt wird.
Nun sind wir diejenigen, die reagieren und nicht agiert haben. Ich hätte lieber agiert – aber am Ende bin ich froh, wenn wir die Ungleichbehandlung beseitigen.
LTO: Sehen Sie Auswirkungen auf das Ehegattensplitting an sich?
Leutheusser-Schnarrenberger: Jetzt können wir nur das Ehegattensplitting auch auf die eingetragene Lebenspartnerschaft anwenden. Was dann mit Blick auf das Familiensplitting noch debattiert wird, wird in die nächste Legislaturperiode fallen. Jetzt bin ich strikt dafür, das Splitting auf die eingetragene Lebenspartnerschaft anzuwenden.
LTO: Und das tatsächlich noch in dieser Legislaturperiode?
Leutheusser-Schnarrenberger: Wir haben nur noch wenige Wochen, aber ich bin optimistisch, auch in Bezug auf das, was ich aus den Kreisen des Koalitionspartners höre. Der federführende Minister hat bereits signalisiert, dass das schnell umsetzbar ist. Es ist überschaubar, darstellbar und vom rechtlichen Regelungsgehalt her nicht sonderlich schwierig.
Kostenrechtsmodernisierung: "Was wir jetzt nicht schaffen, wäre lange nicht mehr machbar"
LTO: Schwieriger könnte es werden, das Kostenrechtsmodernisierungsgesetz noch in dieser Legislaturperiode durchzukriegen. Es hat den Bundestag passiert, ein Inkrafttreten zum 1. Juli war geplant. Voraussichtlich wird das Gesetz aber nun in den Vermittlungsausschuss überwiesen, am Freitag verhandelt der Bundesrat. Begründung: Für die Länder sei das parallel behandelte Gesetz zur Änderung des Prozesskostenhilfe- und Beratungshilferechts viel zu teuer. Sie haben sich auf dem Anwaltstag bereits optimistisch geäußert – aber glauben Sie wirklich, dass die Erhöhung der Vergütung von Anwälten und Notaren noch in dieser Legislaturperiode beschlossen wird?
Leutheusser-Schnarrenberger: Ich bin ganz zuversichtlich, auch wenn ich davon ausgehe, dass der Bundesrat den Vermittlungsausschuss anrufen wird. Alle müssen sehen, dass alles, was wir jetzt nicht mehr schaffen, für eine längere Zeit nicht mehr machbar wäre. Auch eine wiederum schwarz-gelbe Bundesregierung würde das, wenn man einmal damit gescheitert ist, sicherlich nicht unbedingt als ersten Punkt wieder auf ihre Agenda nehmen. Ich halte den Beschluss des Bundestages für gut, er nimmt auch die Anliegen der Länder in den Blick.
LTO: Haben 15 von 16 Ländern Unrecht, wenn sie der Ansicht sind, dass die Justiz mit dem jetzt vorliegenden Entwurf auch zukünftig nicht kostendeckend wird arbeiten können? Sie halten die Erhöhung der Gerichtsgebühren für "mit Augenmaß" erfolgt.
Leutheusser-Schnarrenberger: Es gibt nie eine volle Deckung der Kosten für die Justiz durch die Gerichtsgebühren. Es geht um den Kostendeckungsgrad. Auch dieser schwankt ja, auch in Abhängigkeit von der Anzahl der Verfahren. Und den Rückgang von Verfahren an Amts- und Landgerichten kann man nicht mit der Erhöhung von Gerichtsgebühren auffangen. Dann besteht eher die Gefahr, dass weniger Bürger zu Gericht gehen. Man muss das vorsichtig austarieren, das Paket beinhaltet ja viele Aspekte, die Anwaltschaft, die Notare, Einzelgebühren und Wertgebühren nach dem Gerichtskostengesetz. Es ist die Mühe wert, am Ende ein Ergebnis zu bekommen – und dieses Bestreben eint uns, das gilt auch für die Länder.
2/3: "Rechtsmittel nur noch bis zu einem bestimmten Zeitpunkt zurücknehmen"
LTO: Welche Justizreformen konnten Sie in der aktuellen Legislaturperiode nicht umsetzen? Braucht es weitere Reformen – zum Beispiel im Bereich des Deals im Strafrecht nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts? Sie waren bei der mündlichen Verhandlung in Karlsruhe anwesend – und schockiert von der Studie und den Berichten über die bisherige Handhabung von Absprachen im Strafprozess.
Leutheusser-Schnarrenberger: Die Entscheidung ist da, die Regelungen sind nicht verfassungswidrig. Aber die Praxis muss natürlich auch entsprechend dem Willen des Gesetzgebers agieren. Wir arbeiten an Überlegungen, die wir in der nächsten Legislaturperiode umsetzen würden. Man könnte die jetzige gesetzliche Regelung möglicherweise nachjustieren, um den Willen des Gesetzgebers auch umzusetzen. Deals müssen in der mündlichen Verhandlung transparent und protokolliert gemacht werden – und eben nicht in der Kantine. Damit befassen wir uns im Ministerium.
