Rehabilitation von Homosexuellen: Bundesrat will Urteile aufheben - ist das auch gut so?

Der Bundesrat will homosexuelle Männer rehabilitieren und entschädigen, die in Deutschland wegen ihrer sexuellen Orientierung verurteilt wurden. Das BVerfG kritisieren die Länder nicht mehr, alte Strafurteile aber wollen sie weiterhin aufheben. Das ist weder sinnvoll noch nötig, meint Herbert Grziwotz. Denn auch der gute Zweck heilige nicht die Aufhebung der Gewaltenteilung.

Wie von den Ländern Berlin und Hamburg beantragt, hat der Bundesrat am vergangenen Freitag die Bundesregierung aufgefordert, Maßnahmen zur Rehabilitierung und Unterstützung der nach 1954 in beiden deutschen Staaten wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen Verurteilten vorzuschlagen. Die Bundesregierung soll die formelle Aufhebung der einschlägigen Strafurteile sowie eine daraus resultierende Entschädigung der Betroffenenprüfen.

In beiden deutschen Staaten galt auch nach Kriegsende der so genannte Schwulenparagraph des § 175 Strafgesetzbuch (StGB) fort. Er stellte einvernehmliche sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe. Bis 1994 war die Unzucht zwischen Männern bis zum Alter von 21 bzw. 18 Jahren weiterhin strafbar. Erst seit dem 29. Strafrechtsänderungsgesetz sind homosexuelle Handlungen mit Minderjährigen über 16 Jahren, soweit sie nicht durch eine Nötigung erfolgen, völlig straflos.

In den über 120 Jahren der Geltung des § 175 StGB wurden ca. 140.000 Männer wegen gleichgeschlechtlicher Unzucht verurteilt. 50.000 Verurteilungen wurden noch nach Kriegsende bis 1969 in der BRD ausgesprochen. Mindestens bis zu diesem Zeitpunkt herrschte in beiden Teilen Deutschlands durch die Kriminalisierung der Homosexualität von Männern ein sozialpolitisches Klima, welches homosexuell veranlagte Menschen diskriminierte, diese an den Rand der Gesellschaft drängte und damit in einem maßgeblichen Teil ihrer Persönlichkeit erheblich einschränkte, so die Begründung des Antrags des Bundesrats.

Rechtsausschuss: Kritik am BVerfG "nicht angemessen"

Anders als die ursprüngliche Begründung der Länder Hamburg und Berlin enthält die Entschließung des Bundesrates aber keine Kritik mehr am Bundesverfassungsgericht. Berlin und Hamburg gingen auch mit Karlsruhe scharf ins Gericht. Sie bezogen sich auf eine 1996 verfasste Dissertation, um klarzustellen, dass bereits im Jahre 1957 die Bestrafung einvernehmlicher homosexueller Handlungen eklatant verfassungswidrig gewesen sei.

Das Bundesverfassungsgericht aber hatte noch zu diesem Zeitpunkt zwei Verfassungsbeschwerden homosexueller Männer gegen ihre strafrechtlichen Verurteilungen zurückgewiesen (BVerfG, Urteil vom 10.5.1957, Az. 1 BvR 550/52).  

Zur Bekräftigung dieser Kritik auch an der Rechtsprechung des höchsten deutschen Gerichts verwies der Antrag der Stadtstaaten zusätzlich auf einen Vortrag von Brun-Otto Bryde aus dem Jahre 2007 vor der Fraktion der Grünen. Der ehemalige Bundesverfassungsrichter vertrat die Ansicht, dass wenige Jahre später ein derartiges Urteil nicht mehr ergangen wäre.

Der federführende Rechtsausschuss hat den Antrag aber nun ohne die Passagen beschlossen, welche das Bundesverfassungsgericht kritisieren. Die Kritik eines Verfassungsorgans an einem anderen sei unangemessen. Zudem vollziehe sich die Rechtsfindung nie losgelöst von den Moralvorstellungen in einer Gesellschaft zu einer bestimmten Zeit, so die Begründung zum nun am Freitag vom Bundesrat beschlossenen Vorschlag.

Moralvorstellungen in einer Gesellschaft – früher und heute

Selbst heute ist trotz des freiwilligen oder wie bei Klaus Wowereit und Ole von Beust eher erzwungenen Coming Out vieler prominenter Homosexueller ist das Wort "schwul" noch immer nicht nur Zeichen sexueller Emanzipation. Zwar wird allenthalben gegenwärtig von der Homosexualisierung der Gesellschaft gesprochen. Symptome sollen das Nein von Paaren zu Kindern, der Wegfall klarer Geschlechterrollen, One-Night-Stands und der Körperkult sein.

Gleichzeitig ist das Wort "schwul" auf Schulhöfen aber weiterhin ein Schimpfwort ersten Grades. Und trotz aller Toleranz: Kaum Eltern sind bereit zu akzeptieren, dass der eigene Sohn schwul ist. Aber nicht nur Eltern haben damit Probleme.

Auch in der UNO wird seit 2003 um die Ächtung der Diskriminierung von Homosexualität und die Beseitigung der diesbezüglichen Strafvorschriften gestritten. Lediglich 67 der 192 UN-Mitgliedstaaten unterstützten bisher eine Resolution, welche die Diskriminierung von Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung als Menschenrechtsverstoß ansieht.

Das Gegenargument lautet: die Aufnahme der sexuellen Orientierung in die Schutzwirkung der Menschenrechte untergrabe den gesamten Rahmen des Menschenrechtsschutzes. Zudem würde die Religionsfreiheit beeinträchtigt, wenn es Christen und Moslems untersagt würde, die Homosexualität zu verurteilen.

Zitiervorschlag

Herbert Grziwotz, Rehabilitation von Homosexuellen: Bundesrat will Urteile aufheben - ist das auch gut so? . In: Legal Tribune Online, 15.10.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7311/ (abgerufen am: 18.04.2024 )

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