Türkisches Todesstrafen-Referendum in Deutschland: Nicht nur das Grund­ge­setz sagt Hayir!

2/2: Kein deutscher Beitrag zur Wiedereinführung der Todesstrafe

Die EMRK und die EU-Grundrechtecharta beziehen die Ächtung der Todesstrafe auf das Recht auf Leben und gestalten sie damit als menschenrechtliche Garantie aus. Als solche erschöpft sich die Ächtung der Todesstrafe nicht in dem Verbot, die Todesstrafe selbst zu verhängen und zu vollstrecken. Vielmehr verlangt die Abwehr- und Schutzdimension dieses Menschenrechts, dass Deutschland nicht an der Todesstrafe mitwirkt.

Dementsprechend schließt Art. 19 Abs. 2 EU-Grundrechtecharta Abschiebungen, Ausweisungen oder Auslieferungen explizit aus, wenn der betroffenen Person die Todes-strafe droht. Zu diesem Ergebnis kommt mittlerweile auch der Europäische Menschenrechtsgerichtshof (Beschwerde-Nr. 28761/11), indem er das Recht auf Leben aus Art. 2 EMRK entsprechend interpretiert.

Wenn aber Deutschland im konkreten Fall nicht die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe unterstützen darf, muss dies erst Recht hinsichtlich ihrer abstrakt-generellen Wiedereinführung gelten. Andernfalls entstünde ein Wertungswiderspruch, der auch mit dem Wertebekenntnis, welches das Grundgesetz durch die Abschaffung der Todesstrafe bezeugt, unvereinbar wäre. Art. 102 GG stellt eine Reaktion auf die Schrecken des Nationalsozialismus und Ausdruck der Abkehr von totalitären Staatsvorstellungen dar. Sicherlich ist nicht jeder Staat, der die Todesstrafe beibehält, totalitär und es bleibt abzuwarten, wie sich die Türkei entwickelt.

Unabhängig von der Frage, ob das Verbot der Todesstrafe ein Grundrecht darstellt und ob es einer Auslieferung bei drohender Todesstrafe entgegensteht (offen gelassen von BVerfG, Beschl. v. 04.05.1982, bejaht von OLG Düsseldorf, Beschl. v. 23.06.1993, Az. 4 Ausl (A) 221/93 – 87/93 III), wäre es mit der bedingungslosen Abschaffung der Todesstrafe in Deutschland unvereinbar, deren Wiedereinführung in anderen Ländern zu unterstützen. Nach Auffassung des EGMR hat sich Europa zu einer "zone free of capital punishment" entwickelt (Beschwerde-Nr. 46221/99). In diese verbindliche Vorstellung fügt sich auch das Grundgesetz ein.

Mögliche Maßnahmen zur Verhinderung der Abstimmung in Deutschland

Daraus folgt, dass die Bundesregierung die Abhaltung eines Referendums über die Wiedereinführung der Todesstrafe nicht genehmigen darf. Würde die Türkei eine Abstimmung in ihren Botschaften und Konsulaten gleichwohl durchführen, beginge sie einen Völkerrechtsverstoß. Die Unverletzlichkeit diplomatischer und konsularischer Vertretungen ist indes eine heilige Kuh im Völkerrecht, die auch nicht zugunsten anderer herausragend wichtiger Interessen geschlachtet werden darf. Ein gewaltsames Eindringen in Botschaften oder Konsulate zur Verhinderung der Abstimmung ist damit ausgeschlossen und auch eine Abriegelung der türkischen Vertretungen ließe sich völkerrechtlich kaum rechtfertigen.

Deutschland hat daher nur geringe Möglichkeiten, eine Abstimmung auf deutschem Boden zu verhindern. Dazu zählen Protestnoten, die Einbestellung des türkischen Botschafters oder die Erklärung von Mitarbeitern türkischer Vertretungen zu unerwünschten Personen, also jeweils zur persona non grata.

Für die Türkei steht im Verhältnis zu Deutschland und der EU viel auf dem Spiel. Doch Erdogan scheint Risiko spielen und Ernst machen zu wollen. Deutschland darf sich da-von nicht beeindrucken lassen und muss dem schon im Vorfeld einen Riegel vorschieben.

Der Autor Dr. Michael Lysander Fremuth forscht und lehrt als Akademischer Oberrat und Privatdozent an der Universität zu Köln u. a. in den Bereichen Völkerrecht und Menschen-rechte. Er ist Verfasser des Buches "Menschenrechte: Grundlagen und Dokumente" (Berliner Wissenschafts-Verlag, 1. Aufl. 2015), Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen (DGVN) in Nordrhein-Westfalen und Mitglied des International Human Rights Law Committee der International Law Association.

Zitiervorschlag

Privatdozent Dr. Michael Lysander Fremuth, Türkisches Todesstrafen-Referendum in Deutschland: Nicht nur das Grundgesetz sagt Hayir! . In: Legal Tribune Online, 09.05.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22867/ (abgerufen am: 29.03.2024 )

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