LTO: Befassen Sie sich auch mit dem Vorschlag, dem Bundesgerichtshof eine Entscheidungskompetenz trotz Rücknahme der Revision zuzubilligen? Immer wieder wird moniert, dass insbesondere Versicherer, aber auch Banken sich im letzten Moment aus Verfahren verabschieden, wenn ein negatives Urteil mit Grundsatzwirkung droht. Gibt es Pläne im BMJ, das zu verhindern?
Leutheusser-Schnarrenberger: Das wird in dieser Wahlperiode noch kommen, es wird im Gesetzentwurf über den elektronischen Rechtsverkehr geregelt. Da wollen wir zurück zur früheren Rechtslage, dass man nur bis zu einem bestimmten Zeitpunkt das Rechtsmittel zurücknehmen kann. Später muss dann auch entschieden werden – und nicht taktisch ein Rückzug vorbereitet werden. Schließlich gibt es zwei Parteien und es geht um rechtliche Grundsatzfragen, sonst wäre die Angelegenheit ja gar nicht in der Revisionsinstanz.
Das berechtigte Anliegen, dann auch zu einer Entscheidung zu kommen, wird im Gesetzentwurf über den elektronischen Rechtsverkehr mit verabschiedet, hoffentlich in der nächsten Woche.
Der Vorsitz des 2. Strafsenats: "Mit Emotionen aufgeladen und sehr angespannt"
LTO: Noch ein letztes Justizthema: Verraten Sie uns, wie Sie es geschafft haben, nun dem umstrittenen und streitbaren Richter Thomas Fischer den Vorsitz des 2. Strafsenats zu verschaffen? Es ist ja durchaus ungewöhnlich, dass Herr Fischer nicht nur Vorsitzender Richter ist, sondern ihm auch ein bestimmter Senat zugewiesen wurde.
Leutheusser-Schnarrenberger: Das war nun eine wirklich mit Emotionen aufgeladene und inzwischen sehr angespannte Situation. Sie war auch eine Ausnahme und wirklich nicht der Regelfall bei der Besetzung von Vorsitzenden-Posten.
Am Ende sind wir zu einem guten Ergebnis gekommen, alle drei Strafsenate werden im Vorsitz besetzt sein, Ruhe wird einkehren und vom Bundesgerichtshof wird eine Beschädigung abgewehrt – das hat mich am meisten umgetrieben. Ich bin jetzt froh über das Ergebnis.
"Die Sicherungsverwahrung ist sicher"
LTO: Zum 1. Juni ist die Neuregelung der Sicherungsverwahrung in Kraft getreten, nachdem der Gerichtshof für Menschenrechte wie auch das Bundesverfassungsgericht die deutschen Regelungen für verfassungswidrig erklärt hatten. Das Gesetz regelt schon seinem Namen nach aber nur die Umsetzung des Abstandsgebots, also vor allem die Umstände des Vollzugs der Sicherungsverwahrung. Experten bezweifeln, dass das den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts genügt – und gar, dass es in Zukunft überhaupt eine wirksame Rechtsgrundlage gibt, um Sicherungsverwahrung anzuordnen. Die Frist zur übergangsweisen Regelung der alten Vorschriften aber ist abgelaufen – droht die nächste zwangsweise Entlassungswelle von Straftätern?
Leutheusser-Schnarrenberger: Wir haben in dieser Legislaturperiode das materielle Recht der Sicherungsverwahrung komplett neu geregelt, und zwar im Strafgesetzbuch. Nur die letzte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts betraf ja das Abstandsgebot. Vorher gab es viele andere Entscheidungen, auch des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, aufgrund derer wir viele andere materiellrechtliche Neuerungen vorgenommen haben.
Zum Beispiel haben wir die primäre und die vorbehaltene Sicherungsverwahrung ausgebaut und die nachträgliche abgeschafft. Daneben gelten aber auch Übergangsregelungen für die Altfälle. Und diese sind durch die verschiedenen Rechtsänderungen über zehn Jahre auch nicht homogen, die Rechtslage ist sehr komplex. Aber wir haben materiellrechtlich neue Grundlagen geschaffen, diese ausdrücklich noch einmal in Kraft gesetzt und das Bundesverfassungsgericht hat in seiner letzten Entscheidung erstmals auch dem Bund Aufgaben übertragen. Gemeinsam mit den Ländern haben wir dieses Bundesgesetz ausgehandelt, das die Anforderungen an die Sicherungsverwahrung regelt. Von nun an gilt ein neues, grundsätzlich reformiertes Recht der Sicherungsverwahrung.
