Angekündigt hatte die Bundesregierung eine Vereinfachung und Verschlankung des Vergaberechts. Schaut man sich die beschlossene Umsetzung an, bleibt wenig, was diesen Ansätzen entspricht, analysiert Ralf Leinemann.
Ziel war es, öffentliche Aufträge effizienter und einfacher zu vergeben und die Beteiligung kleiner und mittlerer Unternehmen zu erleichtern. Die am 20.01.2016 beschlossene Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge (VgV), das am 18.12.2015 verabschiedete Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) und die weiteren Verordnungen entsprechen diesen Programmsätzen aber wenig. Ab dem 18.04.2016 werden es öffentliche Auftraggeber in Verfahrensfragen etwas einfacher haben, interne Vergaben und Vertragsverlängerungen in größerem Umfang als bisher zulässig durchzusetzen.
Dabei bleibt der Wildwuchs von 15 verschiedenen Landesvergabegesetzen - wohl aus Angst vor dem Bundesrat - bestehen. Auch die neue Systematik bringt da wenig: Sie führt zunächst dazu, dass Beschaffer ab April 2016 mit komplett neuen Formularen und Vorschriftennummern arbeiten müssen, was die Fehleranfälligkeit deutlich steigern dürfte. Für Berater ist die Vergaberechtsreform hingegen wie ein kleines Konjunkturprogramm: Schulungen sind massenhaft angefragt.
Privilegierung öffentlicher Unternehmen
Schon immer bevorzugte es die öffentliche Hand ihre Aufträge direkt (ohne Ausschreibung) an ihre Tochtergesellschaften vergeben. Dies war bisher nur zulässig, wenn öffentliche Unternehmen in sehr geringem Umfang Geschäfte mit anderen, nicht-öffentlichen Auftraggebern machten. Künftig werden Drittgeschäfte mit bis zu 20 Prozent Umsatzanteil anstatt bisher circa 7,5 Prozent noch im Rahmen sein. Die Privatwirtschaft muss sich deshalb auf deutlich mehr Wettbewerb durch öffentliche Unternehmen einstellen, so etwa in der Abfall- und Recyclingwirtschaft, aber auch in den Bereichen Stromversorgung und Nahverkehr.
Verträge, die auf Basis von Ausschreibungen geschlossen wurden, durften bisher nur ganz geringfügig verändert werden, sonst wurde eine erneute Ausschreibung erforderlich. Jetzt dürfen Verträge auch ohne besonderen Grund stärker verändert werden, nämlich im Vertragswert von bis zu 10 Prozent, sofern das Vertragsvolumen nicht die Grenze von 209.000 Euro übersteigt. Einen höheren Spielraum gibt es bei Bauleistungen: Dort dürfen Änderungen bei Verträgen bis 784.000 Euro bis zu einem Vertragswertanteil von 15 Prozent vorgenommen werden, ohne dass eine neue Ausschreibung erforderlich wird. Wer weiterreichende Änderungen ohne Ausschreibung vornimmt, tätigt einen unwirksamen Neuabschluss. Nur unvorhersehbare, zwingende Zusatzleistungen können in größerem Umfang im bestehenden Bauvertrag ausgeführt werden, wie auch früher schon.
Mit dem neuen § 133 GWB kann der öffentliche Auftraggeber künftig einen geschlossenen Vertrag jederzeit kündigen, wenn er ohne erforderliche Ausschreibung zustande kam. Das erhöht die Gefahr für die Vertragspartner der öffentlichen Hand erheblich, wenn gravierende Fehler beim Vertragsschluss gemacht wurden: Der sicher geglaubte Vertrag kann so ohne weiteren Grund und sofort vom Auftraggeber gekündigt werden. Vergaberechtliche Fehler gehen hier allein zu Lasten der Wirtschaft.
Mittelstandsfreundlichkeit und elektronische Vergabe
Die Gewährleistung mittelstandsfreundlicher Vergaben ist nach den Erfahrungen der Praxis durch das in § 97 Abs. 4 GWB enthaltene Gebot der Fach- und Teillosvergabe kaum zu erreichen. Solange die Bildung von Teil- und Fachlosen nicht zwingend ausgestaltet wird, dürften die von der Rechtsprechung extrem großzügig zugelassenen Ausnahmen unbegrenzt weiter Anwendung finden.
Eine echte Neuerung für die Vergaberechtspraxis wird hingegen das von der EU ab 2017 vorgesehene Gebot zur Einführung der elektronischen Kommunikation im Vergabeverfahren darstellen. Entsprechend erhält § 97 Abs. 5 GWB jetzt ein Gebot zur Verwendung der elektronischen Kommunikation in allen Vergabeverfahren. Spätestens ab 18.10.2018 sind Angebote verschlüsselt elektronisch einzureichen und die Korrespondenz hat ebenso zu erfolgen.
Die Wirtschaft wird sich somit darauf einstellen müssen, in gut zwei Jahren Angebote im Regelfall elektronisch (per E-Mail und verschlüsselt) einzureichen und Vergabeunterlagen von Vergabeportalen der Auftraggeber herunterzuladen. Die Zeit der Papierstapel- und Leistungsverzeichnisse dürfte dann vorbei sein. Dafür muss allerdings in die Kompatibilität mit den unterschiedlichen Programmen der Auftraggeber investiert werden.