LTO: Die neue Sicherungsverwahrung genügt also Ihres Erachtens nun europäischen und deutschen Vorgaben?
Leutheusser-Schnarrenberger: Ja, da bin ich sicher. Wir haben jetzt ein in sich geschlossenes System, das diesen Vorgaben standhalten wird. Dafür haben wir die Legislaturperiode ausgenutzt - aber auch gebraucht.
3/3: "Der NSU-Prozess zeigt: Mehr Daten bringen auch nicht mehr Sicherheit"
LTO: Im Kontext des laufenden NSU-Verfahrens und der Ergebnisse des Untersuchungsausschusses werden Forderungen nach mehr Austausch und Vernetzung zwischen Polizei und Geheimdiensten, aber auch zwischen den Ländern lauter. Wie ist ein effektives Vorgehen auch und gerade gegen den Terrorismus aus Ihrer Sicht mit den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts zu vereinbaren, das die Antiterrordatei erst vor kurzem nur noch gerade eben so als verfassungsgemäß ansah?
Leutheusser-Schnarrenberger: Das lässt sich gut vereinbaren, wie auch diese Legislaturperiode zeigt. Nach der PIN- und PUK-Entscheidung haben wir ja auch schon nachgebessert – und zwar mehr, als Karlsruhe verlangt hat. Sie werden aber kein verschärfendes Sicherheitsgesetz finden. Die Antiterrordatei ist ja in bestimmten Punkten durchaus verfassungswidrig – das sind genau die Punkte, die wir schon damals massiv kritisiert haben, als ich noch in der Opposition an den Verhandlungen beteiligt war.
Mit seiner Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht erstmalig das Trennungsprinzip ausdrücklich benannt, es kann also nicht alles miteinander verbunden werden. Aufgrund von Einzelgesetzen kann man natürlich innerhalb der Verfassungsschutzbehörden Informationen weitergeben – das ist mit Datenschutz in Einklang zu bringen. Im NSU-Ermittlungsverfahren hat man aber diese Daten ja gar nicht weitergegeben, weil man den Fokus der Ermittlungen gar nicht im rechten Milieu gesehen hat. Die eigentliche Konsequenz, die wir aus den Schwächen in diesem Zusammenhang ziehen müssen, ist doch die Frage, wie wir besser erkennen können, wann ein rechtsextremistischer Hintergrund vorliegt. Dabei aber helfen bloß mehr Daten auch nicht.
"Nichts Fertiges zur Gerichtsöffentlichkeit in der Schublade"
LTO: Der NSU-Prozess ist nur ein äußerst prominentes Beispiel für die Frage, ob die Öffentlichkeit des Gerichtsverfahrens sich dem 21. Jahrhundert anpassen muss. Beabsichtigen Sie, mehr oder andere Öffentlichkeit möglich zu machen? Wie stehen Sie zur audiovisuellen Übertragung von Gerichtsverhandlungen – in einen Presseraum oder gar darüber hinaus?
Leutheusser-Schnarrenberger: Ich habe nichts Fertiges in der Schublade. Die Debatte ist ja auch jetzt wieder abgeebbt, der Prozess läuft. Ich möchte an § 169 Gerichtsverfassungsgesetz derzeit nichts vor dem Hintergrund dieses oder eines anderen konkreten Verfahrens ändern. Wenn man da rangehen und sich fragen will, ob und gegebenenfalls was man ändern könnte, dann nur mit Ruhe und Besonnenheit und nicht anhand eines Einzelfalls.
Dabei müssen wir uns nicht nur den technischen Fortschritt und die damit einhergehenden Möglichkeiten ansehen, sondern uns auch fragen, was das für die Grundsätze der Mündlichkeit und der Unmittelbarkeit der Hauptverhandlung bedeutet. Mehr Öffentlichkeit zuzulassen, könnte die Verfahrensbeteiligten, aber auch Zeugen beeinträchtigen. Der Richter zum Beispiel – trüge er auch die Verantwortung für andere Säle? Und wir wollen keine Prozesse, die Prangerwirkung haben.
Wir sollten die Debatte in der kommenden Legislaturperiode führen – aber es kann keine Regelung geben, die Auswirkungen auf den laufenden NSU-Prozess hat.
LTO: Frau Ministerin, vielen Dank für das Gespräch.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ist seit 2009 Bundesministerin der Justiz. Das Amt hatte sie bereits von 1992 bis 1996 inne.
Das Interview führte Pia Lorenz.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger im Interview: "Was wir jetzt nicht schaffen, wäre lange nicht mehr machbar" . In: Legal Tribune Online, 07.06.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8872/ (abgerufen am: 29.03.2024 )
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