2/2: Ungeeignete Subunternehmer kein sofortiges K.O.-Kriterium mehr
Manche Bieter können nicht alle Leistungen selbst erbringen und benötigen Partner oder Nachunternehmer für spezielle Leistungsteile, die im Angebot zu benennen sind. Hatte man hier früher einen Fehler im Angebot gemacht, wurde man vom Vergabeverfahren ausgeschlossen. Nach dem neuen § 47 Abs. 2 VgV hat ein Bieter künftig einen solchen Partner, der nicht geeignet ist, zu ersetzen. Erst wenn das nicht gelingt, scheidet er als Wettbewerber aus. Das ist eine gute Regelung, weil sie die nachträgliche Heilung solcher Fehler erlaubt und so mehr Bieter während des Verfahrens im Rennen hält.
Wenn ein Bieter sich zum Beleg seiner Finanzkraft zum Beispiel auf sein Mutterunternehmen bezieht (sogenannte "Eignungsleihe"), kann der öffentliche Auftraggeber künftig nach § 47 Abs. 3 VgV fordern, dass die Muttergesellschaft auch dafür in die Haftung geht. Das ist positiv für die Auftraggeber, denn es schafft mehr Verbindlichkeit und Sicherheit, wenn es um die Bonität der Bewerber geht.
Zusätzlich kann der öffentliche Auftraggeber künftig nach § 47 Abs. 5 VgV vorschreiben, dass bestimmte kritische Aufgaben bei Dienstleistungsaufträgen oder kritische Verlege- oder Installationsarbeiten bei Lieferaufträgen vom Bieter selbst ausgeführt werden. Damit soll die häufige Weitervergabe auch wichtiger Leistungen an ungewisse Subunternehmer unter Kontrolle gebracht werden, was bisher kaum möglich war.
Kein Vorrang des Offenen Verfahrens mehr
Ambivalent ist der Entfall des Vorrangs des offenen Verfahrens nach § 119 Abs. 2 GWB. Künftig kann jeder öffentliche Auftraggeber auch im nicht offenen Verfahren ausschreiben. Das ermöglicht es, nur noch Angebote von vorher ausgewählten Bietern zu bearbeiten, deren Zahl von vornherein auf fünf begrenzt werden kann. Das ist für Auftraggeber vielleicht bequem, weil nur noch fünf Angebote auszuwerten sind. Der Wettbewerb wird indes stark in Mitleidenschaft gezogen, denn nicht jeder, der mitbieten will, wird dazu überhaupt noch zugelassen. In einem offenen Verfahren kann hingegen jeder Interessent ein Angebot abgeben. Entsprechend hat sich auch Transparency international kritisch geäußert, ebenso wie andere Experten im Antikorruptionsbereich, wie etwa Ralf Kriesemer von der Antikorruptionsstelle der Stadt Neuss.
Ebenso negativ ist die wesentlich erleichterte Möglichkeit, das intransparente und zeitaufwändige Verhandlungsverfahren zu wählen, das bisher nur in seltenen Ausnahmefällen zulässig war. Künftig reicht es schon, wenn die Bedürfnisse des Auftraggebers nicht ohne Anpassung bereits verfügbarer Lösungen erfüllt werden können oder der Auftrag konzeptionelle oder innovative Lösungen umfasst oder rechtliche oder finanzielle Risiken enthalten sind. Eines dieser Merkmale dürfte fast immer vorliegen. Verhandlungsverfahren sind bequem für den Auftraggeber, weil er Einzelverhandlungen mit den jeweiligen Bietern führt und dabei sowohl der Preis wie der Leistungsumfang der Angebote abgeändert werden dürfen, ohne dass andere Wettbewerber davon erfahren.
Außerdem begünstigen sie tendenziell Großunternehmen, weil sie viel Zeit kosten und der Erfolg eines Bieters stark von seinem Verhandlungsgeschick abhängt. Das Verhandlungsverfahren ist potenziell ein Einfallstor zur Bevorzugung einzelner Bieter ("Hoflieferanten") und erhöht – wie die Praxis zeigt – die Korruptionsgefahr.
Im Ergebnis ist die Reform des Vergaberechts eine Scheinreform, die mehr Schatten als Licht erzeugt. Der Umfang der Vorschriften nimmt nicht ab, sondern eher noch zu. Vergaberecht wird nicht einfacher sondern noch komplizierter. Auch die unsäglichen Landesvergabegesetze und Durchführungsvorschriften der Länder bleiben erhalten. Vor allem für kleine und mittlere Unternehmen wird es so immer aufwendiger, sich an Vergabeverfahren öffentlicher Auftraggeber zu beteiligen. Am Ende könnten wenige Großkonzerne in einem geschrumpften Markt das Preisniveau nach oben ziehen. Alleine die sinnvolle Umstellung auf elektronische Kommunikation im Vergabeverfahren vereinfacht für alle Beteiligten den Prozess nicht, wenn alle übrigen Regeln immer detaillierter werden.
Der Autor Prof. Dr. Ralf Leinemann ist Seniorpartner von Leinemann Partner Rechtsanwälte. Der Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht ist Honorarprofessor für Bau- und Vergaberecht an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin, Referent bei zahlreichen wissenschaftlichen Tagungen sowie Verfasser und Herausgeber zahlreicher Veröffentlichungen im Vergabe- und Baurecht.
Prof. Dr. Ralf Leinemann , Vergaberechtsmodernisierung: Die gar nicht so große Reform . In: Legal Tribune Online, 28.01.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18290/ (abgerufen am: 29.03.2024 )
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